Warum setzt sich die Katholische Kirche in Deutschland dieses Jahr für Christen in Indien ein?
Weil es dort eine große Zahl von Christen gibt, die Drangsalierungen ausgesetzt sind. Trauriger Höhepunkt waren die Auseinandersetzungen im Bundesstaat Orissa, denen 2008/2009 rund 55.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Sie wurden von hindu-nationalistischen Gruppen in die Flucht getrieben, ihre Häuser wurden angezündet, ihre Dörfer zerstört. Es gab 100 Tote und viele Verletzte. Bis heute konnten viele nicht in ihre Dörfer zurückkehren.
Gehen die Hindu-Nationalisten speziell gegen Christen vor?
Nein, sie wenden sich gegen alle, die in ihren Augen fremd sind, seien es Christen, Muslime, Adivasis oder Dalits.
Was können deutsche Christen für ihre Glaubensgeschwister in Indien tun?
Sie können sich im Gedenken des Leides der Menschen annehmen. Aber es geht auch darum, ihre Situation bekannt zu machen. Früher galt Indien als armes Land. Heute ist es wirtschaftlich erfolgreich. Der Hindu-Nationalismus hingegen ist nur wenig bekannt. Wir wollen darüber aufklären. Die Vorfälle in Orissa sind weltweit erst an die Öffentlichkeit gekommen, als der französische Präsident Nicolas Sarkozy seinen indischen Kollegen beim Staatsbesuch in Paris im Oktober 2009 darauf angesprochen hat. Auch indische Medien begannen damals, darüber zu berichten.
Wie definieren Sie den Begriff Christenverfolgung?
Man muss unterscheiden zwischen Situationen, in denen Menschen an der Ausübung ihres Glaubens gehindert werden, also der Einschränkungen der Religionsfreiheit, und wirklicher Bedrohung. Wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens um Leib und Leben fürchten müssen oder gezwungen werden, eine andere Religion anzunehmen, dann ist das Verfolgung.
Wie groß ist das Problem?
Manche Organisationen behaupten, dass weltweit 200 Millionen Christen verfolgt werden. Das ist Unfug. Solche Zahlen kommen nicht einmal zustande, wenn man alle Christen in der islamischen Welt, in China, Indien und Nordkorea zusammenzählt. Zudem stellt sich die Lage regional ganz unterschiedlich dar. In Indien werden beileibe nicht alle 34 Millionen Christen verfolgt. Solche übertriebenen Zahlen helfen natürlich beim Spenden sammeln. Geradezu gefährlich wird es, wenn das Thema Christenverfolgung und die genannten Zahlen mit der Einwanderungsdebatte in Verbindung gebracht und als Argument gegen den Islam ins Feld geführt werden.
Warum ist es wichtig, dass verfolgte Christen aus dem Ausland Unterstützung erhalten?
Die Betroffenen können selbst oft gar nicht zu Lösungen finden. Wenn Christen in Nordkorea zum Beispiel öffentlich ihre Rechte einfordern würden, würden sie sofort im Gefängnis landen – das droht ihnen ja schon, wenn sie nur ihren Glauben bezeugen. Aber auch in harmloseren Fällen wie in Indien oder in der Türkei ist es für die Christen schwer, selbst für ihre Rechte einzutreten. Oft fehlt es an Rechtsanwälten, die sich für die Belange einer Minderheit einsetzen. Da ist es wichtig, dass wir vom Ausland gemeinsam mit Kirchen und Opfergruppen vor Ort nach Lösungen suchen.
Christenverfolgungen sind kein neues Phänomen. Das Thema ist aber erst in letzter Zeit in Deutschland in den Blick gekommen. Wie erklären Sie das?
Mit dem Internet gibt es wesentlich bessere Informationsmöglichkeiten. Zudem haben sich auch einige Organisationen und Redaktionen auf das Thema Christenverfolgung spezialisiert. Sie gehen verstärkt in die Öffentlichkeit. Aber auch Vorkommnisse wie die Ermordung deutscher Mitarbeiter evangelisch-freikirchlicher Gruppierungen zum Beispiel im Jemen und die Berichterstattung darüber spielen eine Rolle. Da wächst in der Gesellschaft das Interesse an dem Thema genauso wie durch die Diskussionen rund um den Karikaturenstreit oder das Minarettverbot in der Schweiz. Da wird Christenverfolgung in islamischen Ländern schnell als Keule gegen den Islam eingesetzt.
Das Gespräch führte Katja Buck.