Die Nerven lagen blank in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, in der Nacht des 30. November 1990. Noch herrschte Präsident Hissène Habré, der sich acht Jahre zuvor an die Macht geputscht hatte, aber er stand mit dem Rücken zur Wand. Von allen Seiten rasten von Libyen finanzierte und ausgerüstete Rebellen auf die Stadt zu. Ihre Toyota-Pritschenwagen waren mit Maschinengewehren bestückt und mit schwer bewaffneten Kämpfern beladen, denen der Wüstensand dank der Tücher vor ihren Gesichtern wenig anhaben konnte. Sie kamen aus einem Camp hinter der sudanesischen Grenze, 700 Meilen weiter östlich, und wurden von Idriss Déby befehligt, Habrés ehemaligem militärischem Berater.
Autor
Michael Bronner
ist Journalist, Drehbuchautur und Filmemacher. Zuletzt wirkte er bei der Produktion des Actionthrillers „Captain Phillips“ mit. Für diesen Artikel recherchierte er mit Unterstützung des Investigative Fund des Nation Institute und der Puffin Foundation. Im Original ist sein Beitrag in der Zeitschrift „Foreign Policy“ erschienen.Der Minister zog sich mit Foulds in eine ruhige Ecke zurück. „Er rauchte Kette, war sehr nervös und zitterte am ganzen Körper“, erinnerte sich Foulds später. Habrés Truppen hatten Débys Rebellen schon einmal zurückgeschlagen, und deshalb rechnete man in Washington damit, dass es ihnen ein weiteres Mal gelingen würde. Die Amerikaner waren von Habrés überlegenen militärischen Fähigkeiten überzeugt. Doch sie kannten die Sachlage nur aus den beschönigenden Berichten, die Habrés Entourage ihnen zukommen ließ. Der Minister dagegen wusste, wie die Dinge wirklich standen: Möglicherweise würden die Rebellen die Hauptstadt noch in dieser Nacht erreichen, sagte er – viel früher als erwartet.
Foulds brach eilends auf, um den CIA-Beauftragten und Botschafter Richard Bogosian zu informieren. Sie riefen sofort in Washington an und baten um Weisungen – und um praktische Unterstützung. „Wir wollten versuchen, Habré zu retten“, sagt Bogosian. „Er hatte uns auf eine Art und Weise geholfen, zu der nicht viele bereit waren.“
Die ganzen 1980er Jahre hindurch hatte der Mann, in dem die CIA den „Inbegriff des Wüstenkriegers“ sah, im Zentrum der verdeckten Operationen gestanden, mit denen die Reagan-Regierung die Macht des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi zu brechen versuchte. Gaddafi war als Drahtzieher des internationalen Terrorismus für die USA zu einem Ärgernis und einer Bedrohung geworden.
Habrés Regime wurde von der CIA insgeheim weiter aufgerüstet
Obwohl die Berichte aus dem Tschad über widerrechtliche Hinrichtungen, Entführungen und Misshandlungen in den Gefängnissen nicht abrissen und zunehmend Besorgnis erregten, bildeten die USA Habrés Sicherheitskräfte aus; sein Regime wurde von der CIA und der Afrika-Abteilung des Außenministeriums insgeheim weiter aufgerüstet. Als Gegenleistung ging Habré unerbittlich gegen die libyschen Truppen vor, die damals den Norden des Tschad besetzt hielten. Sein Sturz würde alle Anstrengungen des vergangenen Jahrzehnts zunichte machen.
Außerdem stellten die nach N’Djamena eingesickerten libyschen Geheimagenten eine unmittelbare Bedrohung dar, denn ungeachtet der heftigen Proteste amerikanischer Experten hatte die CIA ein Dutzend Stinger-Raketen an Habré geliefert. Diese Ein-Mann-Luftabwehrraketen, die von der Schulter aus abgefeuert werden, waren bei den Rebellen und Terroristen der ganzen Welt äußerst begehrt. Da Gaddafi seine Bereitschaft demonstriert hatte, auch Passagierflugzeuge zum Absturz zu bringen, durften sie unter keinen Umständen in seinen Besitz gelangen.
Und es gab ein weiteres Problem: Einige Kilometer außerhalb der Hauptstadt hatte die CIA ein Trainingslager eingerichtet, in dem eine libysche Elitetruppe für den Kampf gegen Gaddafi ausgebildet wurde – mindestens 200 Mann, die von der CIA unter anderem mit sowjetischen Panzern ausgestattet wurden.
Die würden sie nicht ohne weiteres wieder hergeben. Wenn Débys von Gaddafi finanzierte Truppen und die von der CIA ausgerüsteten Libyer aufeinander träfen, wäre ein Blutbad in der Hauptstadt unvermeidlich.
1982
7. Juni: Hissène Habré, Verteidigungsminister einer Übergangsregierung, stürzt Präsident Goukouni Oueddei und übernimmt die Macht im Tschad. Fortan versorgen die Amerikaner Habré mit ...
Nach der Party in der libanesischen Botschaft brach auf den Straßen N’Djamenas das Chaos aus, als sich Gerüchte über den Zusammenbruch von Habrés Truppen ausbreiteten. Seit dem Ende der Kolonialzeit hatte es im ethnisch heterogenen Tschad immer gefährliche Spannungen gegeben: Im Süden lebten Christen, im Norden verschiedene muslimische Gruppierungen, die alle mehr oder weniger verfeindet waren, obwohl sie nach Bedarf wechselnde Bündnisse eingingen.
Diese Spannungen hatten sich unter Habré enorm verschärft. Er gehört zum Volk der Gorane, und solange er an der Macht war, hatten es sich die Angehörigen seiner Ethnie gut gehen lassen. Jetzt flüchteten sie mit schwer beladenen Fahrzeugen panisch aus der Stadt, bevor die Zhagawa einrückten, die von Habré brutal unterdrückt worden waren und deshalb für Déby kämpften.
In der amerikanischen Botschaft zog Foulds sich eine kugelsichere Weste über und legte ein geladenes Gewehr neben sich. Während die ersten Rebellen in der Stadt eintrafen, fütterte er zusammen mit einem Mitarbeiter den Reißwolf mit geheimen Akten und zerstörte die Kommunikationssysteme, denn er fürchtete, die Botschaft würde den Rebellen in die Hände fallen. Der CIA-Beauftragte tat in seinem Büro in einem anderen Stockwerk das gleiche.
Unterdessen ging bei Botschafter Bogosian ein Anruf aus Washington ein: Zwei C-141 Starlifter wurden aufgetankt und mit Waffen, Munition und anderem Material beladen, um Habré Beistand zu leisten. „Sie standen startbereit auf der Piste“, sagt Bogosian. „Doch wir riefen zurück und sagten: ‚Bleibt zu Hause, es ist zu spät.‘“
So sah es auch Habré, der noch nie zuvor einem Kampf ausgewichen war. Es heißt, der Wüstenkrieger habe mitten in der Nacht seinen Mercedes auf eines der Transportflugzeuge vom Typ Lockheed L-100 Hercules gefahren, das er von den USA bekommen hatte. Mit wenigen Getreuen flog er in den Senegal und landete in Dakar, wo man ihm – vermutlich vermittelt vom französischen Geheimdienst – Exil gewährte.
Der Tschad ist eines der ärmsten Länder in Afrika, doch Habré soll genug Geld aus der Staatskasse gestohlen haben, um sich in Dakar ein solides Sicherheitsnetz zu knüpfen: Seine Mittel reichten aus, um Politiker, religiöse Führer, Journalisten und die Polizei zu bestechen und sich zwei üppige Villen einzurichten. Hier konnte er viele Jahre lang unbehelligt leben.
Aber nicht für immer. Als Débys Truppen N’Djamena im Lauf des folgenden Vormittags unter ihre Kontrolle brachten, flüchteten die Bewacher der geheimen Gefängnisse, und die Insassen verließen ihre Zellen. Die Straßen füllten sich mit abgemagerten politischen Gefangenen, an deren Narben man erkennen konnte, dass sie gefoltert worden waren.
Sie erzählten von Hinrichtungen, Massengräbern und unsäglichen Gräueltaten. Einer von ihnen war Souleymane Guengueng, ein ehemaliger Buchhalter, der fast zweieinhalb Jahre lang gefangen gehalten und gefoltert worden war. Dabei war er körperlich zum Wrack geworden und fast erblindet. Doch ihm ist es zu verdanken, dass Habré im Jahr 2013 von seiner Vergangenheit eingeholt wurde.
1999: Ein Opfer des Terrors
Unmittelbar nachdem Hissène Habré im Jahr 1982 an die Macht gekommen war, geriet er ins Visier von Menschenrechtsaktivisten aus vielen Ländern. Noch bevor ein Jahr vergangen war, veröffentlichte Amnesty International einen ersten Bericht über politische Morde im Tschad. Dennoch blieb er jahrzehntelang im Wesentlichen unantastbar. Als Präsident des Tschad stand er unter dem Schutz des mächtigsten Staates der Welt, und danach, im Exil, genoss er lebenslange Immunität, die ehemaligen Staatschefs nach internationaler Tradition gewährt wird.
Diese Immunität stand im Widerspruch zur Antifolterkonvention der Vereinten Nationen: Sie verpflichtet die unterzeichnenden Staaten, alle Personen, die der Folter beschuldigt werden, vor Gericht zu stellen oder sie auszuliefern.
Im Oktober 1998 wurde plötzlich alles anders: Augusto Pinochet, der damals 82-jährige ehemalige Diktator Chiles, wurde nach einer Rückenoperation in einem Londoner Krankenhaus von der britischen Polizei festgenommen. Ein spanisches Gericht hatte im Namen spanischer Staatsangehöriger, die Opfer von Pinochets Regime geworden waren, einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Ihm wurde vorgeworfen, in 94 Fällen Folter zugelassen zu haben.
Die Büchse der Pandora wurde geöffnet
Die Anklage betraf nur einen Bruchteil der von Pinochet begangenen Verbrechen, aber sie genügte, um der Menschenrechtsbewegung neue Hoffnung zu geben und in den Kreisen konservativer Diplomaten Panik zu verbreiten. „Von nun an sind alle ehemaligen Staatschefs potenenziell gefährdet“, zeterte die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher und beklagte den Angriff auf die diplomatische Immunität, zumal er einem Politiker galt, den sie zu ihren Freunden zählte. „Mit diesem Schritt wurde die Büchse der Pandora geöffnet, und wenn Senator Pinochet nicht sicher nach Hause zurückgelangt, besteht keine Hoffnung mehr, sie je wieder zu verschließen.“
Genau dasselbe dachte auch Reed Brody. Brody stammt aus Brooklyn und hatte für die New Yorker Staatsanwaltschaft gearbeitet, bevor er die Öffentlichkeitsarbeit bei Human Rights Watch in Manhattan übernahm. Als der kämpferische Jurist die Berichte über die Verhaftung Pinochets im Fernsehen sah, begriff er sofort, dass sich neue Chancen auftaten. „Wir waren erst kurz zuvor in Rom gewesen, um an den Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs mitzuarbeiten“ – des ersten ständigen Strafgerichts, das Völkermord, Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen verfolgen kann – „und nun gab es einen richtigen Fall“, sagt Brody.
1998
Oktober: Der ehemalige Diktator Chiles Augusto Pinochet wird in England festgenommen und als erster ehemaliger Staatschef wegen Foltervorwürfen vor Gericht gestellt.
1999
Der ...
Mit der Festnahme Pinochets hatten europäische Richter zum ersten Mal das Prinzip der länderübergreifenden universellen Jurisdiktion angewandt: Nach diesem Prinzip können Gerichte gegen Personen verhandeln, denen schwere Verstöße gegen das internationale Recht zur Last gelegt werden. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Nationalität sie angehören und wo die Verbrechen begangen wurden. Im Fall Pinochet war die wichtigste juristische Frage, die das House of Lords – damals die höchste richterliche Instanz in Großbritannien – zu entscheiden hatte, ob die UN-Antifolterkonvention die Briten dazu verpflichtete, sich über die diplomatische Immunität hinwegzusetzen und Pinochet an Spanien auszuliefern.
Da Brody Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit Pinochets recherchiert hatte, flog er im Auftrag von Human Rights Watch nach London, um die Staatsanwaltschaft zu beraten. Im November 1998 verkündeten die Richter vor einem vollen Saal ein sensationelles Urteil über den chilenischen Diktator.
Ein britischer Jurist erläuterte den Tenor des Richterspruchs so: „Die Anwendung von Folter und Geiselnahme darf niemandem gestattet werden. Das gilt für Staatschefs genauso wie für jedermann, und für sie sogar ganz besonders, denn alles andere wäre eine Verhöhnung des internationalen Rechts.“ Die Büchse der Pandora war geöffnet, und die gesamte Menschenrechtsbewegung fragte sich gespannt: „Wer kommt als nächster dran?“
Als Brody noch an der Columbia-Universität Jura studierte, erklärte ihm ein Professor die Strategie der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation NAACP im Kampf gegen die Rassentrennung, und das beeindruckte ihn damals tief. „Sie nahmen sich zuerst die einfachsten Fälle vor, bis sie sich schließlich an die Klage ,Brown v. Board of Education of Topeka‘ wagten“, erzählt er. (Anm. d. Red.: In seinem Urteil im Fall „Brown v. Board of Education of Topeka“ erklärte der Oberste Gerichtshof der USA 1954 die Rassentrennung an staatlichen Schulen für illegal.) Den gleichen Weg wollte Brody nun auch gehen, und deshalb brauchte er einen Fall, den er gewinnen konnte.
Die zündende Idee kam von Peter Rosenblum, einem Freund und ehemaligen Kollegen, der inzwischen bei der juristischen Fakultät in Harvard für Menschenrechte zuständig war. Aus einem Hotel in N’Djamena schrieb Rosenblum: „Ich habe den nächsten Fall für dich: Habré, Tschad.“
Dieser Vorschlag leuchtete Brody sofort ein. Er wusste zwar nicht allzu viel über Hissène Habré und den Tschad, aber er wusste, dass Habré im Senegal nicht wirklich sicher war: Der Senegal war der erste Staat, der das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert hatte, und gehörte zu den Unterzeichnern der UN-Antifolterkonvention.
Wenn Brody es schaffen würde, Habré wegen Folter vor Gericht zu bringen, müsste der Senegal ihn entweder ausliefern oder selbst gegen ihn verhandeln. „Wenn irgendein Land sich besonders eignete, einen Fall nach dem Weltrechtsprinzip auszufechten, dann war es der Senegal“, sagt Brody. „Dieses Land hat sich immer als Vorkämpfer des internationalen Rechts und der Menschenrechte gesehen.“
1999 wurde Brody von Rosenblum mit einer sehr engagierten tschadischen Juristin bekannt gemacht, die an der Columbia-Universität studierte. Delphine Djiraibe war eine der ersten Rechtsanwältinnen im Tschad. Sie war begeistert, dass Brody etwas unternehmen wollte, meinte aber, er müsse äußerst vorsichtig sein: Auch neun Jahre nach Habrés Sturz wimmelte es in N’Djamena noch von seinen Handlangern – beim Flughafenpersonal, beim Zoll und bei der Polizei. Deshalb scheuten sich viele Zeugen, auszusagen. Und womöglich würde der tschadische Geheimdienst Verdacht schöpfen. Schließlich war Präsident Idriss Déby einmal Habrés Vertrauter gewesen, bevor er mit ihm brach.
Als erfahrener Schachspieler beschloss Brody, zuerst mit seinen Bauern anzugreifen. Zwei Jurastudenten, der Belgier Nicolas Seutin und die Spanierin Genoveva Hernandez Uris, die als Harvard-Stipendiaten bei Rosenblum zu Menschenrechtsfragen arbeiteten, waren bereit, in den Tschad zu reisen. Offiziell würden sie Informationen über eine umstrittene Öl-Pipeline vom Tschad nach Kamerun sammeln. Mit 4000 Dollar von Harvard und ein paar Kontaktadressen, die sie von Djiraibe bekommen hatten, trafen sie während der Regenzeit in N’Djamena ein.
Djiraibe hatte ihnen in der katholischen Mission in N’Djamena eine unauffällige Unterkunft besorgt. Nicolas wohnte bei den Priestern und Genoveva bei den Nonnen im Haus gegenüber. Sie gingen zu Fuß durch die aufgeweichten Straßen der Hauptstadt, um mit möglichen Zeugen zu sprechen. Genoveva sagt: „Wir hatten das Gefühl, beschattet zu werden“, und offensichtlich hatten ihre Gesprächspartner Angst davor, über die Habré-Zeit zu sprechen.
Doch nicht so Souleymane Guengueng. Als sie an seine Tür klopften, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln. „Er war sehr bewegt und sagte, auf diesen Augenblick habe er lange gewartet“, sagt Genoveva. „Und er meinte, es sei Gottes Hand, die uns zu ihm geführt habe.“ Also setzten sie sich mit ihm hinters Haus und hörten sich die Geschichte an, die er schon lange hatte erzählen wollen.
Elf Jahre davor, am 3. August 1988, war nicht viel los bei der Kommission für den Tschadsee, der zwischenstaatlichen Behörde, für die Guengueng arbeitete. Umso mehr erschrak er, als seine schwangere Frau Ruda, die sonst fast nie an seinen Arbeitsplatz kam, plötzlich weinend vor seinem Schreibtisch stand. Zivilfahnder von Habrés gefürchteter politischer Polizei, der Direktion für Dokumentation und Sicherheit (DDS), hatten nach ihm gefragt. Deshalb beschwor sie ihn in panischer Angst, sich zu verstecken.
Er versuchte sie zu beruhigen, doch da erschienen die Polizisten bereits in ihrem charakteristischen Toyota vor seinem Büro. Er musste sein Motorrad holen, ein DDS-Mann setzte sich auf den Rücksitz, und selbst zum Ort seiner Verhaftung fahren. Im Fond des Toyota hatte er noch seinen Cousin sitzen sehen, der bereits festgenommen worden war.
Im DDS-Büro fragte ihn der stellvertretende Geheimdienstchef als erstes, welcher Religion er angehöre. „Ich sagte, ich bin Christ. Und er sagte, er sei auch Christ und ich müsse ihm die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit. Andernfalls hätte er viele Möglichkeiten, mich dazu zu zwingen.“
Ein DDS-Mann fragte ihn, ob er wisse, warum man ihn hergebracht hatte. Als Guengueng das verneinte, bekam er eine Ohrfeige. Dann beschuldigte man ihn, gemeinsam mit seinem Cousin habe er Habré-Gegnern Geld besorgt und Unterschlupf gewährt, als er in Kamerun lebte. Während einer besonders unruhigen Phase im Tschad war die gesamte Belegschaft der Kommission vorübergehend nach Kamerun verlegt worden. Guengueng hatte damals öfter Flüchtlinge aus dem Tschad bei sich aufgenommen. Doch der Vorwurf, er habe im Auftrag der Opposition subversive Elemente beherbergt, kam ihm so abwegig vor, dass er lachen musste.
Daraufhin schlug ihm einer der Wachsoldaten seinen Gewehrkolben über den Kopf. Er wurde in eine Zelle geschleppt, und nun begannen seine zweieinhalb Jahre in der Hölle. Der arglose Buchhalter wurde in drei verschiedenen Gefängnissen festgehalten, zuerst in Einzelhaft und dann in einer Gemeinschaftszelle, die so überfüllt war, dass man sich zum Schlafen erst hinlegen konnte, wenn ein anderer Häftling gestorben war. Das geschah freilich jede Nacht, und dann betteten sich die lebenden Insassen auf die Toten.
Erst wenn fünf bis sechs Leichen zusammengekommen waren, hielten es die Wachmänner für angebracht, sie wegzuschaffen. Clément Abaifouta, Guenguengs Freund und ehemaliger Zellengenosse, wurde vor kurzem in N’Djamena interviewt, und in seinem erschütternden Bericht erzählte er, wie er Tag für Tag Mitgefangene begraben musste, die entweder hingerichtet worden oder ihren Krankheiten erlegen waren. Im Laufe von vier Jahren waren viele Hunderte zusammengekommen.
Fast wäre auch Guengueng darunter gewesen. „Drei Mal war es so weit, dass ich nicht mehr weiterleben wollte“, erzählt er. „Ich war sehr krank.“ Wie viele andere politische Gefangene bekam er Malaria, Denguefieber und Hepatitis. In seiner Zelle war es entweder vollkommen dunkel oder sie war monatelang rund um die Uhr hell beleuchtet. Während einiger Monate waren seine Beine gelähmt. Das Schlimmste kam, als er dabei erwischt wurde, wie er seine Mitgefangenen zum Beten anhielt: Die Wachen hängten ihn an den Hoden auf.
„Damals dachte ich: Was kann ich tun, wenn Gott mich rettet?“, sagt Guengueng, und er tat einen geheimen Schwur: Wenn er am Leben bliebe, würde er es zu seiner Lebensaufgabe machen, Hissène Habrés Schandtaten an die Öffentlichkeit zu bringen. Als Brodys Abgesandte seine Geschichte hörten, waren die beiden Studenten den Tränen nahe. Und Guengueng hatte eine Überraschung für sie: Beweismaterial.
In einem versteckten Winkel seines Hauses lagerten 792 Augenzeugenberichte, zu denen er seine überlebenden Mitgefangenen in den Jahren nach Habrés Sturz hatte überreden können. Sie beziehen sich auf drei Phasen der Verfolgung ethnischer Minderheiten, an deren Loyalität Habré zweifelte. Die Zeugen beschrieben eine ganze Palette von Foltermethoden – Waterboarding, Ersticken mit Autoabgasen und die abscheuliche Methode, die als „Arbatachar“ bekannt ist: Arme und Beine werden auf dem Rücken so straff zusammengebunden, dass der Brustkorb sich extrem nach vorne durchbiegt. Bei manchen Opfern blieben Lähmungen oder dauerhafte Deformierungen zurück.
Ehemalige Mitglieder des Regimes, die nach Habrés Flucht in N’Djamena geblieben waren und weiterhin wichtige Positionen bekleideten, hatten irgendwann von Guenguengs Projekt Wind bekommen und gedroht, ihn umzubringen. Deshalb versteckte er seine Unterlagen und wartete auf bessere Zeiten. Und nun war es so weit, erklärte er seinen Besuchern.
„Jetzt wussten wir, dass wir einen geeigneten Fall hatten. Wir waren begeistert“, erinnert sich Genoveva. „Wir glaubten, wir hätten zuverlässiges Beweismaterial, auf das wir eine Klage stützen könnten.“ Aber gleichzeitig hatten die beiden auch Angst. Sie besorgten Papier für Guengueng, und in seinem Büro schrieb er die Dokumente heimlich ab.
Wie sollte das Beweismaterial außer Landes gebracht werden?
Nicolas versteckte sie in der Wäschekammer des Klosters, aber weder er noch Genoveva wussten, wie sie das Material aus dem Tschad herausbringen sollten. Es einfach in ihrem Fluggepäck zu verstauen, erschien ihnen zu gefährlich. In der amerikanischen Botschaft bot ihnen jemand an, die Papiere als Diplomatenpost zu verschicken, aber irgendwie kam ihnen die Sache verdächtig vor und sie ließen die Finger davon.
Genoveva musste abreisen, bevor sie eine Lösung gefunden hatten. Ein paar Tage später fasste Nicolas einen spontanen Entschluss. Obwohl es riskant war, zog er einen der älteren Priester ins Vertrauen, packte die Papiere in seine Reisetaschen und ließ sich zum Flughafen fahren. Als er an den Schalter von Air Afrique trat, um seinen Flug um ein paar Tage vorzuverlegen, bereute er seine überstürzte Entscheidung.
Der Angestellte inspizierte sein Ticket misstrauisch und behauptete, es sei wohl gefälscht. Während Nicolas mit ihm herumstritt und immer nervöser wurde, bemerkte er, wie die Zollbeamten beliebige Gepäckstücke öffneten und durchwühlten.
Doch dann endete die absurde Auseinandersetzung ebenso plötzlich, wie sie begonnen hatte. Nicolas stellte sich mit seiner Tasche in die Warteschlange und er hatte Glück – sie wurde nicht kontrolliert. Am nächsten Morgen landete er mitsamt seinen Dokumenten in Paris.
1982: Habré kommt an die Macht
Das Maison de la France d’Outre-mer im Pariser Studentendorf La Cité Internationale Universitaire in Paris war während der postkolonialen Wende der späten 1960er und frühen 1970er Jahre als „Afrikahaus“ bekannt. Hier kamen die jungen Afrikaner zusammen, die an den verschiedenen Hochschulen der Stadt studierten. Sie diskutierten über Marx, Fanon, Che Guevara und über die Bürgerkriege in ihren Heimatländern. Und sie begeisterten sich für revolutionäre Ideen.
Aus dem Tschad kamen nur wenige Studenten, aber sie waren politisch besonders engagiert. Die französische Kolonialmacht hatte ihr Land 60 Jahre lang verkommen lassen. Der christliche Süden, in dem Baumwolle angebaut wurde, galt als „le Tchad Utile“, der brauchbare Tschad; der dürre, hauptsächlich von Muslimen bewohnte Norden wurde als „Le Tchad Inutile“ abgeschrieben.
Die Franzosen unternahmen nichts, um die heftigen Ressentiments zwischen den verschiedenen Ethnien und Regionen abzubauen. So stand das Land am Rande des Bürgerkriegs, als sie es im Jahr 1960 seinem Schicksal überließen. Der erste Präsident des unabhängigen Tschad, François Tombalbaye, wurde von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Da Tombalbaye aus dem Süden stammte, waren die Muslime aus dem Norden besonders unzufrieden, und manche von ihnen entwickelten sich in Paris zu linken Revolutionären.
Eine besonders eindrucksvolle Figur war damals Hissène Habré. Meistens sagte er nicht viel, aber wenn es ihn überkam, konnte er zündende Reden halten. Er stammte aus einer Familie von Viehhütern aus dem Norden. Ein französischer Offizier hatte dafür gesorgt, dass der intelligente junge Mann ein Stipendium am Institut des Hautes Études d‘Outre-mer in Paris bekam.
Dort studierte er Politik bis zu seiner Promotion, doch er hatte immer vor, in den Tschad zurückzukehren. „Er war ein sehr besonnener Typ und sehr rigoros in seinen politischen Ansichten. Damit eignete er sich für eine führende Rolle in der Bewegung, die der Hegemonie des Südens ein Ende setzen wollte“, sagt Acheikh Ibn-Oumar. Er hatte einige Jahre lang mit Habré gemeinsam in Paris studiert, bevor er in den Tschad zurückkehrte, wo auch er als Guerrillaführer und Politiker bekannt wurde.
Habré kam 1971 in die Heimat zurück. Für kurze Zeit arbeitete er im Staatsdienst, dann verschwand er in den endlosen, dürren Steppen des Nordens, um eine Miliz aufzubauen und den Grundstein für seine politische Zukunft zu legen. Mit seinen Kämpfern verschanzte er sich rund 500 Meilen nördlich der Hauptstadt in den Höhlen des nahezu unbesiedelten Tibesti-Gebirges und machte sich einen Namen als kompromissloser Hardliner.
1974 schaffte er es in die Schlagzeilen der internationalen Presse: Er entführte eine blauäugige französische Archäologin namens Françoise Claustre und hielt sie fast drei Jahre lang als Geisel gefangen. Dann ermordete er einen französischen Offizier, der gekommen war, um über ihre Freilassung zu verhandeln.
Als Acheikh Ibn-Oumar im Tschad wieder mit Habré zusammentraf, erlebte er ihn als einen Mann, der um jeden Preis an die Macht wollte. Um dieses Ziel zu erreichen, machte er N’Djamena beinahe dem Erdboden gleich. 1979 wurde durch Vermittlung der Nachbarländer aus elf verfeindeten tschadischen Gruppierungen eine Übergangsregierung gebildet, in der Habré Verteidigungsminister wurde. Bevor die vorgesehenen Wahlen stattfinden konnten, unternahm er im März 1980 seinen ersten Versuch, sich mit Gewalt zum Präsidenten zu machen.
Aus mobilen Stalinorgeln ging unter markerschütterndem Geheul ein Trommelfeuer von Katjuscha-Raketen auf die Stadt nieder. Das Unternehmen schlug fehl, doch die blutigen Kämpfe zwischen seinen Truppen und denen des Interimspräsidenten Goukouni Oueddei dauerten mehr als neun Monate und kosteten rund 5000 Menschen das Leben, ohne dass das gespaltene Land aus der Pattsituation herausfand.
Doch dann rief Oueddei Muammar al-Gaddafi zu Hilfe, der sich damals zum wichtigsten Sponsor des Terrorismus entwickelte. Der libysche Diktator war gerne bereit zu intervenieren. Seine Geschäfte mit amerikanischen Unternehmen hatten ihm gigantische Öleinnahmen beschert, mit denen er jetzt seine Expansionsgelüste in die Praxis umsetzen konnte. Ihm schwebte eine panafrikanische Zukunft vor, und der Tschad war ein idealer Ausgangspunkt, um die aus der Kolonialzeit stammenden Grenzziehungen rückgängig zu machen. Er grenzt nicht nur an Libyen, sondern auch an Niger, Nigeria, Kamerun, die Zentralafrikanische Republik und Sudan – damals noch ein wichtiger Bündnispartner der USA, der nach Ägypten die meisten amerikanischen Hilfsgelder einstrich.
Im November 1980 waren bereits um die 4000 libysche Soldaten im Tschad einmarschiert, und im Dezember hatten sie zwei Drittel des Landes unter Kontrolle, darunter auch die Hauptstadt N’Djamena. Habré und seine Truppen flüchteten nach Sudan und Kamerun. Im Januar 1981 gaben Oueddei und Gaddafi zur großen Bestürzung des Westens und seiner afrikanischen Bündnispartner bekannt, dass sie eine Vereinigung des Tschad mit Libyen ins Auge gefasst hätten.
Gaddafi sollte keine Kontrolle über den Tschad erlangen
Auf der anderen Seite des Globus war Ronald Reagan zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden. Während der Geiselnahme von Teheran, an der sich sein Vorgänger Jimmy Carter bis zu den letzten Minuten seiner Amtszeit die Zähne ausgebissen hatte, hatten die USA international an Prestige verloren, und diese Schlappe wollte Reagan wieder wettmachen. Er erklärte den internationalen Terrorismus zur schlimmsten Gefahr für den Weltfrieden.
Bereits eine Woche nach seiner Amtseinführung sagte er in einer Ansprache vor dem Weißen Haus: „Die Terroristen sollen wissen, das sie von unserer Seite mit umgehender und effektiver Vergeltung rechnen müssen, wenn sie die Regeln des internationalen Zusammenlebens verletzen.“
Gaddafis Namen nannte Reagan nicht, aber das machte keinen Unterschied. Schon bald unterzeichnete er eine geheime Verfügung: Gaddafi sollte daran gehindert werden, die Kontrolle über den Tschad zu übernehmen. So kam es, dass eines der ärmsten Länder der Erde zum wichtigsten Schlachtfeld in der ersten Phase des Krieges gegen den Terror wurde.
Reagan stellte für die inoffizielle Unterstützung Habrés mehrere Millionen US-Dollar zur Verfügung – ein Bruchteil der Summen, die im Lauf der folgenden Jahre in den Tschad fließen sollten. Doch zuerst musste Habré Präsident werden. Der CIA-Beauftragte in Khartum, der französisch sprach, traf sich im Sudan mit Habré und seinen Beratern und knüpfte die ersten Kontakte.
Bald flossen Waffen und Bargeld in Habrés Rebellencamp an der Grenze zwischen dem Tschad und Sudan. Mit Hilfe ihrer Verbündeten in der Region schickte die CIA Material nach Khartum. Anschließend transportierte es der sudanesische Geheimdienst, der zur CIA gute Beziehungen pflegte, mit der Bahn nach Nyala, dem ehemaligen britischen Verwaltungszentrum in Darfur. Dort wurde es von Habré abgeholt und über die Grenze gebracht.
Dass Habré diese Unterstützung dazu benutzen könnte, sein eigenes Volk zu terrorisieren, erregte keine Bedenken. „Aus drei Gründen wurden Menschenrechtsprobleme damals fast gar nicht berücksichtigt“, sagt ein ehemaliger CIA-Agent, der mit Habré zusammengearbeitet hatte. „Erstens wollten wir die Libyer rausschmeißen, und Habré war der einzige, der uns dabei helfen konnte. Zweitens sprach außer der Geiselnahme der Französin Francoise Claustre nichts gegen ihn, und diesbezüglich wollten wir ein Auge zudrücken. Drittens war Habré ein guter Kämpfer. Er brauchte keine Anleitung von uns, und wir brauchten nichts weiter zu tun, als ihn mit Material zu versorgen.“
Am 7. Juni 1982 eroberte Habré mit 2000 Kämpfern die Hauptstadt N’Djamena zurück und rief im Tschad die Dritte Republik aus. Von Anfang an wandte er brutale Gewalt an, um seine Macht zu sichern: Er ließ Gefangene aus konkurrierenden Milizen hinrichten, politische Gegner wurden entführt und erschossen, Zivilpersonen, die er verdächtigte, mit seinen Gegnern zu sympathisieren, waren Repressalien ausgesetzt.
Oueddei flüchtete nach Libyen, wo Gaddafi seine Truppen reorganisieren und neu bewaffnen sollte. Und bald brachten amerikanische Transportflugzeuge des Typs C-141 Starlifter die Waffen in den Tschad, die Habré für die nächste Etappe seines Stellvertreterkriegs gegen Libyen benötigte.
Dieses Projekt wurde von einem cleveren jungen Regierungsbeamten namens Charles Duelfer organisiert. Heute kennt man ihn vor allem als den Leiter der Iraq Survey Group, die die Irrtümer der amerikanischen Geheimdienste in Bezug auf Saddam Husseins mutmaßliche Massenvernichtungswaffen untersucht hat. Schon in den frühen 1980er Jahren hatte er gute Kontakte bei der CIA, und er freute sich über jede Gelegenheit, aus seinem Büro heraus zu kommen. Die Zusammenarbeit mit Habrés Truppen zu koordinieren war für ihn die ideale Aufgabe.
„Damals nannte man mich Charlie Tschad“
„Damals nannte man mich ‚Charlie Tschad‘“, erzählte er mir. 1982 hatte er einen Posten im Bureau of Political-Military Affairs, einem Ableger des Pentagon und der CIA innerhalb des Außenministeriums, und arbeitete eng mit Chester Crocker zusammen, Reagans einflussreichem Direktor für Afrika-Angelegenheiten. Seine wichtigste Aufgabe war, sich mit einem Kontaktmann bei der CIA zusammenzutun, so viel Kriegsmaterial wie möglich zu erbetteln, zu borgen oder zu klauen und es zu Habré in den Tschad zu bringen.
„Wir konnten alles Mögliche brauchen, aber nur ein Teil davon wurde in den USA hergestellt“, sagt Duelfer. „Die sowjetische Panzerfaust RPG-7 zum Beispiel war super: Zielen und schießen, ganz einfach. Aber die konnten wir natürlich nicht vom Pentagon bekommen, sondern wir mussten unsere Phantasie anstrengen und sie auf anderen Wegen besorgen.“ Sein Partner bei der CIA war Vietnamveteran und schon etwas älter, und er arrangierte den Kauf von Waffen aus den Warschauer-Pakt-Staaten über Mittelsmänner beim ägyptischen und sudanesischen Geheimdienst.
Mit Hilfe von Crockers findigem Stellvertreter, dem bewährten Afrikaexperten James Bishop, bediente sich Duelfer ausgiebig aus dem Waffenarsenal des Pentagon. „Das gefiel den Leuten im Pentagon gar nicht. Wir beschafften uns das rückstoßfreie Geschütz M40 und alles, was wir sonst noch brauchen konnten, und flogen es in den Tschad. Für die Kosten musste das Pentagon aufkommen.“ Ihre erste große Lieferung bestand aus zehn Jeeps mit festmontierten Gewehren, und dazu gab es Spreng- und Pfeilmunition.
In den nächsten Jahren sah der Flughafen von N’Djamena manchmal aus wie die Rhein-Main-Airbase im kalten Krieg, sagte John Probst Blane, der von 1985 bis 1988 als amerikanischer Botschafter im Tschad stationiert war. Auf der Startbahn reihten sich die C-141 Starlifter und die Großraumtransportflugzeuge C-5 Galaxy. „Wir unterhielten dorthin so eine gewaltige Luftbrücke, wie Sie es sich kaum vorstellen können“, erzählt Blane.
Im Sommer 1983 erlebte Habré die erste größere militärischen Krise während seiner Präsidentschaft, als Oueddeis Truppen mit libyscher Unterstützung eine Offensive im Norden des Tschad unternahmen und die strategische wichtige Stadt Faya-Largeau eroberten, Habrés Heimatstadt.
Gaddafi entsandte paramilitärische Truppen und Jets der libyschen Luftwaffe, um Habrés Stellungen anzugreifen. „Nur zweimal habe ich gesehen, wie Habré die Fassung verlor“, sagt Peter Moffat, der dreieinhalb Jahre lang im Tschad war, zuerst als Geschäftsträger und dann als Botschafter. Der Diktator bekam es offensichtlich mit der Angst zu tun.
Nun stellte das Trio Duelfer-Bishop-Crocker eine geheime Sendung zusammen, zu der unter anderem 30 Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen vom Typ Redeye gehörten. Außerdem schickten sie amerikanische Ausbilder in den Tschad, um Habrés Truppen zu unterstützen. Zwei AWACS Radarflugzeuge, Kampfflugzeuge des Typs F-15 Eagle und Tankflugzeuge samt 600 Amerikanern, die Habrés Truppen Beistand leisten sollten, wurden in den Sudan entsandt, um die tschadische Gegenoffensive zu begleiten. Offiziell genehmigte Reagan eine Soforthilfe von 25 Millionen US-Dollar, und ein amerikanischer Diplomat reiste unauffällig nach Paris und versuchte, den damaligen Präsidenten François Mitterand als Verbündeten Habrés zu gewinnen.
Unterdessen traf ein hochrangiger CIA-Agent in Nigeria mit einem Kontaktmann beim nigerianischen Geheimdienst zusammen und gab eine Bestellung für mehrere Dutzend Toyota Hilux Pickups auf, die unauffällig an Habrés Truppen weitergeleitet wurden. Die Fahrzeuge waren mit schweren Maschinengewehren bestückt und führten in Habrés Gefechten mit den Libyern schließlich die Entscheidung herbei.
Oueddeis Truppen hatten keine Chance
Ein Mann namens Zakaria, der seinen Nachnamen nicht genannt wissen wollte, kämpfte als 21-jähriger Wehrpflichtiger mit Oueddeis Truppen in Faya-Largeau. Er sagte, er würde die Toyotas nie vergessen: Sie kamen in solch rasender Geschwindigkeit aus dem Norden daher und nahmen die Rebellen derart heftig unter Beschuss, dass sie von Panik ergriffen wurden.
Und dann erfolgte ein ebenso überraschender Angriff aus dem Süden, der die zur Verstärkung anrückenden Truppen abfing und dezimierte. Zuvor hatte der amerikanische Verteidigungsnachrichtendienst Habré nach Luftaufnahmen gefertigte Zeichnungen zukommen lassen, auf denen die feindlichen Stellungen eingetragen waren. Oueddeis Truppen hatten keine Chance.
Um ihren Sieg zu feiern, banden Habrés Männer ihre besiegten Gegner zusammen und schleiften sie gebündelt an den Stoßstangen ihrer Toyotas durch die Wüste, erzählte Zakaria. Dann erschien Habré in Uniform und ließ Gefangene aus bestimmten Städten vortreten, weil sie missliebigen Ethnien angehörten. Zakaria konnte wegen seiner schweren Verletzungen nicht aufstehen und blieb deshalb am Leben. Etwa 150 Gefangene wurden auf Lastwagen geladen, in die Wüste gefahren und erschossen.
Eine Woche nach Habrés Sieg in Faya-Largeau schickte Gaddafi reguläre libysche Truppen in den Kampf, wodurch sich der Konflikt dramatisch verschärfte. Libysche Jets bombardierten Habrés Truppen, und mit offener libyscher Unterstützung eroberten Oueddeis Truppen Faya-Largeau zurück und besetzten den gesamten Norden des Tschad. Nun entschied sich Paris, rund 3000 französische Fallschirmjäger zu entsenden, die entlang des 16. Breitengrads, etwa 200 Meilen nördlich von N’Djamena, eine Grenzlinie in den Sand zogen. Die Libyer blieben trotzdem noch jahrelang im Tschad.
Zakaria verbrachte die nächsten viereinhalb Jahre in Habrés grauenvollem Gefängnis Maison d’Arrêt. Im Oktober 2012 kam der inzwischen über 50-Jährige mit einem weißen Turban und einem langen Wüstengewand nach N’Djamena und bot sich einer von der tschadischen Anwältin Delphine Djiraibe mitbegründeten Menschenrechtsgruppe als Zeuge an. Reed Brody und der französische Anwalt Olivier Bercault, die gemeinsam die Klage gegen Habré vorbereiteten, befragten ihn mehrere Stunden lang.
Er beschrieb, was in Faya-Largeau geschehen war und wie Habré persönlich die Hinrichtung von Kriegsgefangenen befohlen hatte, und natürlich schilderte er, wie entsetzlich es im Gefängnis zuging. „Ich bin sehr gern bereit, als Zeuge gegen Hissène Habré aufzutreten“, sagte Zakaria mir damals. „Alles, was ich Ihnen gerade erzählt habe, möchte ich ihm ins Gesicht sagen."
2000: Die erste Anklage
Der Fall Habré lief am Anfang sehr gut“, erinnert sich Brody 14 Jahre, nachdem er ihn angestoßen hat. Ende Januar 2000 reichten Brody und seine Kollegen im Senegal ihre erste Klage ein. Schon einen Monat später wurde Habré angeklagt und verhört, und der Fall machte Schlagzeilen in der Weltpresse.
Während sie die Klage vorbereiteten, war ihre größte Befürchtung, ihr Opfer würde Lunte riechen. Anfangs konnten sie noch nicht beurteilen, welche Leute Informationen an Habré weitergeben würden, erklärte Brody. „Wir hatten wirklich Sorge, dass er versuchen könnte, sich aus dem Senegal abzusetzen.“
Im Januar besprach Brody mit seinem Team in New York, N’Djamena und Dakar in vielen verschlüsselten Telefongesprächen und E-Mails, wie sie die „Priester aus Griechenland zu einer Jubiläumsveranstaltung zum Kardinal nach Rom“ bringen wollten. Dabei war „Griechenland“ der Tschad, die „Priester“ waren sorgfältig ausgewählte Personen aus dem Tschad, die Opfer von Habrés Regime geworden waren. „Rom“ war Dakar, und der „Kardinal“ war Habré selbst. Die „Jubiläumsfeier“ war die Einreichung der Klage, mit der Habrés Opfer offiziell den Tatvorwurf der „Folter, barbarischer Verbrechen und Vergehen gegen die Menschlichkeit“ gegen ihn erheben würden.
Die Klage stützte sich im Wesentlichen auf die von Souleymane Guengueng gesammelten und in Nicolas Seutins Reisegepäck außer Landes geschmuggelten Aussagen der Opfer. Guengueng und sechs weitere Überlebende kamen mit dem Team in den Senegal und hielten sich für Zeugenaussagen zur Verfügung. Sie waren so ausgewählt worden, dass der Norden und der Süden des Tschad, die muslimische und die christliche Bevölkerung und die von Habré besonders verfolgten Ethnien vertreten waren. Dank fingierter Einladungen zu einem Seminar in Dakar konnten sie ihre Ausreise organisieren, ohne Verdacht zu erregen.
Das Team kam in einem schäbigen Hotel in Dakar zusammen. Am Abend, bevor sie die Klage einreichen wollten, klopfte Guengueng an Brodys Tür. „Ein großer, magerer Mann; mit den dicken Augengläsern, die er damals trug, machte er einen ernsten und entschlossenen Eindruck“, so schildert ihn Brody in seinen unveröffentlichten Aufzeichnungen, die ich einsehen durfte.
„Jetzt stand sein Lebensziel vor der Verwirklichung: Hissène Habré vor Gericht zu bringen. Er erklärte mir, dass er diese Sache bis zum Ende durchziehen wolle, und wollte wissen, ob ich das auch vorhatte. Ich sagte ihm, es sei mir eine Ehre, mit einem Menschen wie ihm zusammenzuarbeiten, und versprach, alles zu tun, was ich konnte.“
Am 26. Januar reichten sie die Klage ein. Zwei Tage darauf lud der Untersuchungsrichter die angereisten Tschader vor, und sie berichteten in einer nicht öffentlichen Sitzung über ihre Erlebnisse. Brody hatte die Presse informiert. Als die Zeugen aus dem Gerichtssaal kamen, wimmelte es von Journalisten, die sie mit ihren Fragen bestürmten, und der Fall machte in ganz Afrika Schlagzeilen.
Vier Tage danach erhob der Richter Anklage gegen Habré und stellte ihn vorübergehend unter Hausarrest. Ein Leitartikel in der „New York Times“ mit der Überschrift „Ein afrikanischer Pinochet“ verkündete, dass nun endlich ein neues Kapitel in der Entwicklung des internationalen Strafrechts eingeleitet worden sei.
Gleich danach bot der französische Botshafter im Senegal den tschadischen Zeugen vorläufiges Asyl in Paris an; er war überzeugt, dass ihr Leben in Gefahr wäre, wenn sie nach Hause zurückkehren würden. Alle warteten ab, was Guengueng dazu zu sagen hatte. Der Botschafter war tief beeindruckt, als Guengueng erklärte: „Bevor ich nach Dakar kam, um diesen Fall vor Gericht zu bringen, war ich bereit zu sterben. Morgen werde ich in den Tschad zurückgehen, und falls sie mich töten, wenn ich aus dem Flugzeug steige, werde ich als Held sterben.“
Guengueng blieb im Tschad am Leben. Human Rights Watch verlieh ihm einen mit 10.000 US-Dollar dotierten Preis und lud ihn zu einer Vortragsreise in die USA ein, bei der Spenden für das Verfahren gesammelt wurden. Während hochkarätiger Veranstaltungen in New York und Kalifornien scharten sich Prominente wie Samuel L. Jackson, Joan Baez und Nancy Pelosi um den bescheidenen afrikanischen Buchhalter, dem Brody stets zur Seite stand. Guengueng sprach sogar in der Kathedrale John the Divine in New York vor 1000 Zuhörern. Seine Leidensgeschichte trug dazu bei, dass eine breite Öffentlichkeit sich für das Verfahren interessierte.
Während der Reise wandte sich Brody an die Initiative für Folteropfer in der New Yorker Universitätsklinik Bellevue und erreichte, dass die Linsentrübung in Guenguengs Augen operiert wurde. Die Behandlung dauerte einige Monate, und in dieser Zeit wohnte Guengueng bei den Brodys in Brooklyn, wo er sich bald zum Champion im Monopoly-Spiel entwickelte. Im Winter machte er erstmals mit dem Schnee Bekanntschaft und ging mit Brodys Sohn Zac Schlitten fahren. Als er in den Tschad zurückkehrte, fühlte er sich hinreichend gestärkt, um sich weiter mit voller Kraft seiner Lebensaufgabe zu widmen.
1987: Der Sieg in der Wüste
Am Abend des 14. April 1986 stieg ein Geschwader von 58 amerikanischen Kampfflugzeugen von vier britischen Luftwaffenstützpunkten auf und flog in der Dämmerung nach Süden. Während die Bomber, die elektronischen Störflieger und die Tankflugzeuge einige Stunden später lautlos das Mittelmeer überquerten, katapultierten zwei amerikanische Flugzeugträger weitere Kampfjets in die Nacht.
Als es in der libyschen Hauptstadt Tripolis 1:50 Uhr war, legten die Amerikaner zunächst die modernen Radarsysteme von Gaddafis Luftabwehr mit elektronischem Störfeuer lahm. Dann griffen die Kampfjets verschiedene Ziele mit HARM- und Shrike-Raketen an. Mehr als zwölf Minuten lang beschossen die amerikanischen Bomber einen Flugplatz in Tripolis, eine libysche Marineakademie und die Festung Bab al-Azizia, in der sich Gaddafi mit seiner Familie aufhielt.
Gleichzeitig flogen zwölf Kampfflugzeuge nach Bengasi und Benina und zerstörten Kasernen und einen Fluglandeplatz. Etwa 37 Libyer, darunter auch Zivilisten, kamen ums Leben, ebenso zwei amerikanische Offiziere, deren Jagdbomber F-111 abgeschossen wurde.
Als Rechtfertigung für den Angriff diente der Terroranschlag auf eine Westberliner Diskothek, bei dem neun Tage zuvor zwei amerikanische Soldaten getötet worden waren. Ein Telex aus Tripolis war abgefangen worden, in dem libysche Agenten in Ostberlin zu einer erfolgreichen Aktion beglückwünscht wurden, deshalb wurde Gaddafi für die Tat verantwortlich gemacht. Aber eigentlich hatte Präsident Reagan nur auf eine Gelegenheit gewartet, endlich einmal zurückzuschlagen. Bisher hatte seine Regierung auf eine Serie terroristischer Angriffe in den frühen 1980er Jahren nicht weniger hilflos reagiert als die viel geschmähte Regierung seines Vorgängers Jimmy Carter.
Der Stellvertreterkrieg, den Habré in Reagans Auftrag führte, kostete nur einen Bruchteil der spektäkulären Operation Eldorado Canyon. Doch 200 Mal mehr libysche Soldaten kamen darin um und Libyen verlor militärische Ausrüstung im Wert von 1,5 Milliarden Dollar. Dieser Krieg wurde mit so einfachen Mitteln geführt, dass die letzte Etappe der Kampfhandlungen schlicht „Toyota-Krieg“ genannt wurde.
Dass Libyen die nördliche Hälfte des Tschad dauerhaft besetzt hielt, war für Habré ebenso demütigend wie Gaddafis Terroranschläge für die Regierung Reagan. 10.000 libysche Soldaten kontrollierten riesige Teile des Landes, und 1986 überquerten Rebellen mit libyscher Unterstützung den 16. Breitengrad und näherten sich der Hauptstadt. Den Aouzou-Streifen im Norden des Landes hatte Gaddafi schon lange für Libyen in Besitz genommen. Von hier aus flog seine Luftwaffe regelmäßige Einsätze über dem Tschad, und im tschadischen Wadi Doum errichtete er einen riesigen Luftstützpunkt, von dem aus er Habré angreifen konnte.
Die Franzosen hatten Ende 1984 ein Abkommen mit Gaddafi getroffen und ihre Truppen zurückgezogen, doch jetzt schickten sie ein neues überwiegend defensiv ausgerichtetes Kontingent, bestehend aus Kampfflugzeugen, Spezialeinheiten und 1000 regulären Soldaten, mit dem sie noch heute in Mali operieren. Sie flogen einen kurzen Bombenangriff auf Wadi Doum und verschanzten sich dann in einer sicheren Stellung. Habré rieten sie, es ebenso zu machen und Gaddafi nicht zu einem Angriff auf N’Djamena zu provozieren.
In panischer Angst flüchteten die libyschen Soldaten
Doch Habrés amerikanische Freunde waren anderer Meinung. John Probst Blane, damals Botschafter, erzählt: „Ich sprach fast jeden Tag mit dem Präsidenten, zumindest aber drei bis vier Mal die Woche, und gemeinsam waren wir, wie mir scheint, recht erfolgreich. Es ging ihm in erster Linie darum, die Libyer rauszuwerfen – das war sein einziger Gedanke.“ Die Amerikaner verstärkten ihre Waffenlieferungen an Habré, und weil die Libyer den Luftraum über N’Djamena verletzten, bestellten sie bei ihrem damaligen Verbündeten Saddam Hussein eine Blitzlieferung von sowjetischen Flugabwehrraketen des Typs SA-2, mit denen man einen Flughafen verteidigen konnte, wie ein hochrangiger amerikanischer Beamter sagte, der mit dem Geschäft zu tun hatte.
Habré gab jedoch keine Ruhe, bevor er nicht zwei weitere attraktive Artikel aus dem amerikanischen Waffenarsenal bekam, die dort am schärfsten unter Verschluss gehalten wurden: die tragbare Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete FIM-92 Stinger und die drahtgelenkte Panzerabwehrrakete BGM-71 TOW. „Er lag uns ständig in den Ohren: Ich brauch Stingers, ich brauche TOWs, ich brauche Stingers, ich brauche TOWs“, sagt der Beamte. „Vielleicht hätten wir es nicht tun sollen, aber schließlich gaben wir nach.“
Am 2. Januar 1987 startete Habré seine Gegenoffensive im Norden. Seine Truppen zerstörten ein schwer bewachtes libysches Kommunikationszentrum in Fada, indem sie die mit 1000 Mann besetzte Garnison von allen Seiten umzingelten und mehrfach blitzartig angriffen. Die Libyer konnten mit ihren sowjetischen T-55-Panzern und ihrer schweren Artillerie gegen diesen unkonventionellen Überfall nichts ausrichten.
Die tschadischen Truppen feuerten von ihren Pickups aus kurzer Entfernung panzerbrechende MILAN-Raketen ab und vernichteten die Panzerfahrzeuge, die im Sand steckenblieben. In panischer Angst flüchteten die libyschen Soldaten. Unterdessen versorgte der militärische Nachrichtendienst in Washington Habré mit aktuellen Luftaufnahmen von Gaddafis Minenfeldern und Truppenbewegungen.
Nun entsandte Gaddafi drei Bataillone und enorme Mengen an Waffen und Munition nach Wadi Doum. Schon bald verlor er zwei Panzereinheiten mit 800 Soldaten, als sie von Wadi Doum aus ihre Garnison in Fada zurückzuerobern versuchten und in einen Hinterhalt gerieten. Die tschadischen Truppen verfolgten die Überlebenden zurück nach Wadi Doum und schossen sich den Weg in den Stützpunkt frei. Innerhalb der Umzäunung von Wadi Doum attackierten die Tschader aus nächster Nähe. Nach zwei Stunden waren 1300 Libyer und 200 Tschader gefallen.
Im September fielen Habrés Truppen in Libyen ein. Mit einem Überraschungsschlag gelang es ihnen, die libysche Luftwaffe am Boden zu zerstören. „Sie machten den Stützpunkt vollkommen platt. Alles war hinüber – alle Flugzeuge, die am Boden standen“, sagt Blane. „Und offensichtlich hatten sie viele Leute dabei, die Auto fahren konnten, denn sie brachten 600 LKWs zurück.“ Außerdem eroberten sie riesige Mengen an Ausrüstung aus sowjetischen Beständen – ein Glückstreffer für den amerikanischen Geheimdienst.
„Damals wollte man dringend herauskriegen, wie die sowjetischen Waffensysteme funktionierten, wie effektiv sie waren, welche Radiofrequenzen sie nutzten“, sagt Charles Duelfer. Nun gab es intakte Mi-25-Kampfhubschrauber, SA-6-Flugabwehrraketen und 2D-Radargeräte. Duelfer half mit, alles zu registrieren. Die wertvollsten Teile wurden verpackt und mit riesigen C-5-Galaxy-Flugzeugen abtransportiert, damit amerikanische und französische Experten sie auseinandernehmen und untersuchen konnten.
Präsident Reagen wollte Habré im Oval Office die Hand schütteln
Nachdem Gaddafis Truppen in Wadi Doum aufgerieben worden waren, bekam Blane ein Telegramm aus Washington: Präsident Reagen wollte Habré im Oval Office die Hand schütteln. Am 19. Juni 1987 trafen die beiden im Weißen Haus zusammen. „Es lief wunderbar“, erinnert sich Blane, der 2012 verstarb, in seiner mündlichen Geschichte der amerikanischen Diplomatie.
„Meine Frau kam mit und kümmerte sich die ganze Zeit um Frau Habré. Also, es war ein voller Erfolg. Habré und Reagan kamen bestens miteinander aus.“
Genauso überschwänglich äußerte sich Reagan selbst über diese Begegnung. „Wir glauben, die Erfolge in der tschadischen Wüste sind ein gutes Omen, das Frieden und Stabilität in Afrika verheißt“, sagte er. „Präsident Habré hat mir heute versichert, dass er es als wichtige Aufgabe seiner Regierung ansieht, die Lebensbedingungen seines Volkes zu verbessern.“
Doch als Habré in den Tschad zurückkehrte, unternahm er zwei der schlimmsten Repressionskampagnen seiner ganzen Regierungszeit. 1987 formierte sich eine oppositionelle Bewegung um einen Offizier aus dem Volk der Hadjerai, und die Regierung antwortete darauf mit einer brutalen ethnischen Säuberungswelle. Zuerst richteten sich die Angriffe gegen die führenden Mitglieder des Stammes und ihre Familien und dann gegen die gesamte Ethnie. Zwei Jahre später sagte sich Habrés enger Berater Idriss Déby von ihm los – mit der Folge, dass sein Volk der Zaghawa nun ebenso brutal verfolgt wurde. Auch diesmal wurde die Zivilbevölkerung Opfer der kollektiven Racheaktion.
Während dieser Zeit wurde Habré von der amerikanischen Regierung und insbesondere vom Geheimdienst CIA weiter unterstützt – selbst dann noch, als das Interesse Washingtons an Libyen abnahm. Auch dass sich Hinweise von Gruppen wie Amnesty Intenational auf die abscheulichen Vorgänge in den Gefängnissen des Tschad häuften, änderte nichts daran.
Der Verdacht, dass Tausende Menschen unter unsäglichen Bedingungen inhaftiert waren, und zwar direkt gegenüber dem Gebäude der amerikanischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID, sollte sich später bewahrheiten, sagte der amerikanische Botschafter Richard Wayne Bogosian, der im Tschad war, als Habré gestürzt wurde. Doch all das konnte Hissène Habrés Position als Washingtons Partner in N’Djamena nicht erschüttern, denn „die Beziehung hatte eine gewisse Eigendynamik entwickelt“.
2001: Ein Archiv der Folter taucht auf
Reed Brodys erste Erfolge bei seiner Jagd auf Hissène Habré waren nicht von langer Dauer. Bald wurde ihm klar, dass es eher von den politischen Umständen abhing als von den Gesetzen, ob der Diktator auf der Anklagebank landen würde.
Am 4. Juli 2000, dem Tag, an dem die amerikanische Unabhängigkeit gefeiert wird, spielte Brody Softball bei einer Party in der Provinz des Staates New York, als er einen dringenden Anruf erhielt: Dem senegalesischen Richter, der gegen Habré Anklage erhoben hatte, war der Fall schon wenige Monate später entzogen worden. Offenbar sollte der Fall zu den Akten gelegt werden – und so geschah es tatsächlich. Zuerst wies das Appellationsgericht die Klage zurück, und im folgenden Jahr erklärte sich der oberste Gerichtshof des Senegal als nicht zuständig für Habrés im Tschad begangene Verbrechen. Diese Entscheidung stand in eklatantem Widerspruch zu Senegals Verpflichtung auf die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen.
Das war nur der erste von vielen Rückschlägen. Jacqueline Moudeina, eine der prominentesten Juristinnen des Tschad und die Leiterin des Anwaltsteams, das die Habré-Opfer vertrat, wurde überfallen und schwer verletzt. Sie hatte im Namen von 17 Folteropfern in N’Djamena Anzeige gegen sämtliche Mitglieder von Habrés Sicherheitspolizei erstattet, und ehemalige DDS-Beamte, von denen einige immer noch hohe Regierungsämter bekleideten, wurden vorgeladen und vernommen. Derartiges war im Tschad noch nie vorgekommen.
Einer der Beschuldigten war unter Habrés Nachfolger Déby in eine leitende Stellung bei der Polizei aufgestiegen, und im Juni 2001 attackierte ein Polizist Jacqueline Moudeina mit einer Handgranate, die zwischen ihren Beinen explodierte. Brody war damals in den USA, und er sammelte Geld, damit sie in Paris mehrfach operiert werden konnte. Außerdem mobilisierte er alle Journalisten, die er kannte, um Druck auf den damaligen senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade auszuüben. „Ich wollte ihm in dieser Sache keine Ruhe mehr lassen und dafür sorgen, dass man ihn auf Schritt und Tritt mit dem Fall konfrontierten würde“, sagt Brody.
Vor allem aber prüfte er nun alternative Standorte, an denen Habré vor Gericht gestellt werden könnte. Am 30. November 2000 erstatteten nach Belgien emigrierte tschadische Opfer Strafanzeige in Brüssel. Sie beriefen sich darauf, dass Belgien 1993 das Weltrechtsprinzip eingeführt hatte, nach dem auch Pinochet in England verhaftet worden war. Anfang 2002 hatte ein Brüsseler Richter mit einer Pferdeschwanzfrisur einen sensationellen Auftritt im Tschad, als er mit vier kräftig gebauten belgischen Polizisten und einem Staatsanwalt nach N’Djamena kam, um in dem Fall zu ermitteln. Dass er darauf bestand, die ehemaligen politischen Gefängnisse zu inspizieren, sollte sich als ein entscheidender Wendepunkt erweisen, obwohl es noch weitere zwölf Jahre dauerte, bis diese Recherchen Wirkung zeigten.
Paradoxerweise stieß Brody während der langjährigen Verzögerung auf weiteres erdrückendes Beweismaterial. An einem heißen Tag im Mai 2001 stand er vor dem berüchtigten Piscine, einem Schwimmbad aus der Kolonialzeit im Zentrum von N’Djamena, das von Habrés politischer Polizei in ein unterirdisches Verlies umgewandelt worden war – wahrscheinlich das schlimmste unter allen geheimen Gefängnissen der Habré-Zeit.
Brody brachte ein Team von Dokumentarfilmern mit und hatte der Regierung die Erlaubnis abgerungen, mit ihnen die verlassenen Zellen zu besichtigen. Sie nahmen die Graffiti auf den Wänden des Piscine auf, um die stummen Hilfeschreie der armen Seelen festzuhalten, die dort eingesperrt gewesen waren. Und da sie schon dabei waren, wollten sie auch das ehemalige Hauptquartier von Habrés politischer Polizei DDS aufnehmen, das direkt nebenan lag.
Eigentlich hatte Brody sich von dieser Aktion nur erhofft, dass der Fall wieder einmal in den Medien erscheinen würde. Doch in dem alten Polizeigebäude stand er auf einmal knietief in einem Berg von Akten, in denen Habrés unmenschliche Praktiken säuberlich dokumentiert waren. Tausende von zerknitterten Seiten aus den Aktenschränken der Geheimpolizei lagen lose auf dem Boden herum: Listen der Gefangenen, Protokolle von Verhaftungen und Verhören, Totenscheine und Spionageberichte – „ein aufgelöstes und vergessenes Archiv der dunkelsten Periode in der Geschichte des Tschad“, sagt Brody.
Es traf sich gut, dass Débys Regierung Wert darauf legte, sich vom Habré-Regime zu distanzieren. Brody erhielt die Genehmigung, die Dokumente zu kopieren. Der Dokumentarfilm über das ganze Unternehmen wurde von dem Schweizer Journalisten Pierre Hazan als „Chasseur de Dictateurs“ – Jäger der Diktatoren – herausgebracht.
Die DDS-Akten ließ Human Rights Watch in New York von einem unabhängigen Statistikunternehmen auswerten. Dabei kam heraus, dass sie Daten von 1208 Gefangenen enthielten, die im Gefängnis gestorben oder hingerichtet worden waren, und von 12.321 Personen, die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen geworden waren. Außerdem ging aus ihnen hervor, dass die Geheimpolizei 1265 Mitteilungen über 898 Gefangene direkt an Habré adressiert hatte.
Ein Dokument war jedoch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Es enthielt die Namen von zwölf Personen, die 1985 einen speziellen Fortbildungskurs in einer geheimen Einrichtung in der Nähe von Washington D.C. besucht hatten. Es waren zum Teil DDS-Leute und zum Teil Habrés persönliche Bodyguards. Bandjim Bandoum, ein rundschädeliger, untersetzter ehemaliger DDS-Agent, war einer von ihnen. Sein Name findet sich auf einer weiteren Liste. Eine nationale Untersuchungskommission des Tschad versuchte im Rahmen der dortigen Möglichkeiten, die Verbrechen des Habré-Regimes aufzuklären.
„Viele Gefangene wurden nachts unauffällig exekutiert.“
Im Jahr 1992 nannte sie die Namen von 14 DDS-Leuten, die den politischen Gefangenen als besonders sadistisch aufgefallen waren und als Habrés „grausamste Folterknechte“ bezeichnet wurden. Einer davon war Bandoum. „Oft besuchte er das Gefängnis, in dem ich festgehalten wurde, und scherzte mit den Frauen“, erzählt mir die ehemalige politische Gefangene Ginette Ngarbaye. „Aber in der Nacht kam er, um Leute abzuholen und sie zu töten.“
Bandoum vermied es, zu diesen Anschuldigungen direkt Stellung zu nehmen, als ich ihn 2012 in einem Café beim Pariser Gare du Nord zwei Mal zum Gespräch traf. Zugleich wollte er die Welt offensichtlich an seinem Insiderwissen teilhaben lassen. „Es wurden etwa 40.000 bis 45.000 Menschen getötet“, sagte er, „und diese Leute zählen genauso viel wie ich. Mir liegt daran, dass Habré vor Gericht kommt. Ich kann Namen nennen und viele Dinge aufklären. Und ich bin auch bereit, mich dafür zu verantworten, was ich selbst getan habe.“
Die Gäste am Nebentisch spitzten die Ohren und waren sichtlich schockiert, als sie zu hören bekamen, wie die Geheimpolizei funktioniert und sich an den Massenmorden mitschuldig gemacht hatte – etwa als Bandoum erzählte: „Viele Gefangene wurden nachts unauffällig exekutiert.“
Oder: „Ich wusste, dass man alle, die ich festnahm, foltern würde.“ Dann beschrieb er, wie die Gefangenen, nachdem man sie gefoltert hatte, einem Team von zehn bis zwölf DDS-Leuten vorgeführt wurden, die über ihr Schicksal entschieden.
Bandoum hatte sein Handwerk im Süden des Landes gelernt, wo die Bevölkerung erbitterten Widerstand gegen Habré leistete, seit er 1982 die Macht an sich gerissen hatte. Unter dem Befehl von Idriss Déby, Habrés damaligem Oberkommandeur, wurden sowohl Rebellen als auch Zivilisten zu Tausenden exekutiert. Da Bandoum aus dem Süden stammte und einen Cousin bei den Rebellen hatte, sollte er dort Informationen sammeln und seine familiären Kontakte dazu nutzen, zur Führung der Rebellen geheime diplomatische Verbindungen aufzubauen.
Im September 1984 hatte er die Rebellen so weit gebracht, dass sie zu einem Friedensabkommen bereit waren. Doch als sie die Waffen niederlegten und herbeikamen, um das Abkommen zu unterzeichnen, wurden sie von Habrés Soldaten niedergeschossen, erzählte Bandoum. Mit diesem Massaker begann die schlimmste Phase der Massenmorde im Tschad.
Während des „Schwarzen September“ liquidierten die Regierungstruppen ganze Dörfer, die verdächtigt wurden, mit den Rebellen zu sympathisieren. Von Déby erfuhr Habré, wie erfolgreich sich Bandoum bei diesen Gräueltaten engagiert hatte, und so wurde er direkt danach in die USA geschickt.
Der Kurs fand 1985 statt. Die Teilnehmer flogen nach Paris und wurden von amerikanischen Beamten in Empfang genommen, die mit ihnen zum Dulles International Airport bei Washington weiterflogen. Dort bestiegen sie ein Privatflugzeug mit verdunkelten Fenstern. Auch in dem Bus, der sie vom Landeplatz zum Trainingslager brachte, waren die Fenster geschwärzt.
„Sie brachten uns bei, wie Terroristen zu denken“
Nun wurden Bandoum und seine Gefährten zehn Wochen lang von amerikanischen Ausbildern in französischer Sprache im Handwerk der „Terrorabwehr“ unterwiesen. Sie lernten wie man Sprengstoff identifiziert und mit ihm umgeht, wie man Chemikalien, die zur Bombenherstellung dienen, am Geruch erkennt, wie man Bomben aufspürt und entschärft, Minen unschädlich macht und als Bodyguard agiert. „Sie brachten uns bei, wie Terroristen zu denken“, sagte Bandoum.
Dass er selbst und seinen Kollegen die eigenen Landsleute terrorisierten und dass es keine gute Idee war, ihnen dabei amerikanische Unterstützung zukommen zu lassen, spielte damals keine Rolle. „Es passierten viele schlimme Dinge“, erinnert sich Duelfer. 1983 gab es einen Anschlag auf das Hauptquartier des U.S. Marine Corps in Beirut und eine Autobombe beschädigte die amerikanische Botschaft in Kuwait.
Im März 1984 wurde William F. Buckley, der Chief-of-Station der CIA, in Beirut entführt. Einen Monat später eröffneten libysche Agenten aus der inoffiziellen libyschen Botschaft in London das Feuer auf die Passanten; eine englische Polizistin starb und weitere zehn Personen wurden verletzt. Im September 1984 wurden im Suez-Kanal Minen gelegt. Möglicherweise steckte Gaddafi dahinter, ebenso wie hinter einer Kofferbombe, die in den Tschad geschickt wurde, um Habré zu töten.
Ein Jahr darauf starben mehrere Amerikaner, als Terroristen ein TWA-Flugzeug, eine ägyptische Boeing 737 und eine Maschine der Kuwait Airlines entführten, den internationalen Flughafen Rom-Fiumicino angriffen und das Kreuzfahrtschiff Achille Lauro in ihre Gewalt brachten.
Diese Welle von Terroranschlägen versetzte Präsident Reagan in Rage. Im Juli 1985 hielt er eine militante Rede vor der amerikanischen Anwaltsvereinigung, in der er seine Prioritäten folgendermaßen definierte: „Das amerikanische Volk wird Einschüchterung, Terror und offene kriegerische Angriffe auf unsere Nation nicht tolerieren. Wir werden diese Angriffe nicht dulden, vor allem nicht von Schurkenstaaten, die von der absonderlichsten Ansammlung von Asozialen, Geisteskranken und schmutzigen Kriminellen seit dem Dritten Reich regiert werden.“
Nun erwiesen sich Bandoums in den USA erworbene Fertigkeiten offenbar für beide Seiten als nützlich: Er wurde zum Chef der Terrorbekämpfungsabteilung bei der DDS befördert und beschlagnahmte persönlich eine libysche Kofferbombe, worauf ein CIA-Mann namens John zu ihm ins Büro kam, um ihm zu danken und die Bombe abzuholen.
Doch Bandoum war auch für weniger edle Aufgaben zuständig, und schließlich setzte ihm das Einfangen und Verhören von Gefangenen derart zu, dass er 1987 einen psychischen und physischen Zusammenbruch erlitt und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Er konnte über ein Jahr lang nicht mehr arbeiten und als er einen Pass beantragte, machte er sich bei der DDS verdächtig. Er wurde in die Hauptstadt gebracht und von einem Team von 15 Kollegen einem „sehr aggressiven, sehr harten“ Verhör unterzogen. Sie warfen ihm konspirative Machenschaften gegen Habré vor und steckten ihn in eine Zelle ganz in der Nähe seines ehemaligen Büros bei der DDS.
Stets kurz vor Mitternacht wurden andere Gefangene aus Bandoums Zelle von drei bewaffneten Bewachern abgeholt und hingerichtet. Bandoum zermarterte sich den Kopf, wie er es schaffen könnte, eine Waffe an sich zu reißen und wenigstens einen zu töten, bevor er selbst sterben würde. Doch als sie ihn schließlich abholten, leistete er keinen Widerstand und ergab sich wehrlos seinem Schicksal. Aber dann trat eine überraschende Wendung ein: Der Leiter des Gefängnisses erschien, umarmte Bandoum und sagte ihm, er werde freigelassen.
Drei Tage darauf ließ ihn der neue DDS-Chef zu sich kommen und bot ihm einen Job an. Hätte er abgelehnt, wäre er wieder eingesperrt worden, und so nahm Bandoum seine Tätigkeit wieder auf. Aber er nutzte seine Kontakte in der französischen Armee und gab ihnen von nun an Informationen weiter. Habrés einstige Förderer in Paris waren nämlich mit der zunehmenden Brutalität seiner Diktatur nicht mehr einverstanden und wollten erfahren, was es mit den Massengräbern, den Hinrichtungen und den Straflagern auf sich hatte. Im Jahr 1990 brachten sie Bandoum außer Landes.
In Paris war er als ehemaliger Folterknecht bekannt
Doch Bandoum konnte seine Vergangenheit nicht abschütteln. Unter den Tschadern in Paris war er als ehemaliger Folterknecht bekannt, und so sah er sich ständigen Vorwürfen und Bedrohungen ausgesetzt. Ende 2001 oder Anfang 2002 traf er schließlich auf Dobian Assingar, einen bekannten Menschenrechtsaktivisten aus dem Tschad, der sich Reed Brodys Team angeschlossen hatte und den seine Arbeit am Fall Habré regelmäßig nach Paris führte. „Ich habe Sie beobachtet und verfolgt, was Sie in dieser Sache unternehmen“, erklärte ihm Bandoum. „Ich war an den Verbrechen beteiligt, mit denen Sie sich befassen.“
Bandoum lud Assingar zu sich nach Hause ein. Assingar hatte Bedenken, weil Kollegen ihm davon abgeraten hatten, aber dann konnte er doch nicht widerstehen. „Das war für uns eine einmalige Gelegenheit“, sagt er mir. Bandoum machte ihm etwas zu essen, und nach vielen Stunden und noch mehr Getränken willigte Bandoum ein, als Zeuge gegen Habré aufzutreten.
Als ich ihn in Paris interviewte, bestätigte er seine Bereitschaft, über seine Beteiligung an Habrés Verbrechen vollständig und detailliert Auskunft zu geben, sollte Brodys Team es schaffen, den Fall vor Gericht zu bringen.
Im Juli 2008 setzte sich Bandoum im Pariser Büro von Human Rights Watch insgesamt 15 Stunden mit Brody und anderen Mitgliedern des Anwaltsteams zusammen und erläuterte die Berge von Dokumenten, die Brody im Hauptquartier der Geheimpolizei gefunden hatte.
Dann gab er ein ausführliches Statement ab, in dem er die direkten Verbindungen zwischen dem Diktator und der DDS detailliert aufzeigte. „Es gibt in diesem Fall nicht das eine entscheidende Dokument, in dem Habré befiehlt: ‚Geht und tötet diese Leute‘“, erklärt Brody. „Aber Bandoum kann nachweisen, dass die Dokumente Habré direkt ausgehändigt wurden und dass er über alles genau Bescheid wusste. Hunderte dieser Schreiben sind an Habré adressiert. Bandoum kann bestätigen, dass sie vom DDS-Chef persönlich überbracht wurden, und so wissen wir auch, dass er sie gelesen hat.“
2013: Endlich geht der Prozess voran
Am Morgen des 30. Juni 2013 verhafteten senegalesische Polizisten Hissène Habré in seiner Wohnung in Dakar, wo er 22 Jahre lang höchst komfortabel im Exil gelebt hatte. Es wurden ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter zur Last gelegt. Er wird in einem proper in Stand gesetzten Gefängnis in Dakar festgehalten, bis vor einem eigens für dieses Verfahren geschaffenen, in das senegalesische Justizsystem eingebundenen Sondertribunal gegen ihn verhandelt wird. Das wird wahrscheinlich noch bis 2015 dauern. „Die Mühlen der Justiz sind angelaufen“, sagte Brody am Tag der Verhaftung des früheren Diktators. „Nach 22 Jahren sehen Habrés Opfer endlich einen Lichtstreifen am Horizont.“
Habré war nicht bereit, mir für diesen Artikel ein Interview zu gewähren, und ließ alle Anfragen durch seine Anwälte ablehnen. François Serres, einer seiner Pariser Anwälte, teilte mir mit, dass sein Mandant alle gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe zurückweise. Dass die Regierung Obama dieses Verfahren ausdrücklich befürwortet, bezeichnete er als den Gipfel der Scheinheiligkeit. In einem an die damalige Außenministerin Hillary Clinton adressierten Schreiben vom 4. Juli 2012 verurteilte er die amerikanische Position, die in einer im Monat zuvor an den Kongress gerichteten Stellungnahme des Außenministeriums zum Ausdruck kommt.
Er schrieb: „Dies ist keine faire und unvoreingenommene Sicht des Verfahrens. Vermutlich basiert sie auf den falschen Informationen, die von zahlreichen Organisationen verbreitet werden, unter anderem von Human Rights Watch. Vor allem der Sprecher dieser Organisation führt trotz einiger gerichtlicher Verfügungen seit einem Jahrzehnt mit Unterstützung der gegenwärtigen tschadischen Machthaber eine schändliche Kampagne gegen Hissène Habré und verstößt damit gegen die Menschenrechte.“
Es ist den Belgiern zu verdanken, dass Brody die Mühlen der Justiz endlich in Bewegung setzen konnte. 2003 war das belgische Gesetz, dem zufolge im Strafrecht das Weltrechtsprinzip gelten sollte, heftiger Kritik ausgesetzt. Sie kam vor allem aus den USA, nachdem gegen den ehemaligen Präsidenten George W. Bush, gegen Colin Powell und gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Dick Cheney wegen eines Bombenangriffs auf einen Zivilschutzbunker in Bagdad 1991, während des Golfkriegs, Anklage erhoben worden war. Auf Druck der Amerikaner wurde das belgische Gesetz im August 2003 außer Kraft gesetzt. Doch das Verfahren gegen Habré hatte bereits begonnen und konnte fortgesetzt werden.
Als Senegal Habrè trotz mehrerer Aufforderungen nicht auslieferte, wandte Belgien sich 2009 an den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, um Dakar zur Kooperation zu zwingen. „Wenn man den IGH einschaltet, kommt das auf der Ebene der Rechtsprechung einer Kriegserklärung gleich“, sagt Brody. Im März 2012 trat das Gericht endlich zusammen und prüfte, ob die Klage als begründet anzusehen sei, um dann eine für den Senegal bindende Entscheidung zu treffen.
Ein Wendepunkt in der Geschichte der afrikanischen Justiz?
Human Rights Watch brachte Souleymane Guengueng aus New York nach Den Haag. Das Dossier, das Brodys Team den belgischen Juristen für ihre Arbeit an dem Fall zur Verfügung stellte, enthielt die von Guengueng gesammelten Zeugenaussagen von Opfern, die Papiere aus dem DDS-Archiv und eine Reihe von Rechtsgutachten, die das Team seit der ersten Klage gegen Habré in Dakar eingeholt hatte.
„Dass die Verbrechen, derer Habré beschuldigt wurde, in allen Einzelheiten laut vorgelesen wurden und im Prinzip von beiden Seiten und vom höchsten Gericht der UN als Tatsachen akzeptiert wurden, war schon ein gewisser Erfolg“, sagt Brody. Er verfolgte die Verhandlungen mit einer Gruppe von Praktikanten und half den belgischen Anwälten, die Schriftsätze zu erarbeiten, mit denen sie auf die Stellungnahmen des Senegal reagierten.
Kurz darauf trat eine vielversprechende politische Veränderung ein. Im Senegal wurde Macky Sall zum Präsidenten gewählt, ein junger Politiker, der zum Durchgreifen entschlossen war. Gleich nach seiner Amtsübernahme erklärte Sall, er wolle für Rechtsstaatlichkeit sorgen und deshalb solle Habré im Senegal vor Gericht gestellt werden. „Wir wollten nicht länger wie die Katze um den heißen Brei schleichen, wie es die vorige Regierung gemacht hatte“, erklärte mir Aminata Touré, die damalige Justizministerin und jetzige Premierministerin, die auch als „Mimi the Storm“ bekannt ist. „Wenn wir A sagen, müssen wir auch B sagen.“
Dann verkündete der IGH am 20. Juli 2012 seine einstimmige Entscheidung, mit der Senegal angewiesen wurde, Hissène Habré ohne weitere Verzögerungen vor ein geeignetes senegalesisches Gericht zu bringen oder ihn auszuliefern. Jetzt war Guengueng zufrieden: „Heute sind wir der Gerechtigkeit einen Schritt näher gekommen – meine Freunde, die gefoltert wurden, die Menschen, die im Gefängnis umgekommen sind und all diejenigen, die die Hoffnung nicht aufgegeben haben.“
Personenverzeichnis (in der Reihenfolge des Auftretens)
Hissène Habré
Präsident des Tschad, 1982-1990
Idriss Déby
Präsident des Tschad, 1990 ...
Im Dezember reiste Brody in den Tschad. Er wollte dabei sein, als vier Ermittlungsrichter aus dem Senegal nach N’Djamena kamen, um Zeugenaussagen aufzunehmen – ein wichtiger erster Schritt in dem Verfahren. Jetzt glaubten viele von Habrés Opfern aus dem Tschad zum ersten Mal daran, dass ihm tatsächlich der Prozess gemacht würde, und waren deshalb bereit, gegen ihn auszusagen. Die Richter führten über 1000 Befragungen durch. In Begleitung forensischer Archäologen suchten sie Massengräber auf und inspizierten eine Farm im Süden des Tschad, wo Habrés Soldaten Hunderte von Rebellen massakriert haben sollen, die sich ihnen ergeben wollten.
„Dies könnte sich als ein Wendepunkt in der Geschichte der afrikanischen Justiz erweisen“, sagt Brody. „Wenn im Fernsehen ein Verfahren vor einem afrikanischen Gerichtshof gezeigt wird, in dem afrikanische Opfer einen afrikanischen Diktator zur Verantwortung ziehen, macht das einen tiefen Eindruck auf die Menschen. Wer zu hoffen begann, als das Gesetz die Möglichkeit bot, Pinochet zu verhaften, kann jetzt noch mehr Hoffnung schöpfen, wenn gezeigt wird, wie Souleymane Guengueng im Zeugenstand steht und wie Jacqueline Moudeina Hissène Habré ins Kreuzverhör nimmt, obwohl sie noch immer Schrotkugeln im Bein hat.“
Der amerikanische Präsident Barack Obama hat sich erfreut darüber geäußert, dass der Senegal Habré strafrechtlich verfolgen will, und die USA haben eine Million US-Dollar als Beitrag zur Finanzierung des Verfahrens in Aussicht gestellt. Allerdings hat auch die Obama-Regierung repressive Regierungen unterstützt, wenn dies im Interesse der USA zu liegen schien.
Und als sie im Jahr 2011 den libyschen Rebellen dabei half, Gaddafi zu stürzen, brachte sie zu Ende, was sich Präsident Reagan schon vor drei Jahrzehnten vorgenommen hatte. Wenn Washington sich jetzt für Gerechtigkeit im Tschad einsetzt, könnte man als Zyniker behaupten, die Amerikaner wollten nur davon ablenken, dass sie jahrzehntelang einen blutrünstigen Diktator unterstützt haben. Seit dem 30. November 1990, als Habré ins Exil ging, versuchen sie darüber Gras wachsen zu lassen.
An jenem Abend, kurz bevor N’Djamena Idriss Débys Rebellen in die Hände fiel, begab sich David Foulds von der amerikanischen Botschaft eilends in ein vor der Stadt gelegenes Trainingslager der CIA. Dort befand sich nämlich eine „fünfte Kolonne“ von etwa 200 bewaffneten Libyern, die er schleunigst evakuieren musste, bevor sie Débys Truppen in die Hände fielen. Er nahm ihnen die Waffen ab, lud die Männer auf Lkws und fuhr sie zum Flughafen.
Dort wurden sie so eng in die wartenden amerikanischen Starlifter gepackt, dass sie stehend ausgeflogen werden mussten. Über die Stinger-Raketen, die Habré aus den USA bekommen hatte, wurde Stillschweigen bewahrt. Schließlich tauchten sie vollzählig in einem Versteck unter dem Treppenhaus des tschadischen Verteidigungsministeriums wieder auf.
Hisséne Habré hinterließ sein Land in Scherben, sowohl in physischer wie in moralischer Hinsicht. Sein Regime kostete Zehntausende Tschader das Leben – sie wurden ermordet oder sie fielen im Kampf gegen Libyen. Einer von Habrés Opfern, ein Oppositionspolitiker namens Gali Gatta N’Gothe, vermittelte mir einen lebhaften Eindruck davon, in welcher Form der damalige Terror noch jetzt weiter wirkt. Gali hatte seinen Posten als Berater des Diktators aus Protest niedergelegt. 1990 wurde er verhaftet, weil er die Verteilung von Flugblättern organisiert hatte, die zur Beendigung der Repression und der Auflösung der Gheimpolizei aufriefen. Er wurde brutal gefoltert und inhaftiert, sowohl im Piscine als auch in der Gendarmerie, einem Gefängnis, in dem auch Guengueng ein Jahr zugebracht hat. Einmal wurde Gali vom Chef der DDS vernommen und beobachtete dabei, dass dieser während des ganzen Verhörs über sein Walkie-Talkie Anweisungen von Habré entgegennahm.
Gali ist ein kräftiger, unkomplizierter Mann mit einem Lockenkopf, der gerne lacht, aber während er mir von seinen Erlebnissen erzählt, hat er Tränen in den Augen. „Selbst jetzt habe ich noch Angst, wenn ich mit Ihnen darüber rede. Man beobachtet mich – das alles ist sehr gefährlich. Habrés System hat die ganze Bevölkerung gespalten; das soziale Gefüge ist zerrissen. Auch jetzt ist unser Leben noch von Hissène Habrés Regime geprägt.“
Wir sollten uns die Ereignisse im Tschad als Warnung dienen lassen, meint Charlie Duelfer. „Hat all das Gaddafi überhaupt geschadet? Ich weiß nicht“, sagte er nachdenklich, als wir vor Kurzem in einem irischen Pub in der Nähe des UN-Gebäudes beim Essen saßen. „Hätte es irgendeinen Unterschied gemacht, wenn wir gar nichts unternommen hätten?“
Obwohl Hissène Habré etwa 10.000 libysche Soldaten tötete, blieb Gaddafi noch zwanzig Jahre lang an der Macht. „Wenn man zehn Jahre später all unsere Operationen betrachtet, muss man sich doch fragen: Was haben sie gebracht? Nehmen wir Vietnam, nehmen wir den Irak zehn Jahre danach. Bin Laden? Der Krieg gegen den Terror? Im Lauf von zehn Jahren hat es uns eine Billion Dollar gekostet, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen. Das halten alle für einen Riesenerfolg. Ich bin mir da nicht so sicher.“
Aus dem Englischen von Anna Latz.
Neuen Kommentar hinzufügen