Nach der Reform ist vor der Reform

EU-Emissionshandel
Die EU schraubt wieder einmal an ihrem Emissionshandelssystem. Das Ziel: den Preissturz der Zertifikate stoppen und die Wirksamkeit des Systems für den Klimaschutz erhöhen. Jetzt beginnt der Zank um die Details.

Noch vor der Klimakonferenz 2015 in Paris hatte die EU-Kommission neue Vorschläge für eine Reform des EU-Handels mit Emissionszertifikaten vorgelegt. Mitte Februar will das EU-Parlament nun über die Vorschläge debattieren. Doch schon die Behandlung in den Ausschüssen hat so viele unterschiedliche Positionen zwischen wie auch innerhalb der politischen Gruppen offengelegt, dass allenfalls ein schwacher Kompromiss zu erwarten ist.

Gleiches gilt für die EU-Mitglieder. Die Umweltminister trennten sich nach ihrer Tagung im Dezember mit dem Ergebnis, kein Ergebnis zu den Vorschlägen der Kommission gefunden zu haben. EU-Länder im Süden und Osten, darunter Spanien, Italien, Polen und die baltischen Länder, klagen, der Emissionshandel belaste ihre Wirtschaft zu stark. Länder wie Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei fordern zudem mehr Geld aus den Einnahmen aus dem Emissionshandel für die erforderlichen technischen Umstellungen ihrer Unternehmen.

Dazu müssten allerdings die Einnahmen aus dem Emissionshandel steigen und das wiederum setzt einen höheren Preis für die Zertifikate voraus. Einen höheren Preis fordern auch West- und Nordländer der EU, damit der Handel überhaupt klimaschützende Wirkung entfalten kann. Länder wie Deutschland, Frankreich, Spanien und Britannien wollen dann allerdings mehr kostenlose Zertifikate für ihre Schwerindustrie, was die skandinavischen Länder strikt ablehnen.

Viele Industrien bekommen die Zertifikate geschenkt

Die Kommission versucht mit ihrer Vorlage, allen Forderungen ein wenig gerecht zu werden. So soll die Gesamtmenge der auszuteilenden Emissionszertifikate jedes Jahr ab 2021 um 2,2 Prozent vermindert werden. Das reicht aber nicht, um die von der EU auf der Klimakonferenz 2015 in Paris zugesagte Reduzierung zu erreichen. Von Beginn an wurden innerhalb des Handelssystems mehr Zertifikate ausgegeben, als tatsächlich verbraucht wurden.

Die Folge: Bis heute hat sich ein Überschuss angesammelt, der die gesamten der EU-Emissionen während eines Jahres abdeckt. Der Preis für eine Tonne Kohlendioxid ist deshalb auf weniger als sechs Euro zusammengebrochen. Ein Preis von 20 Euro wäre nötig, um schmutzige Kohlekraft durch Erdgas zu ersetzen. Um in der EU fossile Energieträger weitgehend durch erneuerbare Quellen zu ersetzen, müsste die Tonne CO2 sogar 30 Euro kosten.

Zudem haben viel Energie verbrauchende Industriezweige ihre Emissionszertifikate von Beginn an gratis erhalten. In der bis 2020 laufenden Phase 3 des Handelssystems müssen nur die Elektrizitätswerke ihre Erlaubnisse kaufen, während ein Großteil der Industrien wie Chemie, Glas, Papier und Metall sie umsonst bekommt, zumindest wenn ihre Produktionsverfahren technisch einigermaßen auf der Höhe sind. Das EU-Emissionshandelssystem erfasst gut elftausend Großbetriebe, doch fast drei von fünf Tonnen CO2 (58 Prozent) können diese Unternehmen kostenlos in die Atmosphäre entlassen – ein Erfolg der Industrielobby, die mit der Verlagerung ins Ausland und mit Arbeitsplatzverlusten droht.

Künftig weniger billige CDM-Zertifikate?

Die Kommission will den Anteil der kostenlosen Zertifikate für die nächste Phase des Handels ab 2021 auf 43 Prozent begrenzen. Der Industrieausschuss des EU-Parlaments billigte die Kommissionsvorlage zwar insgesamt, plädiert aber für 48 Prozent kostenlose Zertifikate. Der Umweltausschuss ist mit 43 Prozent einverstanden, will aber wenigstens die Zementindustrie aus der Liste der Begünstigten streichen. Vor allem fordert er, die Gesamtmenge jährlich um 2,4 Prozent zu senken und nicht nur um die von der Kommission vorgeschlagenen 2,2 Prozent.

Noch mehr Widerspruch gibt es zwischen den Ausschüssen und zwischen den Ministern in der Frage, wie der Überhang an Zertifikaten abzubauen ist. Der Industrieausschuss will so wie die Kommission einen Teil davon als Reserve zurückstellen, die bei steigenden Preisen wieder auf den Markt gegeben werden kann. Der Umweltausschuss hingegen will einen wesentlich größeren Teil ganz aus dem Verkehr ziehen. Bei den Mitgliedsländern wiederum hat sich ein Block aus ost- und südeuropäischen Ländern gebildet, die eine Streichung der überschüssigen Erlaubnisse auf keinen Fall hinnehmen wollen, wenn sie nicht im Gegenwert Zuschüsse zur energetischen Modernisierung ihrer Industrien erhalten.

Selbst wenn eine Lösung für die überschüssigen Zertifikate gefunden wird: Es bliebe das Problem, das Unternehmen zusätzlich zu den in Europa gehandelten Zertifikaten Emissionsrechte aus dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) der Vereinten Nationen zukaufen können. Dazu müssen sie lediglich in klimafreundliche Technologien in Entwicklungsländern investieren. Die CDM-Zertifikate sind noch viel billiger als die des EU-Handelssystems.

Wie hoch der Anteil von CDM-Zertifikaten an den gesamten Emissionsrechten eines Unternehmens sein darf, schwankt von Land zu Land: Bis 2019 sind es in Deutschland und Österreich höchstens 22 Prozent, während die Schweiz 50 Prozent erlaubt. Ab 2020 sollen diese Länderquoten nicht mehr gelten; CDM-Zertifikate dürfen dann nur noch höchstens 11 Prozent der im EU-Systems gehandelten Zertifikate ausmachen.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2017: Europa: Die zaudernde Weltmacht
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