Die Veranstaltung Ende September in Berlin war die erste dieser Art, seit Müllers Ministerium im Februar mit einer neuen Strategie die Bedeutung von Glaubensbewegungen für die Entwicklungszusammenarbeit aufgewertet hatte. Aus Ägypten kamen unter anderen der Präsident der Protestantischen Kirchen, Andrea Zaki Stephanous, sowie Scheich Usama al-Sayyid Al-Azhari, Abgeordneter und Berater des ägyptischen Präsidenten in Religionsfragen.
Deutschland unterstützt in Ägypten bislang vor allem Reformvorhaben der ägyptischen Regierung. Der koptische Kirchenführer Zaki, der in Berlin auch den Entwicklungsausschuss im Bundestag und das Außenministerium besuchte, erwartet künftig mehr Hilfe für die Zivilgesellschaft. Sein Hilfswerk CEOSS, das bislang vor allem Zuschüsse von Brot für die Welt erhält, bot er als Partner für ein verstärktes politisches Engagement in Ägypten an. Mit Minister Müller habe er ein mögliches neues Programm für Hilfe in der Landwirtschaft besprochen, sagte er.
CEOSS organisiert „runde Tische“ für interreligiöse und interkulturelle Dialoge und leistet vor allem in ländlichen Räumen Basisarbeit in der Landwirtschaft, Schulbildung und Gesundheitsversorgung. Die Organisation erreicht nach eigenen Angaben zwei Millionen Menschen. Wegen der sich verschlechternden Menschenrechtslage und der restriktiven Gesetzgebung gegen zivilgesellschaftliche Organisationen ziehen sich immer mehr ausländische NGOs und Stiftungen aus dem arabischen Land zurück.
Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt, das mit CEOSS kooperiert, erhofft sich Zuwendungen aus Müllers Initiativen zum Kampf gegen Fluchtursachen und für Hilfen für Aufnahmestaaten, für die beide im Haushalt Sondermittel vorgesehen sind. Vorstandsmitglied Claudia Warning betonte, CEOSS sei eine von wenigen Organisationen, die einen wirklich sinnvollen Beitrag leisteten, um Einkommen für Arme zu schaffen, die der Hunger auf die Straße treibe.
Etwa ein Viertel der Ägypter lebt unterhalb der Armutsgrenze, vier Fünftel gelten als sozial bedürftig. Besonders der Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten ist eingeschränkt. Unter den 15- bis 24-Jährigen sind fast 40 Prozent arbeitslos. Zudem wird Ägypten immer mehr zum Transitland für Geflüchtete aus arabischen und afrikanischen Nachbarländern. Nach eigenen Angaben beherbergt es fünf Millionen Flüchtlinge und Migranten, darunter 5000 Syrer.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich jüngst für Flüchtlingsabkommen mit weiteren Mittelmeeranrainern ausgesprochen, darunter auch Ägypten. In ähnlichen Vereinbarungen wie dem mit der Türkei könnte Ländern Nordafrikas Hilfe für die Versorgung von Geflüchteten in Aussicht gestellt werden.
Zuletzt hat sich deutsche Hilfe für Ägypten auf die Bereiche berufliche Bildung, Beschäftigungsförderung und ländliche Entwicklung konzentriert. Für 2016 und 2017 hat die Bundesregierung 151 Millionen Euro zugesagt, davon zwei Drittel als Darlehen. Schwerpunkte der Zusage 2015 in Höhe von 68 Millionen Euro waren Wassermanagement, Energie und Wirtschaftsentwicklung. Die Förderung der Zivilgesellschaft sei als Querschnittsthema bereits in zahlreichen Projekten verankert, betont das Ministerium. Müller betrachtet eine „lebendige Zivilgesellschaft“ als entscheidende Voraussetzung für ein stabiles Ägypten.
Die christlich-koptische Minderheit wird in dem Land seit Jahren von der muslimischen Mehrheit benachteiligt. Immer wieder entladen sich die konfessionellen Spannungen in gewalttätigen Auseinandersetzungen. Kirchenpräsident Zaki würdigte in Berlin jedoch ein neues Gesetz als erheblichen Fortschritt für das friedliche Miteinander von Christen und Muslimen. Zum ersten Mal seit 160 Jahren hätten die Kirchen mehr Freiheiten bei der Renovierung und dem Neubau von Gotteshäusern erhalten.
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