Was der Brexit für Afrika bedeutet

Entwicklungspolitik
Der Brexit wird die Politik gegenüber den Ländern des Südens verändern. Aber die Europäische Union bleibt reich und mächtig genug, um viele Probleme lösen zu können. Sie darf sich nur nicht weiter abschotten.

Europa gibt derzeit kein gutes Vorbild für seinen großen Nachbarn im Süden ab. In Afrika stehen die Zeichen auf mehr Integration: Vor einem Jahr haben zwei Dutzend afrikanische Länder beschlossen, eine Freihandelszone von Kairo bis Kapstadt zu schaffen. Zudem denkt die Afrikanische Union über die Einführung eines einheitlichen Reisepasses nach, damit sich alle Bürger und Bürgerinnen möglichst frei auf dem Kontinent bewegen können.

Und die Europäische Union? Die sabotiert diese Pläne, indem sie genau das Gegenteil von den afrikanischen Regierungen fordert: Länder wie der Senegal, Mauretanien, der Sudan oder Nigeria sollen ihre Grenzen dicht machen, so dass nicht noch mehr Leute von dort auf die Idee kommen, nach Europa auszuwandern. Länder, die da nicht mitmachen wollen, müssen damit rechnen, dass ihnen die Entwicklungshilfe gekürzt wird.

Europa ist attraktiv, mächtig und reich. Dieses Potenzial könnte der Kontinent nutzen, um globale Aufgaben, die mit Flucht und Migration, Armut und Klimawandel sowie Sicherheit, Krieg und Frieden zu tun haben, beherzt und mit Zuversicht anzugehen. Stattdessen wirkt der Alte Kontinent wie ein zaudernder Riese, der ängstlich die Schultern hochzieht, sich einigelt und mit den Unbilden der Welt da draußen nichts zu tun haben will.

Und jetzt hat Brüssel von der britischen Insel mit dem Brexit auch noch eine schallende Ohrfeige bekommen: Das Misstrauensvotum der Briten könnte den Trend zusätzlich verstärken, dass Europa sich von der Welt abwendet und auf sich selbst konzentriert. Es könnte aber auch Anlass sein, dass sich die Europäische Union besinnt und ihre Politik wieder stärker an den Werten orientiert, für die der Kontinent immer noch steht: Menschenrechte und Demokratie, Weltoffenheit, Wohlstand und Gerechtigkeit, friedliche Konfliktbearbeitung.

Zurück zu den kolonialen Einflusssphären

Sollte London tatsächlich den Austritt aus der Union vollziehen, dann wird das Europas Politik gegenüber den Ländern des Südens, vor allem Afrikas, verändern. Der EU-Entwicklungspolitik wird der Beitrag Großbritanniens fehlen – und das Königreich wird feststellen, dass sein entwicklungspolitischer Arm längst nicht so weit reicht wie als Mitglied der EU. Zwar tönte der britische Afrikaminister und Brexit-Befürworter James Duddridge Anfang Juni, ohne die EU könne Großbritannien endlich wieder eine vernünftige Afrikapolitik machen. Denn in den anderen europäischen Hauptstädten habe man von dem Nachbarkontinent doch keine Ahnung. Mit anderen Worten: Nach dem Brexit würde sich London wieder stärker an früheren kolonialen Einflusssphären und an gegenwärtigen postkolonialen Interessen in Afrika orientieren. Dort dürfte das allerdings kaum auf Begeisterung stoßen. Und in nicht anglophonen Ländern, in denen das Königreich bislang über die EU Einfluss hatte, hätte es nicht mehr viel zu sagen.

Umgekehrt verliert die EU-Entwicklungspolitik mit Großbritannien einen großzügigen Geldgeber: Aus London kamen zuletzt gut 14 Prozent des Europäischen Entwicklungsfonds, aus dem ein großer Teil der EU-Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird. Aus London kamen auch immer wieder Initiativen, die die europäische Politik im Süden geprägt oder für fruchtbare kontroverse Debatten gesorgt haben, etwa der Fokus auf fragile Staaten oder das Eintreten für Hilfe beim Aufbau von Militär und Polizei. Mit Großbritannien verlieren die Entwicklungsländer außerdem einen wichtigen Verbündeten im Kampf gegen eine protektionistische EU-Agrarpolitik.

Es braucht weitsichtige europäische Politiker

Außen- und entwicklungspolitisch schwächt der Brexit beide Seiten, vor allem aber Großbritannien. Das Brexit-Lager hat den Briten versprochen, ohne EU werde es weniger Ausländer auf der Insel geben. Kurzfristig stimmt das vielleicht sogar. Aber längerfristig kann sich auch das Königreich den Problemen nicht verschließen, die hinter der wachsenden Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern stehen. Die Krisen und Missstände in Europas Nachbarschaft werden nicht von selbst verschwinden, sondern müssen bearbeitet werden. Und das wird nur einer starken, einigen Europäischen Union gelingen.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".
Dafür bräuchte es allerdings weitsichtige europäische Politiker und Politikerinnen, die sich von populistischer EU-Kritik nicht ins Bockshorn jagen lassen. Es bräuchte Politiker, die Europas Potenziale nicht nur für menschenrechtlich fragwürdige Flüchtlingsdeals mit Staaten rund ums Mittelmeer nutzen, sondern dafür, gemeinsam mit diesen Staaten langfristige Lösungen zu finden. Die EU könnte etwa auf die Staaten Afrikas zugehen und Abkommen mit ihnen über mehr legale Wege für Arbeitsmigranten schließen – statt von ihnen zu verlangen, die Grenzen zu schließen.

Das wäre eine Europäische Union, die dann auch wieder der Afrikanischen Union als Vorbild dienen könnte.

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