In Brüssel bleibt Vieles im Dunkeln

Transparenz
Kein guter Befund in Zeiten um sich greifender EU-Skepsis: Die Art und Weise, wie in Brüssel Entscheidungen getroffen werden, ist für die Öffentlichkeit nur schwer nachvollziehbar. Zu viel läuft im Verborgenen ab.

Die EU hatte sich selber 2001 gesetzlich vorgeschrieben, den EU-Bürgern die Dokumente ihrer Institutionen „in größtmöglichem Umfang direkt zugänglich“ zu machen. Der Ministerrat, die Kommission, ihre inzwischen 37 Agenturen sowie das Parlament sollten ihre internen Regeln entsprechend ändern. Der Ministerrat tat das 2011. Für die Kommission verkündete im November 2014 ihr Präsident Jean-Claude Juncker kurz nach der Debatte um die geheim gehaltenen Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, die Kommission werde nun „die Informationen veröffentlichen, wer mit ihren politischen Leitern und hohen Beamten zusammentrifft“. Außerdem erweiterte sie den Zugang zu Dokumenten.

Laut einer Untersuchung von ALTER-EU, einem Verbund von Bürgerrechtsorganisationen, wird die Kommission ihrem eigenen Anspruch allerdings nicht gerecht. Demnach mache die Kommission nur „die Spitze des Eisbergs“ von Treffen mit Interessenvertretern aller Art öffentlich. Von den 519 Lobby-Treffen im ersten Halbjahr 2016 allein im Bereich Finanzmarkt, die ALTER-EU recherchiert hat, hat die Kommission weniger als fünf Prozent offen angezeigt. Zudem sei jeder sechste der beteiligten Lobbyisten (16 Prozent) nicht im Register der Kommission eingetragen gewesen – ein Verstoß gegen die Hausordnung, die Treffen nur mit registrierten Besuchern erlaubt.

Der Bericht von ALTER-EU zeigt, dass die Regeln der Kommission ungeeignet sind, mehr Transparenz zu schaffen. Denn nur die Kommissare, ihre Kabinettschefs und die Generaldirektoren müssen Treffen anzeigen, etwa 250 Personen unter den fast 30.000 Beamten der EU-Kommission. Doch vier von fünf der von ALTER-EU recherchierten Treffen fanden auf unteren Ebenen statt – genau dort, wo die Vorlagen der Kommission bis in die kleinsten Details und Formulierungen vorbereitet werden.

Neun von zehn Treffen sind mit Wirtschaftslobbyisten

Der Bericht zeigt auch, dass 92 Prozent dieser Treffen mit Lobbyisten von Unternehmen, Banken und deren Verbänden stattfanden und lediglich acht Prozent mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen. ALTER-EU kritisiert den „fast ausschließlichen Einfluss von Unternehmensinteressen“, der im Widerspruch zur EU-rechtlichen Vorschrift nach „angemessener und repräsentativer“ Anhörung stehe.

Im EU-Ministerrat stellt sich das Problem mit Lobbyisten-Besuchen weniger, umso mehr jedoch die Frage, inwieweit Dokumente öffentlich zugänglich sind. Entscheidungen des Ministerrats werden maßgeblich im „Ausschuss der Ständigen Vertreter“ vorbereitet; dessen Sitzungen finden hinter verschlossenen Türen statt, Protokolle davon sind nicht zugänglich, ebenso wenig wie die der Ratstagungen der Minister.

Das könnte nun für Ärger sorgen: Anfang März stellte der juristische Dienst des niederländischen Parlaments in einem Gutachten diese Praxis des Ministerrats grundsätzlich infrage. Der Rat habe, so heißt es da, die EU-gesetzliche Vorschrift auf den Kopf gestellt, indem er generell alle Dokumente als vertraulich einstuft, außer sie sind ausdrücklich freigegeben. Eine der Grundregeln im EU-Vertrag sowie der EU-Transparenzverordnung von 2001 lautet jedoch umgekehrt, dass alle EU-Dokumente grundsätzlich zugänglich sein müssen, außer sie bedürfen besonderer Geheimhaltung. So wie der Ministerrat Transparenz handhabt, ist es niederländischen Parlamentsabgeordneten prinzipiell verboten, aus Ratsdokumenten zu zitieren. Und das, so der juristische Dienst, verstößt gegen die niederländische Verfassung.

Das Haager Parlament wird wahrscheinlich mit breiter Mehrheit die Regierung beauftragen, ein förmliches Verfahren gegen den EU-Ministerrat einzuleiten. Ein Sprecher des Rats in Brüssel wollte dazu bis Redaktionsschluss nichts erklären, da noch keine offizielle Information aus den Niederlanden eingetroffen sei.

Anlass für den parlamentarischen Vorstoß in Den Haag war die Geheimhaltung des sogenannten „Trialogs“, also des informellen Verfahrens, in dem Ministerrat, Parlament und Kommission EU-Vorlagen aushandeln, wenn nach einem ersten Durchgang (Lesung) keine gemeinsame Position gefunden wird. Das findet in einer rechtlichen Grauzone statt, denn dafür gibt es keine formelle institutionelle Grundlage. In der Praxis ist der Trialog jedoch der entscheidende Schritt in der gesamten EU-Gesetzgebung geworden: Das Parlament und der Ministerrat nicken die dort verhandelten Kompromisse in der Regel ohne weitere Debatte ab. Weil die Diskussion im Trialog geheim gehalten wird, kann nicht nachverfolgt werden, welche Position ein Minister darin vertreten hat – und ob er seinem Parlament zu Hause etwas anderes erzählt.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2017: Die Versuchung des Populismus
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