Keine Zauberformel

Kampf gegen Malaria
Mit Moskitonetzen und Medikamenten kann man das Sumpffieber eindämmen. Doch endgültig los wird man die Krankheit so nicht.

Wo die Malaria weit verbreitet ist, hat sie denselben Stellenwert wie bei uns in Deutschland eine fiebrige Erkältung zur Winterzeit: Fast jeder hatte sie mal, sie kommt immer wieder, für Erwachsene geht es meistens glimpflich aus. Malaria ist vor allem in vielen Ländern Afrikas Alltag.

Alles nicht so schlimm also? Doch. Die hohen Fallzahlen machen die Malaria zu einem bedrohlichen Killer. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO waren in diesem Jahr mehr als 200 Millionen Menschen mit Malaria-Parasiten infiziert. In den ärmsten Ländern zählt die Malaria deshalb zu den zehn häufigsten Todesursachen. In diesem Jahr sind geschätzt zwischen 300.000 und 600.000 Menschen an dem Fieber gestorben, die meisten Opfer sind kleine Kinder. Genauere Angaben sind nicht möglich, die Dunkelziffer ist hoch. Neun von zehn Todesopfern lebten in Afrika, wo der gefährlichste Erreger grassiert: Plasmodium falciparum.

Die Malaria begleitet den Menschen von Anbeginn, und seit Jahrtausenden versucht er, sich von ihr zu befreien. Der britische Mediziner Ronald Ross entdeckte 1897, dass die Infektion über Moskitostiche übertragen wird. Er war zuversichtlich, dass in nur zwei Jahren jede Stadt in den Tropen von der Krankheit befreit werden könnte. Sein Rezept: Einfach jeden mückenverseuchten Tümpel dünn mit Öl besprühen, so dass die im Wasser heranwachsenden Larven ersticken. Zu dieser Zeit war Malaria auch in Europa und Nordamerika weit verbreitet.

Abrakadabra-Maßnahmen

Sechzig Jahre später hieß das Wundermittel DDT. 1958 startete die US-Regierung eine globale Anti-Malaria-Kampagne, der sich 90 weitere Länder anschlossen. Überall auf der Welt wurden fünf Jahre lang Häuser und Hütten mit dem damals noch unumstrittenen Insektenvernichtungsmittel besprüht, um die Moskitos auszurotten. Die Infektionszahlen gingen tatsächlich deutlich zurück, und aus einigen Ländern konnte die Malaria vertrieben werden. Doch nach dem Ende der Kampagne erreichte die Zahl der Infektionen weltweit schnell wieder den alten Wert.

Heute kommt die Hoffnung aus dem Gentech-Labor. Im November meldeten Forscher der Universität von Kalifornien, sie hätten einen Moskito genetisch so verändert, dass er den Malariaerreger nicht weitergibt und die neue Eigenschaft zudem an seinen Nachwuchs vererbt.

Öl auf Pfützen, flächendeckend DDT versprühen, genmanipulierte Mücken – die Wissenschaftsjournalistin Sonia Shah, die ein dickes Buch über die Geschichte der Malaria geschrieben hat, nennt die vergeblichen Versuche, die Krankheit auszurotten, Abrakadabra-Maßnahmen: Mit dieser Zauberformel wollte der römische Arzt Serenus Sammonicus vor 2000 Jahren das Sumpffieber vertreiben. Sonia Shah hingegen ist überzeugt: Die Malaria lässt sich eindämmen, aber nicht endgültig besiegen. Der Mensch muss lernen, mit ihr zu leben.

Dabei zeigen die Bemühungen, die Malaria zurückzudrängen, durchaus Erfolge. Zum Beispiel im westafrikanischen Benin. Der Tropenmediziner Klemens Ochel vom Missionsärztlichen Institut Würzburg war dort Ende der 1980er Jahre als Entwicklungshelfer in einem ländlichen Krankenhaus. Von den 100 Betten seien 20 das ganze Jahr über mit schwer an Malaria erkrankten Kindern belegt gewesen; viele seien gestorben. Ganz anders das Bild bei seinem Besuch vor zwei Jahren: kaum noch Kinder mit Malaria, wenn überhaupt, dann nur während oder kurz nach der Regenzeit. Die Ärzte berichteten Ochel zudem, die Krankheitsverläufe seien weniger schwer als früher, es gebe weniger Tote.

Das deckt sich mit globalen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation: Demnach sind die Neuinfektionen in den vergangenen 15 Jahren weltweit um mehr als die Hälfte zurückgegangen, die Zahl der Todesfälle durch Malaria sogar um zwei Drittel. In Benin seien flächendeckend Moskitonetze verteilt worden, sagt Ochel; das sei maßgeblich für den Erfolg gewesen. Zudem habe man dazugelernt: Vor 30 Jahren habe jeder Patient mit entsprechenden Symptomen ein Malaria-Medikament erhalten, ohne sicher zu sein, ob es sich überhaupt um das Fieber handelt. Diese Überdiagnose, wie es in der Fachsprache heißt, ist schädlich, weil sie die Parasiten resistent macht. Heute werde deshalb gemäß den WHO-Richtlinien nur noch gegen Malaria behandelt, wenn die Krankheit eindeutig diagnostiziert wurde. Dafür gibt es inzwischen einfache Schnelltests.

Engmaschige Überwachung

80 Prozent aller Malaria-Infektionen weltweit konzentrieren sich auf rund 15 Länder, die meisten in Afrika. Dort geht die Zahl der Neuinfektionen und der Todesfälle deutlich langsamer zurück als in anderen Erdteilen. Immerhin: Das kleine Swasiland im südlichen Afrika steht kurz davor, die Malaria innerhalb seiner Grenzen zu besiegen – es wäre nach den beiden Inselstaaten Seychellen und Mauritius das erste Land südlich der Sahara, dem das gelingt. Dazu beigetragen hat ein engmaschiges Überwachungsverfahren: Sobald sich ein Patient mit Verdacht auf Malaria meldet, werden landesweit Mitarbeiter des staatlichen Malaria-Kontrollprogramms alarmiert, um mögliche weitere Fälle aufzuspüren.

Kinder unter fünf Jahren sind besonders gefährdet, weil sie noch keine Abwehrkräfte entwickelt haben. Laut WHO entfallen auf sie mehr als zwei Drittel aller Malaria-Todesfälle. Erwachsene hingegen sind häufig immun gegen die Erreger: Bis zu 85 Prozent der infizierten Menschen zeigen nie Symptome; die Parasiten schlummern in ihren Körpern, ohne dass das Fieber ausbricht. Auch das erschwert die Bekämpfung der Malaria: Die Menschen tragen die Erreger in sich und geben sie weiter, ohne es zu wissen. Die Weltgesundheitsorganisation sieht deshalb die beste Vorbeugung darin, die Übertragungswege zu unterbrechen.

Die Leute müssen unter Netzen schlafen, um sich vor Moskitostichen zu schützen. Laut der Initiative Roll Back Malaria, zu der über 500 Organisationen, Hilfswerke, Regierungen, Unternehmen und Forschungsinstitute gehören, wurden im Jahr 2014 auf der ganzen Welt geschätzt 214 Millionen mit Insektiziden imprägnierte Moskitonetze verteilt. Ochel erklärt, das sei heute zielgerichteter möglich als früher, weil man mehr über die Moskitos wisse: Manche lebten vor allem im Haus und warteten bis zur Nacht auf menschliches Blut. In anderen Regionen, in denen viele Tiere gehalten werden, seien Moskitonetze weniger notwendig. Hier leben die Mücken vor allem im Freien und ernähren sich von Tierblut.

Ein anderer Weg, die Malariamücken vom Menschen fernzuhalten, besteht darin, Häuser, Hütten und Wohnungen mit Insektiziden einzusprühen. Gleichzeitig verteilen Hilfsorganisationen und Regierungen von Jahr zu Jahr mehr Medikamente in den Malariagebieten. 2013 wurden nach Angaben von Roll Back Malaria weltweit 392 Millionen Dosen des am häufigsten gegen Malaria eingesetzten Wirkstoffs Artemisinin geliefert; 2005 waren es noch elf Millionen Dosen.

Die WHO wertet ein Land als malariafrei, wenn in drei aufeinanderfolgenden Jahren keine neuen Infektionen aufgetreten sind. In den vergangenen Jahren haben das vier Länder geschafft: die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Turkmenistan und Armenien. Die Erfahrung aus früheren Versuchen, die Malaria zu beseitigen, lehrt, dass solche Kampagnen einen langen Atem brauchen und so wie in Swasiland gut organisiert sein und straff durchgezogen werden müssen.

Als die USA und die Weltgesundheitsorganisation Anfang der 1960er Jahre ihre auf das Pflanzenschutzmittel DDT gestützte Initiative nach nur fünf Jahren wieder einstellten, waren die erzielten Erfolge schnell wieder zunichte. Laut Sonia Shah konnte das Fieber nur aus 18 von den 93 beteiligten Ländern endgültig vertrieben werden. „Die Malaria, die blieb“, schreibt die Journalistin, „hat sich in den ärmsten Regionen der Welt festgesetzt. Sie ist heute in jeder Hinsicht schwerer zu kontrollieren.“

Resistenter Parasit

Der Malaria-Parasit macht es seinen Gegnern schwer, weil er sich ständig verändert und seiner Umgebung anpasst. Wann immer der Mensch ihm mit Medikamenten zu Leibe rückt, entwickelt er Resistenzen dagegen. So häufen sich seit einigen Jahren in Südostasien die Fälle von Resistenz gegen Artemisinin. Fachleute sind alarmiert: Sie fürchten, das sich diese Widerstandsfähigkeit auf die Erreger in Afrika ausbreiten könnte. Das würde die Behandlungsmöglichkeiten dort deutlich einschränken.

Tropenmediziner Ochel erklärt, solche Resistenzen würden dadurch begünstigt, dass in vielen Ländern Malariapräparate ohne Rezept zu kaufen sind und von den Leuten unsachgemäß eingenommen werden. Das ist eine Folge der früher weit verbreiteten Überdiagnose: Für die Leute ist jede mit Fieber einhergehende Krankheit Malaria, die entsprechend behandelt werden muss. Im zentralafrikanischen Tschad etwa hat sich in der lokalen Variante des Arabischen der Name der Malaria-Arznei Chinin als Synonym für den Begriff Tablette eingebürgert.

Der komplexe Lebenszyklus der Malaria-Parasiten, seine Wandelbarkeit sowie viele Unbekannte in der Reaktion des menschlichen Immunsystems auf den Erreger erschweren auch die Entwicklung eines Impfstoffs. Zwar wurden in den vergangenen 15 Jahren große Fortschritte gemacht, aber schon oft haben Forscher oder Pharmaunternehmen voreilig erklärt, sie stünden kurz vor dem Durchbruch. Das vielversprechendste Präparat der Firma GlaxoSmithKline soll in den kommenden Jahren in einer Feldstudie in einigen Ländern Afrikas getestet werden. In klinischen Tests hatte das Mittel die Infektionsrate bei Kindern um 39 Prozent gesenkt. Mindestens nötig seien aber 75 Prozent, um als Impfstoff flächendeckend eingesetzt zu werden, sagt Ochel.

Ob es gelingt, die Malaria weiter einzudämmen, wird nach Ansicht von Fachleuten vor allem davon abhängen, ob es für die vielen einzelnen Schritte – von der Verteilung von Moskitonetzen bis zur Forschung an neuen Medikamenten – ausreichend Geld gibt. Die vor 15 Jahren verabschiedeten UN-Millenniumsziele hätten der Finanzierung einen enormen Schub verliehen, sagt Ochel. Von 1993 bis 2013 haben sich allein die Ausgaben für die Forschung an Malariamedikamenten und Impfstoffen auf jährlich 550 Millionen US-Dollar vervierfacht. Das meiste Geld kommt aus dem 2002 eingerichteten Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria, dessen jährliches Budget derzeit bei vier Milliarden US-Dollar liegt. Die größten Beiträge für den Fonds liefern die USA, Norwegen, Schweden und Großbritannien. Wichtigster privater Geber ist die Stiftung von Bill und Melinda Gates. Sie steht weiter fest zu dem Ziel, die Malaria endgültig zu besiegen. Bis zum Jahr 2040 würden dafür insgesamt bis zu 120 Milliarden US-Dollar gebraucht.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".
Die Journalistin Sonia Shah bleibt skeptisch. Sie ist im Laufe ihrer Recherchen zum Schluss gekommen, dass Interventionen von außen in die Malariagebiete das Problem lindern, aber nicht vollständig beseitigen können – eben weil die Krankheit zum Alltag der Menschen gehört und die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu ändern, irgendwann an Grenzen stößt. Wer will schon Nacht für Nacht in tropischer Hitze unter einem Moskitonetz schlafen?

Das beste Mittel gegen Malaria sei deshalb Armutsbekämpfung. Wo Straßen nicht bei jedem Regen zu Schlammgruben werden, wo das Wasser aus der Leitung kommt und nicht in trüben Tümpeln steht und wo Abwässer unterirdisch entsorgt werden und nicht offen durch das Dorf fließen, können die Malariamoskitos nicht gedeihen. Europa und Nordamerika seien heute frei von Malaria, nicht weil man die Krankheit als solche bekämpft, sondern weil man die ländliche Armut beseitigt habe, sagt Shah. „Wir haben die Lebensweise bekämpft, die Malaria begünstigt – und haben die Krankheit langsam verdrängt.“

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erschienen in Ausgabe 2 / 2016: Seuchen: Unsichtbare Killer
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