Die Welt ist aus den Fugen, lautet derzeit eine Formel von Außenminister Steinmeier. Damit spricht er zwar als Außenpolitiker, aber zugleich vielen Menschen aus dem Herzen. Wohin man auch blickt, scheint sich Krise an Krise zu reihen: von Syrien über den Irak bis Libyen, von der Ukraine über Griechenland bis Portugal. Dazu kommen der Klimawandel, Umweltverschmutzung, Nahrungsmittelknappheit und nicht zuletzt das globale Flüchtlingselend. Die Welt steht vor großen Anforderungen, die kein Staat allein lösen kann. Das ist keine neue und auch keine sonderlich originelle Aussage. Aber ihr Wahrheitsgehalt war vielleicht noch nie so groß wie heute.
Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu Lösungen sind die Vereinten Nationen (UN). Gerade haben sie mit Pomp ihr 70. Jubiläum gefeiert – und sind doch heute schwächer als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Gründe dafür gibt es viele. Einer ist, dass große Mächte sich teilweise von den UN abgewandt haben. Ein entscheidender liegt aber auch in der Person des heutigen Generalsekretärs. Dass Ban Ki-moon, der Ende des Jahres ausscheidet, bei Amtsantritt niemand kannte, obwohl er davor jahrelang Südkoreas Außenminister gewesen war, hat noch nicht weiter verwundert. Aber dass man ihn auch nach einem knappen Jahrzehnt als UN-Generalsekretär kaum wahrnimmt, ist bemerkenswert.
Ban ist nicht böse oder inkompetent. Kenner schildern ihn als intelligenten, freundlichen und arbeitssamen UN-Chef. Akzente hat er jedoch kaum gesetzt. Auch ein Profil hat er in all den Jahren nicht entwickeln können, wahrscheinlich, weil er von Anfang an als kleinster gemeinsamer Nenner für die maßgeblichen UN-Mächte galt.
Das Sprachrohr und Gesicht der UN
Nun ist der Posten auch einer der schwierigsten im internationalen Gefüge. Der UN-Generalsekretär muss vieles vereinen, hat aber nur überschaubare Befugnisse: Er kontrolliert weder Land noch Truppen, kann keine Gesetze erlassen oder durchsetzen, darf keine Steuern erheben und hat im Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung nicht einmal ein Stimmrecht. Die UN-Charta beschreibt seine politischen Kompetenzen in nur einem einzigen Artikel, der ihm eine Alarm- und Aufmerksamkeitsfunktion zuschreibt. Damit ist er eine Art Sprachrohr der Welt – und gleichzeitig das Gesicht der Organisation. Mit anderen Worten: Weil ihm als wichtigstes Mittel nur die Kraft der Überzeugung bleibt, steht und fällt sein Erfolg mit seiner Persönlichkeit. Umso wichtiger ist es, den Posten an jemanden zu vergeben, der tatsächlich überzeugen und – ja auch – inspirieren kann.
Das ist selbst für die Besten keine leichte Aufgabe, wie schon mancher von Bans sieben Vorgängern erfahren musste. Der erste, der Norweger Trygve Lie, gab entnervt auf und trat vorzeitig zurück. Von ihm ist die Aussage überliefert, dies sei der „unmöglichste Job“ der Welt. Der zweite, der Schwede Dag Hammarskjöld, kam auf tragische Weise im Dienst ums Leben. Der Birmane Sithu U Thant wollte gar nach einer Amtszeit aufhören, um nicht weiter ein „glorifizierter Buchhalter“ sein zu müssen. Nur mit Mühe überredete man ihn zu einer zweiten Runde. Und der siebte, der Ghanaer Kofi Annan, galt zunächst als „Amerikas Pudel“, um am Ende von Washington zum Rücktritt genötigt zu werden. Dem konnte er sich zwar widersetzen, aber auch Annan urteilte schließlich, für dieses Amt brauche man wirklich ein „dickes Fell“.
Die Königsmacher sitzen im Sicherheitsrat
Idealerweise muss ein UN-Generalsekretär moralische Instanz, Moderator, Diplomat und Führungskraft in einem sein – ein hoher Anspruch, den nur wenige erfüllen. Umso erstaunlicher ist, dass alle UN-Chefs bisher in exklusiver Hinterzimmer-Manier auserkoren wurden. Nach der UN-Charta sind sie von der Generalversammlung auf Vorschlag des Sicherheitsrats zu wählen. In der Praxis sah das meist folgendermaßen aus: Der Sicherheitsrat verhandelte hinter verschlossenen Türen so lange, bis ein Kandidat ausgeguckt war. Die Generalversammlung nickte diese Entscheidung dann nur noch ab. Da die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates – China, Großbritannien, Frankreich, Russland und die USA – auch in dieser Frage ein Veto-Recht haben, kommt ihnen die Rolle der Königsmacher zu. Und häufig haben sie vor allem nach willfährigen Erfüllungsgehilfen gesucht.
Nicht zuletzt wegen der schwierigen Weltlage ertönt inzwischen aber immer lauter der Ruf nach einem anderen, transparenteren Auswahlmodus. „Lasst uns den besten UN-Führer finden“, heißt es zum Beispiel bei der globalen Initiative „One for seven billion“. Und auch in der Generalversammlung hat sich über die Jahre Unmut aufgestaut über dieses Verfahren „per Fingerzeig“. Deshalb hat sie im vergangenen Herbst eine Resolution verabschiedet, die ihr mehr Einfluss bei der Wahl zusichern soll. Darin fordert sie den Sicherheitsrat auf, die Namen der Kandidaten samt Lebenslauf und ihren Zielen für die UN vorab bekannt zu machen. Auch Anhörungen soll es geben. Tatsächlich sind die ersten Namen bereits veröffentlicht. Osteuropa nimmt für sich in Anspruch, dieses Mal an der Reihe zu sein. Deshalb finden sich auf der Liste derzeit vor allem Namen aus dieser Region. Dazu gehören die UNESCO-Chefin Irina Bokova und der Außenminister von Montenegro, Igor Lukšić.
Autorin
Friederike Bauer
arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Sie lebt in Frankfurt am Main und schreibt hauptsächlich über Außen- und Entwicklungspolitik.Die gute Nachricht lautet: Es ist Bewegung in die Sache gekommen. Dadurch besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, dieses Mal tatsächlich eine starke Persönlichkeit auszuwählen. Dafür sollte man rund um den Globus nach geeigneten Namen suchen und sich nicht unnötig von regionalen Aspekten einengen lassen. Nach acht Männern ist die Zeit außerdem reif für eine Frau. Geeignete Kandidatinnen gibt es genügend: Von der Chilenin Michelle Bachelet über die Litauerin Dalia Grybauskaite und die Costa Ricanerin Christiana Figueres bis hin zu Catherine Ashton und den beiden Deutschen Angela Kane – sie war bis vor wenigen Monaten Hohe Repräsentantin der UN für Abrüstungsfragen – und Angela Merkel. Sie alle haben internationale Erfahrung und auf unterschiedlichen Posten Führungskraft bewiesen.
Die Welt kann es sich nicht erlauben, weitere zehn Jahre mit einem blassen Generalsekretär zu verlieren. Oder um mit Alt-Bundespräsident Herzog zu sprechen: Es muss ein Ruck durch die Staatengemeinschaft gehen.
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