Afrika rückt wieder einmal ins Zentrum der Entwicklungspolitik. Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller hat einen „Marshallplan mit Afrika“ ins Leben gerufen, laut dem neue Jobs und Einkommensmöglichkeiten für die wachsende Bevölkerung die entscheidende Aufgabe sind. Dabei geht es nicht nur, aber auch um die Bekämpfung von Migrationsursachen: Die Afrikaner sollen in ihrer Heimat bessere Existenzmöglichkeiten haben, damit sie nicht Zukunftsperspektiven jenseits des Mittelmeers suchen müssen.
Minister Müller setzt auf Privatinvestitionen – auch in die Landwirtschaft. Die Idee ist nicht neu, doch die Beschäftigungswirkungen während der fünf Jahrzehnte seit der Unabhängigkeit waren in Afrika sehr bescheiden. Es ist zudem umstritten, ob man nach dem Grundsatz „niemanden zurücklassen“ auf die Förderung der Mehrzahl der Kleinbauern setzen oder sich gemäß dem Motto „wachse oder weiche“ auf die bereits stärker marktintegrierten kleinbäuerlichen Eliten konzentrieren soll. Und die Möglichkeiten, mit armutsorientierter Entwicklungszusammenarbeit Migrationsursachen zu bekämpfen, betrachten Fachleute mit Skepsis.
In diesen Debatten hilft der Blick auf einschlägige Erfahrungen während der vergangenen fünf Jahrzehnte. Zum Beispiel auf Kabompo, eine kleinbäuerliche Region im Nordwesten Sambias, in der der Autor seit 1977 viele Jahre gearbeitet und die er seither wiederholt besucht hat. Sie ist nicht repräsentativ für Afrika, aber doch typisch für eine Vielzahl von Regionen, die gerne als hoffnungslose Fälle abgeschrieben werden. Was dort passiert ist, wirft ein Schlaglicht auf Zusammenhänge zwischen ländlicher Entwicklung, städtischer Entwicklungsdynamik, Jobs und Migration.
Sambia ist dünn besiedelt, friedlich und heute weitgehend demokratisch. In den großen Städten sind Anzeichen des Wirtschaftswachstums zu beobachten – neue Einkaufszentren, Staus, Mobiltelefone überall. Doch die Mehrheit der Bevölkerung hat nach wie vor keine gesicherten Existenzgrundlagen, weder auf dem Land noch in der Stadt. Mehr als 60 Prozent der Sambier leben überwiegend von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Mais ist das wichtigste Grundnahrungsmittel; dank staatlicher Förderprogramme hat sich das Land seit 2005 von einem Importeur zu einem Exporteur von Grundnahrungsmitteln entwickelt, vor allem von Mais. Dennoch ist Unterernährung auch bei der kleinbäuerlichen Bevölkerung weit verbreitet.
Kabompo ist ein entlegener und trotz Bevölkerungswachstums sehr dünn besiedelter, waldreicher Bezirk an der angolanischen Grenze. Vor der Kolonisierung lebte die Bevölkerung hier von Wanderfeldbau auf Basis von Maniok, von der Jagd – das Gebiet ist reich an Wild – und von Früchten des Waldes. Meist reichte es zur Selbstversorgung. Aus Sicht der britischen Kolonialverwaltung waren die Agrarprodukte dieser Region uninteressant. Ihr Interesse konzentrierte sich darauf, Arbeitskräfte für den Bergbau und die daran gekoppelte städtische Wirtschaft zu rekrutieren. Mittels Steuern, die in Geld gezahlt werden mussten, hat die Kolonialverwaltung die Familien gezwungen, über die Selbstversorgung hinaus auch Geld zu verdienen.
Manche fanden ihr Glück in den Städten
So entwickelte sich bereits vor der Unabhängigkeit Sambias im Jahr 1964 ein System zirkulierender Wanderarbeit. Für junge Männer wurde es zur Pflicht gegenüber der Familie und später zur Gewohnheit, anfangs drei, später auch zehn bis zwanzig Jahre in die Städte und teils zu den Bergwerken Südafrikas abzuwandern. So mussten sie Bargeld zum Familieneinkommen beisteuern, bevor sie heiraten und einen eigenen Hausstand in der Heimatregion gründen konnten. Manche fanden ihr Glück in den Städten und blieben. Zunehmend folgten ihnen auch Frauen. Die Subsistenzwirtschaft in Gebieten wie Kabompo hatte sich, als Sambia unabhängig wurde, also bereits zu einem multilokalen familiären Lebenshaltungssystem gewandelt. Die Lebensgrundlage einer Familie beruhte auf zwei ökonomischen Säulen: der landwirtschaftlichen Subsistenzproduktion und der Wanderarbeit, die verschiedene Mitglieder an weit entfernten Orten ausübten.
Mitte der 1970er Jahre gerieten der Kupferbergbau und damit die städtische Wirtschaft wegen sinkender Weltmarktpreise in die Krise. Die Regierung strebte an, das Land weniger abhängig von Kupfereinnahmen zu machen. Die Diversifizierung der Wirtschaft sollte erreicht werden, indem nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten der Landwirtschaft genutzt würden. Mit diesem Ziel wurde eine „Zurück aufs Land“- Kampagne ausgerufen. Internationale Geber unterstützten die Strategie mit „Integrierten Ländlichen Entwicklungsprogrammen“ (IRDP). Zu deren Zielen gehörte nicht nur, Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ländlichen Räumen zu schaffen, sondern auch die Abwanderung in die Städte einzudämmen.
Das deutsche Entwicklungsministerium unterstützte solch ein Programm in der Nordwest-Provinz mit Standort Kabompo. Die Vertreter der staatlichen Agrarbehörde betrachteten damals die große Mehrzahl der Kleinbauern als „hoffnungslose Fälle“: Aus subsistenzorientierten Wanderfeldbauern, Jägern und Sammlern werde man nie moderne, marktorientierte Landwirte machen können. Allenfalls die oberen zehn Prozent verfügten über das Potenzial hierfür. Diese Argumente gleichen denen, die heute in der Debatte über die Zukunftschancen von Afrikas Kleinbauern von manchen Verfechtern eines ländlichen Strukturwandels vorgebracht werden.
Kleinbauern organisieren sich
Den Zweifeln der sambischen Fachkollegen zum Trotz setzte sich das IRDP zum Ziel, mindestens der Hälfte der kleinbäuerlichen Bevölkerung Einkommensmöglichkeiten aus Land- und Forstwirtschaft sowie kleingewerblicher Produktion (einschließlich Bienenhaltung) zu verschaffen. Die wichtigsten Mittel dafür waren Zugang zu Produktionsmitteln wie Saatgut und Dünger, zu produktionstechnischem Wissen und zu sicheren Absatzmöglichkeiten. Entscheidend war die Einführung der bis dahin in Kabompo unbekannten Ochsenanspannung. Sie erleichterte nicht nur die Bodenbearbeitung, die bis dahin mit der Hacke praktiziert wurde, sondern eröffnete auch Transportmöglichkeiten zu den Märkten. Voraussetzung für den Zugang zu diesen Angeboten war, dass Kleinbauerngruppen organisiert wurden. Es wäre unmöglich gewesen, die verstreut in Weilern lebenden Menschen alle einzeln zu erreichen.
Trotz aller Unkenrufe fand dieses Angebot regen Zuspruch. Nach zehn Jahren verdiente mehr als die Hälfte der Dorfbevölkerung ein zusätzliches Bargeld-Einkommen von etwa 200 bis 400 US-Dollar im Jahr mit dem Verkauf von Mais, Erdnüssen, Honig, Holz und Möbeln. Das ist nicht viel, aber ausreichend, um zusätzlich zur Selbstversorgung den Grundbedarf an Marktgütern wie Salz, Zucker, Seife, Kleidung und Kosten für Bildung zu befriedigen und auf ein Fahrrad zu sparen. Für viele war das ein Ersatz für verloren gegangene städtische Einkommensmöglichkeiten. Aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Misere in den Städten und der neuen Einkommensmöglichkeiten in den Dörfern ging auch die Landflucht in diesen Jahren deutlich zurück.
Da die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise niedrig und auf Dauer schwankend waren, blieb der Grad der Marktintegration aber begrenzt: Niemand ging das Risiko ein, zugunsten der Verkaufsfrüchte die Produktion für den Eigenbedarf oder die Suche nach außerlandwirtschaftlichen Jobs aufzugeben. Doch das Überlebenssystem basierte nun auf drei Säulen: Selbstversorgung, Marktproduktion (neu) und Migration (reduziert). Keine war allein tragfähig genug, um das Überleben der Familie zu sichern. Alle drei zusammen aber halfen, den Grundbedarf zu decken, und verringerten das Existenzrisiko.
Das Marktleben floriert
In den 1990er Jahren schien all das zusammenzubrechen. Der Staat zog sich im Rahmen der von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) verordneten Strukturanpassungspolitik aus der Kleinbauernförderung zurück, ohne dass private Dienstleister die Lücke füllten. Drei aufeinanderfolgende Jahre mit unzureichenden Niederschlägen und die HIV/Aids-Pandemie kamen hinzu. In den Dörfern herrschte Weltuntergangsstimmung. Zudem waren die Kupfer-Weltmarktpreise immer noch niedrig und die staatlichen Industriebetriebe bei reduziertem Zollschutz der Weltmarktkonkurrenz nicht mehr gewachsen; Tausende Industriearbeiter verloren ihre Jobs. Der gleichzeitig stattfindende Übergang zur Mehr-Parteien-Demokratie stand unter keinem günstigen Stern.
Im Jahr 2015 zeigt ein Besuch in Kabompo ein völlig anderes Bild. Das Marktleben floriert, aus einst fünf Läden sind an die hundert geworden. Man findet Reparaturwerkstätten für Fahrräder, Agrargeräte und Computer, gut bestückt mit Ersatzteilen. Drei private Produktionsstätten für Ochsenkarren kommen den Aufträgen kaum nach. Solarpanels sind überall. Handys sind fast so verbreitet wie in Deutschland. In den Kneipen laufen Fernseher mit südafrikanischen Soaps und am Mittwochabend die Champions League. Die Hauptstraße ist nun asphaltiert. „Wir sind nun Teil der Welt – nicht mehr abgeschieden!“, lautet die häufigste Antwort auf die Frage, was sich hier verändert habe.
Der größte Teil der Nachfrage, so die Händler, komme aus den Dörfern. Die Agrarstatistiken und Besuche in einigen Dörfern bestätigen den Eindruck eines – immer noch sehr bescheidenen – Zuwachses an Wohlstand: Gegenüber 1990, dem Jahr des Rückzugs der deutschen Unterstützung, hat sich die Bevölkerung verdoppelt, die Menge der landwirtschaftlichen Überschüsse aber fast verdreifacht. Nun produzieren mehr als zwei Drittel der Bäuerinnen und Bauern für den Markt, berichtet der Chef des Landwirtschaftsamtes von Kabompo stolz. Vorurteile gegenüber „hinterwäldlerischen“ Subsistenzbauern gebe es hier keine mehr, höchstens noch in Lusaka, der Hauptstadt.
Wir besuchen einige der Gehöfte, in denen meine Frau Anfang der 1990er Jahre geforscht hat. Stolz führt eine Bäuerin, die damals noch Teenie war, auf ihre Felder. Sie bebaut einen Hektar mit Mais, die Hälfte für den Verkauf, hat zwei Maniokfelder, mit denen sich die Familie selbst versorgt, und daneben Bohnen, Erdnüsse, Süßkartoffeln. Mais lohne sich wieder, seit die Regierung einen Garantiepreis eingeführt hat und den Dünger zum halben Preis bereitstellt, erzählt sie. Davor hätten sie mehr Süßkartoffeln und Erdnüsse an private Händler verkauft. Insgesamt bleibe mehr Geld übrig als früher und mehr zu kaufen gebe es auch.
Aber die Jungen dränge es in die Stadt. Die hätten keine Lust mehr auf die Landwirtschaft. „Genau wie Ihr damals, als Ihr jung wart“, werfen wir ein. „Und jetzt verdient Ihr doch Euer Geld mit dem Ackerbau“. „Ja, weil es in der Stadt keine Zukunft für uns gab“, erwidert sie lachend.
Autor
Theo Rauch
ist Honorarprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der FU Berlin und am Seminar für Ländliche Entwicklung der HU Berlin sowie freiberuflicher Gutachter und Trainer für Entwicklungszusammenarbeit. Er arbeitet zurzeit in Ghana.Welche Lehren lassen sich aus diesen Erfahrungen ziehen? Die wohl wichtigste ist, dass man die Potenziale der ärmeren Kleinbauern nicht unterschätzen sollte. Sie können mobilisiert werden, wenn die Politik ihnen Zugang zu Märkten ermöglicht und wenn es sich für die Produzenten lohnt. Damit verbunden ist aber die Lehre, dass die Aufrechterhaltung der kleinbäuerlichen Lebensform mitsamt Subsistenzfeldern und Arbeitsmigration selten einer Vorliebe dafür geschuldet ist, sondern dem Fehlen ausreichender wirtschaftlicher Alternativen in den Städten.
Im Hinblick auf die Erfolgschancen des „Marshallplans mit Afrika“ wie auch hinsichtlich einer Reduzierung des Abwanderungsdrucks lässt sich feststellen, dass Arbeitsplätze oder gesicherte Einkommensmöglichkeiten für viele notwendig und auch realisierbar sind. Dies ist aber nicht zu schaffen, wenn man nach dem Motto „wachse oder weiche“ nur die Stärksten fördert. Jobs entstehen nicht einfach aus Investitionen. Sondern man muss gemäß dem Motto „niemanden zurücklassen“ Technologien wählen, die Arbeitskräfte binden, statt sie überflüssig zu machen, sowie Investitionen tätigen, die Jobs schaffen, statt sie zu vernichten, und Einkommensmöglichkeiten vermehren, statt sie zu ersetzen. Bessere Verdienstquellen für Kleinbauern sind dabei ebenso wichtig wie Arbeitsplätze in konkurrenzfähigen Betrieben in den Städten.
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