Wege zu Null Emissionen

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Klimaschutz
Der Klimawandel droht viele Entwicklungserfolge zunichte zu machen. Um ihn zu begrenzen, müssen jetzt die Weichen so gestellt werden, dass am Ende die gesamte Wirtschaft ohne fossile Brennstoffe auskommt. Das ist schwierig, aber möglich.

Das Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015 ist ein enormer Erfolg der Klimadiplomatie. Zum ersten Mal haben sich alle Staaten darauf festgelegt, die durchschnittliche Erwärmung der Erdtemperatur auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, auch die Marke von 1,5 Grad nicht zu überschreiten. Das Abkommen trägt ausdrücklich einer wissenschaftlichen Einsicht Rechnung: Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn die weltweiten Nettoemissionen an Treibhausgasen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf null fallen. Jedes Land muss sich also „entkarbonisieren“.

Der Schwerpunkt der internationalen Klimapolitik muss nun von Verhandlungen auf die Umsetzung verschoben werden. Hier sind die Aufgaben immens: Um das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, müssen weltweit die Treibhausgasemissionen aus der Nutzung von Energie von heute durchschnittlich 6,4 Tonnen Kohlendioxid (CO2) pro Kopf auf 1,7 Tonnen bis 2050 und null bis 2070 fallen. Man geht davon aus, dass bis 2050 die Weltwirtschaft um das Zwei- bis Dreifache wachsen wird. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung müssen also die Emissionen bis 2050 um das Fünf- bis Siebenfache fallen. Um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, müsste weltweite Klimaneutralität bereits 2050 erreicht werden.

Im Jahr 2013 hat das Sustainable Development Solutions Network (SDSN) gemeinsam mit dem französischen Think Tank Iddri führende Forschungsinstitute in den 16 größten Industrie- und Schwellenländern gefragt, welche Studien dort zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels zur Verfügung stünden. Das Ergebnis war ernüchternd. Zwei Jahre vor dem Klimagipfel in Paris hatten die meisten Regierungen kaum Ahnung, wie das Ziel in ihren Ländern erreicht werden könnte. Lediglich Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten detaillierte Studien zur langfristigen Entkarbonisierung erstellt. Nirgends sonst gab es von den Regierungen als glaubwürdig angesehenen Analysen, wie eine Entkarbonisierung der nationalen Energiesysteme – also des gesamten Energieeinsatzes – erreicht werden könnte. Dabei war das Ziel bereits 2009 von der internationalen Klimapolitik beschlossen worden.

Detaillierte Analysen für 16 Länder

Daraufhin haben das SDSN und Iddri das „Deep Decarbonization Pathway Project“ (DDPP) ins Leben gerufen. Sechzehn Länderteams haben für ihr jeweiliges Land eine detaillierte Analyse erstellt, wie die Treibhausgasemissionen auf rund 1,7 Tonnen CO2 pro Kopf im Jahr 2050 verringert werden können. Diese Entkarbonisierung ist danach technisch machbar und finanzierbar. Sie ist außerdem vereinbar mit einem fortlaufenden Wirtschaftswachstum und der Bekämpfung der Armut.

Die Transformationspfade der einzelnen Länder beruhen auf drei Säulen: Zum einen muss die Energieeffizienz drastisch erhöht, also derselbe Nutzen mit weniger Energie erzielt werden. Dazu dienen unter anderem die verbesserte Isolierung von Gebäuden, geringere Übertragungsverluste und effizientere Endgeräte. Zweitens muss bis 2050 die Stromerzeugung komplett klimaneutral werden. Hierzu stehen neben den erneuerbaren Energieträgern auch die Abspaltung und Speicherung von CO2 aus fossilen Kraftwerken (Carbon Capture and Storage, CCS) sowie die Kernenergie zur Verfügung. Drittens müssen fossile Brennstoffe dort, wo sie direkt genutzt werden, durch klimaneutralen Strom oder Biotreibstoffe ersetzt werden. Dies gilt besonders für den Verkehr, wo batterie- oder wasserstoffgetriebene Fahrzeuge den Ottomotor ersetzen müssen, sowie für die Gebäudeheizung, wo Strom Heizöl oder Erdgas ersetzen muss.

Jedes der 16 Länderteams hat unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Viele folgen dem deutschen Beispiel und schließen die Nutzung der Kernenergie aus. Die Fachleute in China, Indien, den USA und anderen Ländern hingegen sehen keine Möglichkeit, ihre Energiesysteme ohne Kernenergie zu entkarbonisieren. Industriestaaten haben oft weit ausgebaute Pipelinenetze, die weiter genutzt werden können, wenn Strom – zum Beispiel aus Wind und Sonne – in flüssige oder gasförmige Brennstoffe umgewandelt wird. In den meisten Entwicklungsländern fehlt diese Infrastruktur, so dass Stromnetze verstärkt ausgebaut werden müssen. Wichtig ist, die drei Säulen gemeinsam in einem Systemansatz zu vereinen.

Viele Länder, darunter Deutschland, unterstützen die Entkarbonisierung im Gebäudesektor fast ausschließlich über Förderprogramme zur Verbesserung der Wärmeisolierung. Begleitend wird die Effizienz von Haushaltsgeräten und Heizungen gesteigert. In einigen Fällen sind die Grenzkosten der thermischen Isolierung aber deutlich höher als die Kosten dafür, Heizungen auf Strom umzustellen (Säule 3) und zugleich die Stromerzeugung klimaneutral zu machen (Säule 2). Auf Teilbereiche beschränkte Ansätze können also zu erhöhten Kosten und verzögerter Emissionsminderung führen.

Anders als manche globale Studien sehen unsere Länderteams das Potenzial von langfristigen natürlichen CO2-Senken, zum Beispiel Wäldern, und von Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre angeht. Darum muss jede nur erdenkliche Quelle an Treibhausgasen CO2-frei gemacht werden.

Der Klimaschutz und die Nachhaltigkeitsziele

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Bis 2050 wird es nach dem heutigen Stand der Technik kaum möglich sein, die Energiesysteme ganz zu entkarbonisieren. Insbesondere der Flug- und Schiffsverkehr sowie einige Industrien wie die Stahl- und Zementproduktion bereiten große Probleme. Um hier fossile Brennstoffe vollständig durch Biomasse zu ersetzen, müsste man in fast allen Ländern mehr Biomasse erzeugen, als möglich scheint. Hier benötigen wir noch technologische Fortschritte.

Die größten Fragezeichen gibt es bei Land- und Waldwirtschaft, die in den drei Säulen noch nicht berücksichtigt sind. Es gibt zu wenig belastbare Analysen, wie Länder die Emissionen daraus auf null senken können. Dies ist eine bedeutende Wissenslücke, die schnellstens geschlossen werden muss. Denn dieser Bereich ist für etwa ein Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich.

Die Länderstrategien unterstreichen: Gemeinsame Anstrengungen sind notwendig, um klimafreundliche Technologien schneller zu entwickeln und anzuwenden, besonders in den Bereichen Verkehr und Stromerzeugung. Beispielsweise geht man heute davon aus, dass bis 2040 ungefähr 40 Prozent der PKW-Neuzulassungen mit Strom oder Treibstoff fahren, die CO2-frei erzeugt werden können. Aber sämtliche realistischen Transformationspfade zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels sehen vor, dass nahezu 100 Prozent der PKW-Neuzulassungen im Jahr 2030 klimaneutral sein müssen. Eine solche Beschleunigung des technischen Fortschritts scheint möglich zu sein, bedarf aber verstärkter internationaler Kooperation in der Innovationsförderung. Hierfür benötigen wir langfristige internationale Strategien, um öffentliche und private Investitionen in die technologische Entwicklung zu erhöhen und besser zu koordinieren. Leider fehlen diese noch weitgehend.

Eine zentrale Lehre aus den 16 Länderszenarien ist, dass langfristige Transformationspfade nötig sind – mindestens bis zum Jahr 2050. Anders lässt sich die tiefgreifende Umgestaltung der nationalen Energiesysteme und der dazugehörigen Infrastruktur sowie des damit verbundenen sozialen Wandels nicht abbilden. Das zentrale Instrument der internationalen Klimaverhandlungen, die von den einzelnen Staaten versprochenen nationalen Beiträge (Intended Nationally Determined Contributions, INDCs) mit Zieldatum 2025 oder 2030, greifen deutlich zu kurz und können Länder sogar in die falsche Richtung schicken: Viele INDCs setzen primär auf Effizienzsteigerung beim Ottomotor und auf den Übergang von Stromerzeugung aus Kohle zu Erdgas. Beide Strategien ermöglichen bis 2030 Senkungen der Treibhausgasemissionen in einer Höhe, die im Einklang mit dem Zwei-Grad-Ziel sind. Aber dann werden sie zu einer Sackgasse, weil danach, wenn das Ziel erreicht werden soll, gar keine Emissionen von Ottomotor und Erdgas mehr geduldet werden dürfen.

Langfristige Pläne entwickeln

Langfristig ausgelegte Strategien werden deshalb frühzeitig einen Ausstieg aus der Stromerzeugung mittels fossiler Brennstoffe einleiten, es sei denn, CCS kann in ausreichendem Maße eingesetzt werden. Ebenso muss der Privatverkehr sehr schnell auf batterie- oder wasserstoffgetriebene Autos umsteigen. Für beide Ziele müssen die Investitionen und politischen Schritte in den Bereichen Verkehr und Stromnetz eng verzahnt werden. Diese zentralen Fragen werden in kurzfristigen INDCs nicht einmal erwähnt.

Es ist deshalb sehr bedeutend, dass sich die Mitgliedsstaaten der Klimakonvention in Paris in Artikel 4.19 verpflichten, langfristige Transformationsstrategien bis 2050 zu entwickeln. Sie sind ein neues, wichtiges Instrument, um nationale Energiewenden in die richtige Richtung zu lenken, international mehr Anreize zur Technologiekooperation zu senden und Vertrauen zu schaffen, dass jedes Land seine Energiewende systematisch angeht.

Die Bundesregierung versucht im Rahmen ihrer G20-Präsidentschaft im kommenden Jahr, die Erstellung dieser Strategien zu beschleunigen. Diese Initiative ist sehr begrüßenswert und sollte von allen G20-Staaten sowie der Industrie und Zivilgesellschaft unterstützt werden. Wenn zahlreiche G20-Staaten technisch solide langfristige Strategien vorlegen, kann die im Pariser Vertrag für 2018 vorgesehene Bestandsaufnahme der nationalen Klimaschutzziele (Stock-taking) genutzt werden, um die unzureichenden INDCs ambitionierter zu machen und für einzelne Sektoren erste Technologiestandards zu beschließen. Bis dahin müsste natürlich auch das Ambitionsniveau des deutschen Nationalen Klimaschutzplans angehoben werden, um eine vollständige Entkarbonisierung in Deutschland einzuleiten.

Die Diskussion um nationale Klimapolitik muss sich auch stärker auf Emissionsziele und Technologiepfade statt auf Politikinstrumente konzentrieren. Ein Preis für CO2-Emissionen ist wichtig, aber beileibe kein Allheilmittel. Für die Transformation sind wichtige Strukturentscheidungen zu treffen, die nicht vom Markt über ein Preissignal gesteuert werden können. Beispielsweise werden sich Staaten bald entscheiden müssen, ob sie den Verkehr mittels Elektro- oder Wasserstoffautos entkarbonisieren wollen, da beide Technologien unterschiedliche Anforderungen an die Infrastruktur stellen. Diese Entscheidung kann nicht allein auf Preissignalen beruhen. Das gleiche gilt für die schwierigen Fragen, ob Länder Kernkraft behalten oder gar ausbauen wollen, ob Stromnetze für erneuerbare Energien ausgebaut werden müssen oder ob im europäischen Stromverbund Solarstrom aus dem Süden gen Norden fließen soll.

Autor

Guido Schmidt-Traub

ist geschäftsführender Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network in Paris. Das Netzwerk sammelt technische und wissenschaftliche Expertise für die Umsetzung des Klimaschutzes und der UN-Nachhaltigkeitsziele.
Aus meiner persönlichen Erfahrung in den Kohlenstoffmärkten habe ich außerdem gelernt, dass Emissionszertifikate die „falschen“ Reaktionen in Unternehmen auslösen können. Viele Konzerne haben auf den europäischen Emissionshandel mit der Einstellung von Finanzspezialisten reagiert, um sich gegen Schwankungen der Preise für Emissionsrechte abzusichern oder sogenannte Offsets auf internationalen Märkten einzukaufen. Statt ihre Finanzinstrumente zu optimieren, sollten die Unternehmen aber die Arbeit ihrer Ingenieure auf die Entkarbonisierung ausrichten. Das kann vielfach leichter mit langfristigen technischen Vorgaben etwa für den Energieverbrauch erreicht werden als mit schwankenden und oft kurzfristigen Preissignalen. So wurden Effizienzsteigerungen beim Ottomotor bisher primär durch Regularien erzielt als durch den Kraftstoffpreis.

Aus diesen Gründen brauchen wir neben den langfristigen Transformationsstrategien auch Technologiestandards wie ein Moratorium auf Kohlekraftwerke, EU-weite Effizienzstandards für Haushaltsgeräte und maximale CO2-Emissionen und Flottenstandards für PKWs. Diese Standards müssen mit CO2-Preisen und deutlich erhöhter Technologieförderung gekoppelt werden, um den technischen Fortschritt zu beschleunigen.

In den kommenden zwölf Monaten müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden, um die langfristige Entkarbonisierung der Weltwirtschaft einzuleiten. Nicht zuletzt müssen sich auch die internationalen Klimaverhandlungen ändern. Bisher waren die jährlichen Verhandlungen ein Parkett für Diplomaten und Klimaunterhändler. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Pariser Abkommens sollten die Länder nun technische Experten für Umsetzungsfragen zu den Klimagipfeln entsenden, um gemeinsam zu besprechen, wie Stromnetze oder das Verkehrswesen entkarbonisiert werden können. Unter marokkanischer Präsidentschaft macht die Klimakonferenz im November einen wichtigen Schritt in diese Richtung: Technische Experten sind zu einer zweitägigen Diskussion eingeladen.

Nächstes Jahr folgt dann der G20-Gipfel in Deutschland. Hoffentlich werden in den nächsten zwölf Monaten die nötigen Impulse für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels gesetzt.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2016: Frauen: Gemeinsam stark
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