„Kirche muss nicht um ihrer selbst willen eins sein“

Kirchenführer aller Konfessionen werden nicht müde, zur Einheit der Christenheit aufzurufen. Doch theologische Differenzen und harsche Auseinandersetzungen um gesellschaftliche und politische Fragen stehen dem entgegen. Johannes Oeldemann plädiert dennoch dafür, dass Kirchen mit einer Stimme sprechen.

Johannes Oeldemann ist Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn. Der katholische Theologe ist außerdem Mitglied der Gemeinsamen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und der Orthodoxen Kirche in Deutschland. Im vergangenen Jahr ist sein Buch „Einheit der Christen – Wunsch oder Wirklichkeit?“ im Regensburger Pustet Verlag erschienen.

Heute gehen die Meinungen von christlichen Kirchen bei Themen wie Homosexualität und Frauenordination stark auseinander. Wie glaubhaft sind Aufrufe zur Einheit vor diesem Hintergrund?

Homosexualität und Frauenordination sind Themen, die nicht in erster Linie zwischen den Kirchen umstritten sind. Sie wirken vielmehr innerhalb von Kirchen spaltend, wie zum Beispiel in der anglikanischen. Dahinter steht die grundsätzliche Frage, wie schnell sich eine Kirche an gesellschaftliche Veränderungen anpassen soll. Die Rolle der Frau und auch die Frage nach den Rechten von Homosexuellen sind Themen, die kirchengeschichtlich noch nicht sehr lange diskutiert werden.

Für einen Homosexuellen, der von seiner Kirche abgelehnt wird, ist das keine hilfreiche Erklärung.

Das mag sein. Aber Dogmatik und Ethik dürfen nicht voneinander getrennt werden. Eine Kirche, welche die Einheit nur auf die Lehre bezieht und die Lebensrealität ihrer Mitglieder aus dem Blick verliert, steht auf tönernen Füßen. Der Aufruf zur Einheit gründet im Glaubensbekenntnis, in dem wir uns zur „einen“ Kirche Jesu Christi bekennen. Allerdings gibt es unterschiedliche Vorstellungen, was zur Einheit der Kirche erforderlich ist. Aus evangelischer Sicht ist es ausreichend, wenn Kirchen in der Verkündigung des Evangeliums und der evangeliumsgemäßen Spendung der Sakramente übereinstimmen. Katholiken, Anglikaner und Orthodoxe sehen neben Wortverkündigung und Sakramentenspendung auch das kirchliche Amt, das diesen Grundauftrag der Kirche ausübt, als konstitutiv für die Kirche an.

Wenn orthodoxe Kirchen die evangelische Taufe nicht anerkennen, katholische Priester evangelischen Christen das Abendmahl verweigern, dann fällt die Konzentration auf das Gemeinsame schwer.

Taufe und Eucharistie sind keine Randthemen, sondern zentral für alle Kirchen. Und es ist ja nicht so, dass Orthodoxe generell die protestantische Taufe ablehnen und katholische Priester Protestanten grundsätzlich nicht zur Kommunion zulassen. 2007 beispielsweise hat die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), der auch die orthodoxen Kirchen in Deutschland angehören, eine Erklärung zur wechselseitigen Tauf­anerkennung unterzeichnet. Übrigens ging diese Initiative vom Vatikan aus. Es gibt also auch Fortschritte auf dieser Ebene.

Die Einheit der Christenheit wird immer wieder beschworen als ein Bollwerk gegenüber der säkularen Welt. Braucht es einen solchen Gegenpart, damit sich die Kirchen stärker annähern?

Nein. Geschichtlich gesehen war die Kirche zwar oft stärker, wenn sie von außen bedroht wurde. Doch Allianzen gegen etwas sind meist recht kurzlebig. Wichtiger ist, dass die Kirchen durch ihr gemeinsames Zeugnis gegenüber der Welt positiv Einfluss nehmen auf gesellschaftliche oder politische Prozesse. Kirche muss nicht um ihrer selbst willen eins sein.

Hätte das Christentum mehr Einfluss, wenn es nur eine Kirche gäbe?

Es ist wichtig, dass die Kirchen mit einer Stimme sprechen. Dafür braucht es aber nicht unbedingt eine einheitliche Kirchenstruktur.  Zum Beispiel haben die Kirchen in Deutschland auf dem Ökumenischen Kirchentag in München beschlossen, dass sie einen gemeinsamen ökumenischen Gebetstag für die Bewahrung der Schöpfung einführen wollen, der am ersten Freitag im September oder – in Anknüpfung an örtliche Traditionen – zwischen dem 1. September und 4. Oktober stattfinden soll. Diese Initiative ging übrigens von den orthodoxen Kirchen aus, die einen solchen Gebetstag seit längerem in ihrem Kirchenkalender festgelegt haben.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.

erschienen in Ausgabe 10 / 2010: Artenvielfalt: Vom Wert der Natur

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