Im Blindflug

Die Amerikaner wollen ihre Jagd auf Al-Qaida-Terroristen im Jemen mit Hilfe unbemannter bewaffneter Flugzeuge verstärken, so genannter Drohnen. Die militärische Intervention könnte jedoch wie im Irak und in Afghanistan genau das Gegenteil bewirken: ein Erstarken islamistischer Gruppen, die verstärkt Rückhalt in der Bevölkerung finden. Mehr Unterstützung für den Aufbau demokratischer Strukturen sowie mehr Entwicklungshilfe wären sinnvoller, um dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen.

Von Stephen Zunes

Die USA bereiten offenbar von ihren Militärbasen in Afrika aus neue, noch heftigere Drohnenangriffe auf mutmaßliche Terroristen im Jemen vor. Zwar kommen bei solchen gezielten Aktionen gemeinhin weniger Zivilisten um als bei konventionellen Luftangriffen. Doch sie stützen sich oft auf unzuverlässige Geheimdienstinformationen, weshalb der Tod Unbeteiligter in Kauf genommen werden muss. Somit werden die Angriffe den Rückhalt der Extremisten in der Bevölkerung wahrscheinlich eher verstärken. Möglicherweise sind die USA dabei, sich mit dieser Art Aufstandsbekämpfung in einen weiteren Krieg hineinziehen zu lassen, der genau wie im Irak und in Afghanistan die bestehenden Probleme verschlimmern wird.

Die USA sind seit langem besorgt über die Präsenz von Al-Qaida in den schlecht kontrollierbaren Grenzgebieten des Jemen, vor allem seit die jemenitischen und die saudischen Zellen des Terrornetzwerks neuerdings gemeinsam agieren. Während der 1980er Jahre waren Tausende Jemeniten mit Hilfe der Amerikaner im afghanischen Widerstand gegen die Sowjetunion aktiv. Diese Erfahrung hat sie radikalisiert und in Kontakt mit Osama bin Laden gebracht, einem Saudi-Araber, dessen Vater aus einer jemenitischen Familie stammt. Weil sich verschiedene Stämme zur Loyalität gegenüber der Familie bin Laden verpflichtet sehen, genießt der Al-Qaida-Führer im Jemen einen gewissen Rückhalt, auch bei denjenigen, die seine reaktionäre Interpretation des Islam und seine Befürwortung schwerer Terroranschläge nicht unbedingt gutheißen.

Eine neue Generation radikaler Islamisten hervorgebracht

Hunderttausende Jemeniten haben als Migranten im benachbarten Saudi-Arabien gearbeitet. Ihre Begegnung mit der dogmatischen Interpretation des Islam seitens der Wahhabiten sowie die Diskriminierung, der sie sich vielfach ausgesetzt sahen, hat sie zusätzlich radikalisiert. Im Oktober 2000 griffen Al-Qaida-Terroristen das US-Kriegsschiff „Cole“ im jemenitischen Hafen von Aden an und töteten 17 amerikanische Seeleute. Dieser Anschlag führte zu einer verstärkten militärischen und nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit der USA mit dem Jemen und einer Reihe von amerikanischen Raketenangriffen auf mutmaßliche Al-Qaida-Aktivisten.

Derzeit gibt es im Jemen wohl nicht mehr als 200 zum harten Kern zählende Al-Qaida-Terroristen, und viele von ihnen kommen aus dem Ausland. Hinzu kommen etwa 2000 kampferprobte Jemeniten, die im Irak gegen die amerikanischen Besatzungstruppen im Einsatz waren. Die Reihen der Al-Qaida wurden außerdem von zurückgekehrten Veteranen von Abu Musab al-Zarqawis irakischer Terrorgruppe verstärkt, und so hat sich im Jemen eine umfangreiche und noch radikalere Generation von Kämpfern herausgebildet, die dem labilen Waffenstillstand zwischen den Islamisten und der jemenitischen Regierung ein Ende setzte.

Die Gegner der amerikanischen Invasion und Besetzung des Irak im Jahr 2003 haben Recht behalten mit ihrer Vorhersage, dass diese zwangsläufig eine Aufstandsbewegung zur Folge haben und eine neue Generation von radikalen Islamisten hervorbringen würde – genau wie nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Leider hielten die Mitglieder der Bush-Regierung und ihre Unterstützer im Kongress – die damaligen Senatoren Joe Biden und Hilary Clinton eingeschlossen – den Einmarsch im Irak für so wichtig, dass sie die Gefahr in Kauf nahmen, damit eine weitere Brutstätte des antiamerikanischen Terrorismus zu schaffen. Ausgerechnet von Biden und Clinton sowie von Verteidigungsminister Robert Gates, der die amerikanische Invasion ebenfalls unterstützt hat, erwartet Präsident Barack Obama jetzt, dass sie ihm helfen, mit dem Chaos fertig zu werden, zu dessen Entstehung sie beigetragen haben.

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Offenbar begreifen die Amerikaner nicht, dass im Jemen die Stämme traditionell weitgehende Autonomie genießen. Sie missverstehen die Schwäche der Zentralregierung als Zeichen, dass es sich um einen „gescheiterten Staat“ handelt. Sie versuchen daher, über eine breit angelegte Aufstandsbekämpfung mit Gewalt ein zentrales Machtzentrum zu etablieren. Ein rein militärisches Eingreifen könnte jedoch dazu führen, dass sich die Aufstandsbewegung ausweitet. Das Vorgehen der jemenitischen Regierung hat wesentlich zu der Houthi-Rebellion im Norden des Landes beigetragen, die von den Anhängern der schiitischen Zaidi-Bewegung angeführt wurde. Die USA übernahmen weitgehend die stark überzogene Auffassung, bei der Rebellion handele es sich um eine vom Iran gesteuerte Bewegung, und stellten sich hinter das brutale Vorgehen der jemenitischen und saudi-arabischen Truppen in der Region. Auch im ehemals unabhängigen Süden des Landes gibt es erneut Abspaltungstendenzen. Vor allem aufgrund dieser doppelten Bedrohung zögerte die jemenitische Regierung zunächst, auf die zunehmende Präsenz der Al-Qaida zu reagieren.

Angesichts der Gefahr eines direkten militärischen Eingreifens der USA gegen Al-Qaida geht die jemenitische Regierung nun selbst verstärkt gegen Terroristen vor. Allerdings weniger weil sie hofft, dass die Amerikaner ihre Kooperationsbereitschaft mit Gegenleistungen honorieren werden. Vielmehr dürfte dahinter eher die Angst davor stecken, was geschieht, wenn sie nichts unternimmt. Die Regierung befindet sich in einer schwierigen Zwangslage. Wenn es ihr nicht gelingt, der Terrorzellen Herr zu werden, wird die zu erwartende militärische Intervention der Amerikaner wahrscheinlich noch einen viel breiteren bewaffneten Widerstand provozieren. Wenn sie jedoch zu drastisch vorgeht und der Anschein entsteht, dass sie auf Geheiß einer westlichen Großmacht ungerechtfertigte Repressalien ausübt, riskiert sie Unruhen in der Bevölkerung und eine Rebellion der Stämme. In jedem Falle würde die Unterstützung für radikale Gruppierungen wahrscheinlich zunehmen.

Verarmte Regionen sind auf Entwicklungshilfe angewiesen

Die meisten westlichen Experten sind sich deshalb einig, dass ein verstärktes Eingreifen der Amerikaner riskant ist. Es hätte nicht nur die Ausweitung des bewaffneten Widerstands im Jemen zur Folge. Wenn die USA im Namen der Terrorbekämpfung in einem weiteren islamischen Land militärisch intervenierten, würde das die Position militanter Islamisten vermutlich auch in anderen Ländern stärken. Obama wurde zum Präsidenten gewählt, weil er einen Richtungswechsel versprochen hatte. Dazu gehört auch die Abwendung von einer Außenpolitik, die im Irak und anderswo katastrophale Folgen hatte. Doch im Jemen scheint seine Regierung die kurzsichtige Taktik seiner Vorgänger beizubehalten: Sie unterstützt ein repressives und autoritäres Regime, setzt auf militärische Lösungen für komplizierte soziale und politische Konflikte und verlässt sich auf Strategien der Aufstandsbekämpfung, die sich als untauglich erwiesen haben.

Im Jemen stellt Al-Qaida eine echte Bedrohung dar. Doch müssen alle Kampfmaßnahmen von den Jemeniten ausgehen, und sie dürfen sich nur gegen die gefährlichsten Terrorzellen richten. Außerdem muss auf die jemenitische Regierung Druck ausgeübt werden, dass sie mehr Demokratie erlaubt und die Korruption abbaut. Nur so kann sie den Rückhalt in der Bevölkerung finden, den sie braucht, um sich gegen die gefährlichen bewaffneten Kader durchzusetzen. Die verarmten ländlichen Regionen, in denen sich die radikalen Islamisten festsetzen konnten, sind dringend auf Entwicklungshilfe angewiesen und müssen von den USA langfristig sehr viel stärker finanziell unterstützt werden. Eine solche Strategie würde weit mehr bringen als die geplanten Drohnenangriffe.

Aus dem Englischen von Anna Latz.

Stephen Zunes ist Professor für Politikwissen­schaften und internationale Studien mit Schwerpunkt Mittlerer Osten an der Universität von San Francisco.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2010: Arabische Welt: Umworben und umkämpft
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