Hinter der Mauer des Schweigens

Afrikanisches Sondertribunal
Dem früheren Präsidenten des Tschad, Hissène Habré, droht im Senegal lebenslange Haft. Er ist der erste afrikanische Ex-Diktator, über dessen Gräueltaten Afrika selbst zu Gericht sitzt. Und er könnte der letzte gewesen sein.

Als der Strafantrag verlesen wird, herrscht drückende Stille im Saal vier des Justizpalastes von Dakar, wo Hissène Habré der Prozess gemacht wird. Der Chefankläger des afrikanischen Sondertribunals fordert am 10. Februar lebenslange Haft für den früheren Präsidenten des Tschad. Die wenigen Zuhörer reagieren gleichgültig, als hätten sie nichts anderes erwartet. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch, und Habré selbst wirkt völlig abwesend. Das Urteil in dem Prozess, der während der vier Monate langen Verhandlung für einige Auseinandersetzungen gesorgt hat, wird Ende Mai erwartet.

Im Angesicht der rund hundert Zuschauer, die sich in dem bis zu 1500 Personen fassenden Gerichtssaal verlieren, ist Hissène Habré von einer Ruhe, die sich deutlich von seinem Wutausbruch am ersten Prozesstag abhebt. Damals beschuldigte er die Richter, „Verräter Afrikas“ zu sein, und sprach ihnen jede Legitimität ab. Auch seine Entourage aus Familie, Vertrauten und Verbündeten, die anfangs noch die Richter beleidigt hatte, reagiert am Tag der Plädoyers nicht mehr so lautstark. Kaum ist der Strafantrag verkündet, zieht Habré von Sicherheitskräften eskortiert aus dem Saal, die Arme in einer Geste des Triumphs hochgestreckt.

Der frühere Staatspräsident hat sich dem Prozess, bei dem ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter und Kriegsverbrechen angelastet werden, von Anfang bis Ende verweigert. Er erkannte das afrikanische Sondertribunal nicht an und lehnte auch seine eigenen Anwälte ab. Die vom Gericht eingesetzten Pflichtverteidiger akzeptierte er ebenso wenig. Während der gesamten Verhandlung hüllte Habré sich in Schweigen und beantwortete weder die Fragen der Richter noch die des Staatsanwalts.

Der Angeklagte folgt dem Verfahren ohne jede Regung

Im Lauf des Verfahrens beschuldigten ihn nacheinander 98 Zeugen und Opfer, Gräueltaten gedeckt, organisiert oder unterstützt zu haben, die unter seinem Regime im Tschad zwischen Juni 1982 und Dezember 1990 verübt worden waren. Doch Habré zeigte nie die geringste Gefühlsregung. Einen Turban auf dem Kopf, die Augen hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen und umgeben von einer Einheit Uniformierter, blieb der in seinen Sitz gesunkene Ex-Diktator unbewegt.

Vor Gericht steht eine andere Zeit. In den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit übten afrikanische Führer in ihrer Mehrzahl eine Schreckensherrschaft aus. So war der Tschad der 1980er Jahre eine Hölle auf Erden. Es wurde völlig straflos getötet und gefoltert. „Habré hielt sich für Gott, für den Herrn über Leben und Tod seiner Landsleute“, erklärt Jacqueline Moudeïna, die Koordinatorin des Teams der Opferanwälte. Aus Sicht der Verteidiger dagegen kann man Habré nicht für das Terrorregime verantwortlich machen: Er sei an der Spitze der Befehlskette von den Folterzentren weit entfernt gewesen, so ihr Plädoyer.

Das Zentrum des Schreckens war „La Piscine“ in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Das Schwimmbad hatte in der Kolonialzeit französischen Soldaten als Ort der Erholung gedient, bevor es in ein Gefängnis umgewandelt wurde. In seinem Becken richtete man kleine, mit einer Betonplatte bedeckte Zellen ein. In einem Land, wo es in einem Gutteil des Jahres über fünfzig Grad heiß wird, kamen hier Tausende Menschen durch Folter, Entbehrung und Krankheit ums Leben.

Vor dem afrikanischen Sondergericht muss sich Hissène Habré der Anklageschrift zufolge für viertausend Tote verantworten. Eine Untersuchungskommission, die sein Nachfolger Idriss Déby 1992 eingesetzt hatte, kam sogar auf 40.000 Tote. „Ganz sicher gab es mehr als viertausend Tote“, sagt Clément Abaifouta, der Vorsitzende der Vereinigung der Opfer des Habré-Regimes. Als er im Juli 1985 verhaftet wurde, hatte er gerade das Abitur bestanden und ein Stipendium für ein Studium in Deutschland bekommen. Sein Traum nahm ein jähes Ende, als eines Nachts Beamte von Habrés Geheimpolizei DDS vor seiner Tür standen. Er wurde beschuldigt, mit den Rebellen zu sympathisieren, und bestritt das. Man steckte ihn ins Gefängnis, wo „so wenig Platz war, dass man umschichtig schlafen musste“, bezeugt er.

Zunächst als Koch eingesetzt, wurde Clément Abaifouta dann zum Totengräber der Haftanstalt. „Ich musste die toten Gefangenen begraben. Zusammen mit drei anderen Häftlingen habe ich auch im ‚Lager der Märtyrer‘ und auf der Gendarmerie Leichen abgeholt, die wir dann in Hamral-Goz bestatten mussten.“ Diesen rund dreißig Kilometer von N‘Djamena entfernten Ort nennt man auch die „Ebene der Toten“. Auf dem weitläufigen Gelände wurden sterbliche Überreste in Massengräbern verscharrt; inzwischen sind dort mit dem enormen Wachstum der Stadt N‘Djamena Häuser aus dem Boden geschossen.

Die Tür der Zelle ließ sich nur mit Hilfe eines Autos schließen

Laut Abaifouta endeten Tausende Menschen auf der „Ebene der Toten“. Im Jahr 1988, berichtet er vor dem Sondertribunal, „wurden einmal Häftlinge ins Gefängnis der ‚Locaux‘ gebracht, die zur Oppositionspartei Conseil Démocratique Révolutionnaire gehörten. Man pferchte sie in der Zelle C zusammen, die dann zum Bersten vollgestopft war. So voll, dass man die Tür nur mithilfe eines Autos schließen konnte. Tags darauf holte man vierundsechzig Tote aus der Zelle.“ Am Ende seiner Aussage wendet er sich an Habré: „Ich will, dass er mir sagt, warum er mich verhaftet hat. Er soll mir in die Augen sehen und mir sagen, wieso ein Stipendium eine Bedrohung für seine Macht darstellte.“ Doch beim Angeklagten stieß er auf Schweigen.

Die Strategie, nichts abzustreiten und nichts zuzugeben, hielt Habré von Anfang bis Ende des Prozesses durch. Er blieb unbewegt, als Frauen im Zeugenstand schilderten, welche Misshandlungen sie erlitten hatten, und ihn sogar bezichtigten, sie vergewaltigt zu haben. Er zeigte sich unbeeindruckt, als ein ehemaliger Politiker und ein reuiger Folterknecht seiner Geheimpolizei aussagten. Und er wirkte abwesend, als Führungskräfte aus der Verwaltung und andere aus dem Tschad angereiste Zeuge von „Schreckensnächten“ sprachen, die ihr Land zwischen 1982 und 1990 durchlebt habe.

Damals befand sich der Tschad im Krieg mit Muammar al-Gaddafis Libyen, das tschadische Rebellenbewegungen für sich nutzte. Angesichts dessen unterdrückte Hissène Habré alle Oppositionsbestrebungen mit Terrormethoden. Jede abweichende politische Meinung galt als Verrat. Denunziation war so verbreitet, dass „man sich manchmal vor seinen eigenen Kindern in Acht nehmen musste“, betont ein Opfer. Die Gewalt richtete sich bevorzugt gegen einzelne Ethnien, vor allem die Hadjerai und die Zaghawa, zu denen Führer der Opposition gehörten.

Der „starke Mann des Tschad“ wurde von Frankreich und den Vereinigten Staaten gestützt – als Bollwerk gegen libysche „Expansionsgelüste“. Die Regierungen von François Mitterand und Ronald Reagan stellten Habré Kriegsmaterial und Militärberater zur Verfügung und verschlossen die Augen vor seinen Grausamkeiten. Erst 1990 kehrten ihm seine Unterstützer den Rücken; das war der Auftakt zu seiner Entmachtung und seiner Flucht in den Senegal, wo er seitdem 25 Jahre unbehelligt lebte – bis zu diesem Prozess.

Der am stärksten präsente Abwesende in dem Verfahren ist Idriss Déby, der Sieger des Kriegs im Tschad und dessen Präsident seit 1990. Er war von 1982 bis 1986 Oberbefehlshaber der tschadischen Armee, so dass ein Teil der Repressionsmaßnahmen aus dieser Zeit ihm angelastet wird – vor allem die „Säuberungen“ im Süden des Landes, die er 1984 an der Spitze seiner Truppen durchführte. Was die Tschader den „schwarzen September“ nennen, war ein Hinterhalt, in dem zahlreiche Rebellen aus dem Süden, die mit dem Regime über eine Aussöhnung verhandeln wollten, niedergemetzelt wurden.

Für Hissène Habrés Anwälte ist der Prozess eine Farce, in dem über ihren Mandanten gerichtet wird, ohne dass auch Déby zur Verantwortung gezogen wird. Verstärkt wird das Argument mit dem Vorwurf, es gehe um eine Abrechnung: Der Tschad habe sich mit 400.000 US-Dollar an der Finanzierung des Prozesses beteiligt, weil er helfen wollte, einen politischen Gegner von Idriss Déby auszuschalten. Die anderen Geldgeber – das Tribunal hat ein Budget von zehn Millionen Dollar – sind die Afrikanische Union (AU), die Europäische Union (EU), die Niederlande, die USA, Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg.

Der Senegal richtet den Prozess auf Empfehlung der AU aus: Sie hatte Dakar 2006 aufgefordert, Hissène Habré „zu richten oder auszuliefern“. Das beendete einen Disput, der auf die Strafanzeige von sieben tschadischen Opfern vom Januar 2000 zurückging. Ein senegalesischer Richter erhob Anklage gegen Habré, doch das Berufungsgericht in Dakar sprach den senegalesischen Gerichten die Zuständigkeit für Verbrechen ab, die im Ausland begangen worden waren. Daraufhin erstatteten drei andere Opfer tschadischer Herkunft und belgischer Nationalität Ende 2000 in Belgien Anzeige, wo nach dem Weltrechtsprinzip Verbrechen im Ausland verfolgt werden können. 2005 erhob die belgische Justiz Anklage gegen Habré wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter und verlangte seine Auslieferung.

Die Justiz im Senegal wies die Auslieferungsgesuche viermal zurück. Habré, der inzwischen im Senegal Geschäftsbeziehungen und familiäre Bindungen geknüpft hatte, genoss in seinem Gastland starken Rückhalt. Doch einige westliche Staaten wie die USA und tschadische Opfer, die von Human Rights Watch unterstützt wurden, machten weiter Druck. Als im März 2012 Macky Sall die Regierung im Senegal übernahm, kam Bewegung in die Sache. Verhandlungen zwischen dem Senegal und der AU führten zur Einrichtung des afrikanischen Sondertribunals.

Orientierungsmarke für die afrikanische Justiz?

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, nennt den Prozess eine „Orientierungsmarke für die afrikanische Justiz“. Doch in der Öffentlichkeit im Senegal und in Afrika werden Stimmen laut, die eine Kolonialjustiz am Werk sehen. Sie fragen, ob nur Afrikaner sich vor einer internationalen Strafjustiz verantworten müssen. Der frühere Staatschef Liberias, Charles Taylor, ist vom Sondertribunal für Sierra Leone verurteilt worden, Thomas Lubanga und Germain Katanga aus dem Kongo vom Internationalen Strafgerichtshof, Laurent Gbagbo aus der Elfenbeinküste ist dort angeklagt und gegen den Staatschef des Sudan, Omar al-Baschir, wurde Haftbefehl erlassen. Aber was, sagen die Kritiker, ist mit den Verbrechen der USA im Irak und in Guantánamo oder mit den Kriegsverbrechen in Sri Lanka oder in Syrien?

Befürworter des Prozesses gegen Habré sehen darin das Bestreben der afrikanischen Staaten, die Straflosigkeit zu bekämpfen. Aber die Frage ist, ob das Sondertribunal diesen Prozess überleben wird. Einige sprechen sich dafür aus, aber die Finanzierung bleibt ungeklärt. Wenn man sich auf Geld aus dem Westen verlassen muss, riskiert man eine Rechtsprechung nach dessen Gutdünken – je nachdem ob der Beschuldigte auf der „richtigen“ oder der „falschen“ Seite steht.

Autor

Tidiane Kassé

ist Journalist im Senegal und Chefredakteur der französisch­sprachigen Ausgabe des Informationsdienstes Pambazuka News (www.pambazuka.org).
Afrika hat noch nicht überall den Schreckensregimen den Rücken gekehrt und so mancher Staatschef trägt noch eine düstere Vergangenheit mit sich herum. Daher besteht die Gefahr, dass weiter Straflosigkeit vorherrscht. Im Februar 2016 haben die Staatschefs der AU einem Antrag zugestimmt, den Internationalen Gerichtshof zu verlassen. Das klingt wie ein Aufruf zur Revolte gegen eine internationale Rechtsprechung nur für Afrikaner, aber es wirft auch die Frage nach der Zukunft der afrikanischen Sondergerichte auf. Hissène Habré ist der erste ehemalige Staatschef, über den Afrika selbst richtet. Er könnte für lange Zeit der letzte gewesen sein.

Aus dem Französischen von Juliane Gräbener-Müller.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2016: Religion: Vom Glauben und Zweifeln
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