Laut CREUSET hat der Kinderhandel im Norden Togos zugenommen. Wie viele Kinder haben Sie dieses Jahr befreit?
Im Januar haben wir innerhalb von zwei Wochen in Zusammenarbeit mit der Gendarmerie 44 Kinder befreit, die über Benin nach Nigeria gebracht werden sollten. Einige waren wie Gepäckstücke auf dem Dach eines Wagens festgezurrt. Von Januar bis März waren es 72 Kinder.
Wie spielt sich der Kinderhandel ab?
Kinderhändler kommen in die Dörfer, spielen Musik vor und locken Kinder mit Versprechen – zum Beispiel: Wenn Du nach Nigeria mitkommst, kriegst du ein Radio. Sie sind auch bereit, die Eltern zu bestechen. Viele dieser Händler waren früher selbst Opfer von Kinderhandel. Sie wissen, wie das System funktioniert. Viele werden angeredet mit einem Wort, das in Nigeria „Chef“ bedeutet.
Das heißt sie sind keine Togoer?
Teilweise sind sie Togoer, leben aber seit langer Zeit in Nigeria oder Gabun. Sie rekrutieren auch nicht nur in Togo. Das Land hat eine lange Grenze zu Ghana, und von den 44 Kindern, die wir im Januar aus den Händen von Schmugglern befreit haben, waren ungefähr 20 aus Ghana. Für die Händler ist Togo auch Transitland von Ghana nach Nigeria.
Nehmen sie in Togo vor allem bestimmte Regionen aufs Korn?
Ja, vor allem den Norden des Landes. Am stärksten betroffen sind die Regionen Kara und Centrale – hier besonders die Präfektur Tschamba. Bassar in der Region Kara ist die am stärksten betroffene Präfektur des Landes. Es ist eine Region, in der viele Eltern in erbärmlichen Verhältnissen leben. Sie schaffen es nicht, für ihre eigenen Bedürfnisse und zugleich die ihrer Kinder zu sorgen. Manche versuchen deshalb, ihre Lage zu ändern, indem sie ihre Kinder nach Nigeria schicken.
Die Eltern sind einverstanden, dass ihre Kinder nach Nigeria gehen?
Manche. Ein Teil der Kinder geht ohne Wissen der Eltern, ein Teil mit deren Wissen und Billigung. Manche zwingen ihre Kinder sogar zu gehen, wenn die das selbst nicht wollen. Zum Beispiel sieht jemand, dass der Nachbar seine Kinder nach Nigeria geschickt hat und jetzt ein Wellblechdach für seine Hütte hat. Da fragt er seine Kinder: Wollt ihr nicht auch nach Nigeria? An dem Geschäft sind aber noch viele andere beteiligt. Manche traditionelle lokale Führer bekommen von Kinderhändlern Geld und Geschenke.
Die Händler spannen auch Taxifahrer ein: Vor der Grenze lassen sie die Kinder aus ihren Fahrzeugen aussteigen und von Motorrad-Taxen durch die Grenzkontrolle bringen; dahinter steigen die Kinder dann wieder ein. Auch manche Fahrer von Bussen und Minibussen profitieren. Sie sagen zum Beispiel, wenn eine Fahrt eigentlich 3000 Francs CFA kostet: Okay, 6000 Francs und ich nehme euch mit.
Welche Arbeiten müssen die Kinder in Nigeria tun?
Nach dem, was die Kinder erzählt haben, müssen die Jungen Arbeiten übernehmen wie erwachsene Männer. Sie werden auf den Feldern ausgebeutet und arbeiten dort viele Stunden am Tag. Manche können nicht einmal nachts schlafen, weil die Kinderhändler sie 24 Stunden in Bereitschaft halten. Die Mädchen arbeiten vor allem als Bedienstete im Haushalt. Häufig sind sie im Haus eingesperrt und werden Opfer von sexueller Ausbeutung.
Bekommen sie einen kleinen Lohn?
Soweit wir wissen, ist eine lächerlich geringe Bezahlung üblich. Davon geht aber ein Teil an den Schmuggler oder andere Beteiligte – zum Beispiel für das Handgeld an deren Komplizen, für die Transportkosten oder als „Kosten der Rekrutierung“. Manche Kinder arbeiten Monate oder gar Jahre, bevor sie ein paar wenige Francs selbst erhalten. Manche bekommen auch gar nichts und werden selbst bei Krankheiten sich selbst überlassen.
Wie hilft CREUSET befreiten Kindern?
CREUSET hat ein Kommunikationsnetz mit den Sicherheitskräften aufgebaut. Wenn sie in unserer Präfektur Opfer von Kinderhandel finden, dann verständigen sie uns. In unserem Zentrum zum Schutz von Kindern finden sie vorübergehend Zuflucht – neben anderen misshandelten oder gefährdeten Minderjährigen, zum Beispiel Straßenkindern und Kindern, die wegen Hexerei beschuldigt und von zu Hause verjagt werden. Im Zentrum können sie essen, sich waschen und so weiter. Währenddessen machen wir uns auf die Suche nach ihren Eltern. Wenn die Kinder nicht aus Togo sind, setzen wir uns mit Partnerorganisationen und Behörden in Ghana in Verbindung. Wenn dann die Kinder wieder bei ihren Eltern sind, muss man ihre Lebensverhältnisse verbessern. Manchen helfen wir, wieder in die Schule zu gehen. Andere unterstützen wir dabei, einen Beruf zu lernen und danach eine kleine Werkstatt oder einen Laden aufzumachen. Unsere Arbeit wird vom Verein Kinderrechte Afrika und der deutschen Botschaft in Togo unterstützt.
Findet man in den meisten Fällen die Eltern der befreiten Kinder?
Ja. Aber dass die Kinder wieder in ihre Familien eingegliedert werden, ist nicht in erster Linie die Aufgabe unseres Zentrums. Dafür spielen die Führer der lokalen Gemeinschaften eine wichtige Rolle.
Was geschieht in Togo, um den Kinderhandel zu stoppen?
Es gibt Gesetze, die diesen Handel verbieten. Togo hat auch entsprechende internationale Abkommen zum Schutz von Kindern ratifiziert wie die Kinderrechtskonvention. Wir arbeiten mit der Gendarmerie und der Polizei zusammen, um Kinderhändler und ihre Komplizen zu finden. Oft berufen sich die Ordnungskräfte aber darauf, dass ihnen die Mittel fehlen, um das zu schaffen, und sie Partner benötigen.
Finden die Kinderhändler auch Komplizen bei Ordnungskräften?
Oh ja, leider. Auch von denen nehmen einige Geld von den Schmugglern. Man muss aber sagen, dass dies nicht so häufig ist – die Bewusstseinsbildung zeigt hier Wirkung.
Aber Sie unterstützen den Staat dabei, das Gesetz durchzusetzen?
Wir versuchen zusammen mit Kinderrechte Afrika, die Kinderrechte im ländlichen Togo kulturell zu verankern. Die Familien und die Kinder, die geschützt werden sollen, kennen die Gesetze oft nicht und auch manche Kinderhändler wissen nicht, dass sie gegen Gesetze verstoßen. Man muss diese Informationen verbreiten – auch unter Menschen, die kaum lesen können. Einige Eltern verstehen nicht, warum sie ihre Kinder nicht nach Nigeria oder Gabun schicken dürfen. Sie denken, dass sie mit den eigenen Kindern machen können, was sie wollen.
Die Kultur des Umgangs mit Kindern muss sich ändern?
Ja. Die Einstellung der Gemeinschaften zur Behandlung von Kindern ist im ländlichen Umfeld oft so, dass es heißt: Organisationen von außen sollen sich da nicht einmischen. Die Zivilgesellschaft und religiöse Organisationen müssen einen Beitrag zum Kampf gegen den Kinderhandel leisten. Wichtig ist Vorbeugung. Wir arbeiten in der Bewusstseinsbildung und erklären, welche Folgen es für Kinder hat, wenn sie diesem Handel zum Opfer fallen. Wir schulen Führer in den Gemeinden, wie sie Anzeichen für Kinderhandel eher entdecken können. Denn die Kinderhändler sind gerissen. In dem Maße, in dem die Zivilgesellschaft gegen Kinderhandel kämpft, entwickeln sie neue Strategien. Und schließlich muss man den Familien helfen, ihre prekären Lebensverhältnisse zu verbessern.
Mit welchen lokalen Religionsgemeinschaften arbeitet CREUSET zusammen?
Wir haben Partnerschaften mit katholischen Gemeinschaften für die Begleitung und Unterstützung von Kindern, die zurück in ihre Familie gebracht worden sind. Sie haben ein Auge darauf, dass die Kinder nicht wieder in das Milieu der Kinderhändler zurückkehren. Es gibt auch verschiedene islamische soziale Organisationen, aber in unserem Arbeitsfeld, der Begleitung von Kindern in schwierigen Situationen, haben wir bisher nicht mit ihnen zusammengearbeitet.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
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