Von Frank Bliss
Seit einigen Jahren ist die internationale Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zunehmend bemüht, sich mit Korruption in ihren Partnerländern auseinanderzusetzen. Unter dem Stichwort „Förderung von Good Governance“ werden Finanzverwaltungen und nationale Rechnungshöfe beraten und es wird die Ausarbeitung von Gesetzen unterstützt, um die Transparenz und die „Accountability“, die Rechenschaftslegung bei der Verwendung von Mitteln, zu erhöhen. Auf diese Weise soll Korruption zumindest erschwert werden. Zugleich soll erreicht werden, dass im Land selbst mehr Geld zur Bekämpfung von Armut zur Verfügung steht. Dies gilt für die Fördermaßnahmen der deutschen EZ ebenso wie für die anderer bilateraler Geber und nahezu aller multilateraler Institutionen.
Thematisiert wird dagegen weniger der Missbrauch von EZ-Mitteln und ihr Verhältnis zur Korruption in den Partnerländern. Der kenianische Ökonom James Shikwati betrachtete beides als unlösbar miteinander verbunden. Diese Position trifft für die Mehrzahl seriöser Entwicklungsvorhaben sicher nicht zu. Aber es ist offenkundig, dass zumindest ein Teil der EZ zum Ziel von Korruption und somit von Ausbeutung wird – zum Teil mit Kenntnis der Geberseite und vielfach nur mit mehr oder weniger gelungenen Versuchen, das zu unterbinden. Auch ist zumindest ein Teil der Argumente überzeugend, laut denen die EZ die Korruption in den Empfängerländern begünstigt. Die Geber scheinen ihre Anti-Korruptionsrichtlinien nicht hinreichend anzuwenden. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Korruption und noch tolerierbarer Vorteilsnahme schwierig und deshalb ist es strittig, was man durchgehen lassen kann und was nicht.
Wenn im Rahmen eines EZ-Projekts Zement für Wasserspeicher „gestreckt“ wird und das eingesparte, dem Geber aber in Rechnung gestellte Geld zwischen der staatlichen Wassergesellschaft und der beauftragten Baufirma geteilt wird, dann ist das eindeutig Korruption. In diesem Beispiel aus der Praxis waren die Folgen zudem unverkennbar: Ein Großteil der neu gebauten Wasserspeicher leckte bereits bei Inbetriebnahme. Das Projekt konnte daher vom Geber fristlos abgebrochen werden. In einem anderen Fall wurden einer internationalen Entwicklungsbank in einem Gesundheitsprogramm bis zu zwanzig Mal überteuerte Importmedikamente in Rechnung gestellt – trotz einer Ausschreibung, die sich streng an Anti-Korruptionsbestimmungen orientierte. Vertreter der nationalen Gesundheitsbehörden hatten offenkundig die Anbieter „geimpft“, die Angebote mit ihnen abgesprochen und sich vermutlich den erheblichen Gewinn mit ihnen geteilt.
Literatur
Preventing Corruption in Resource Allocation. Land Reform, Forest Management, Agricultural Irrigation. A Practical Guide, GTZ, Eschborn 2005
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Auf den ersten Blick ebenso klar erscheint ein dritter Fall: Bei einem international geförderten landesweiten Schulbauprogramm wurde für die Gebäude, die die staatliche Investmentgesellschaft in Auftrag gegeben hatte, ein Betrag in Rechnung gestellt, der dreimal so hoch war wie der für vergleichbare Bauten. Genauer betrachtet verliert das Beispiel aber an Eindeutigkeit. Denn zum einen erhält die Investmentgesellschaft für ihre Tätigkeit Verwaltungskosten von 20 Prozent der Bausumme. Zum anderen darf unterstellt werden, dass in Entwicklungsländern ebenso wie in Deutschland öffentlich ausgeschriebene Aufträge mitunter sehr viel teurer werden als direkt verhandelte (etwa wegen illegaler Absprachen oder zu wenigen Anbietern). Was ursprünglich als Beitrag zur Transparenz gedacht war, verkehrt sich in sein Gegenteil. Dass eine nichtstaatliche Organisation im selben Land Schulen für ein Drittel der Kosten gebaut hat, ist in diesem Fall kein Beweis für Korruption, sondern lediglich ein Indiz für eine weitaus effizientere Arbeit dieser Organisation im Vergleich zum Geber-Partner-Modell.
Der Tschad liefert ein Beispiel dafür, wie die EZ Korruption nicht nur toleriert, sondern geradezu gefördert wird. Das Sahelland erhält trotz seiner notorisch schlechten Regierungsführung von vielen internationalen Gebern bis heute Projektunterstützung – vermutlich auch aufgrund geschönter Bewertungen durch die Weltbank. Es ist davon auszugehen, dass die Verträge der Geber mit dem Tschad Zollfreiheit für Importe vorsehen, die im Rahmen des Projektes laufen. Es wird jedoch immer wieder berichtet, dass ein erheblicher Teil des Projektetats dafür verwendet werden muss, Fahrzeuge und Material durch den Zoll zu bekommen, um arbeiten zu können. Ein Gegenbeispiel ist aus Äthiopien bekannt: Eine internationale Organisation wartete vier Monate auf die Zollabfertigung ihrer Autos und setzte sich am Ende mit ihrer klaren Anti-Korruptionslinie durch. Das Argument, zu zahlen, um schneller arbeitsfähig zu werden und die Planungsvorgaben einhalten zu können, wurde verworfen.
Eine sehr häufig zu beobachtende Grauzone der Begünstigung ist das sogenannte “topping-up“ von Gehältern der Partnerseite im Rahmen ausländischer Projekte. In der Regel legen Verträge fest, dass die Gehälter der einheimischen Partner vom Partnerland gezahlt werden. In der Praxis zahlen die Partner jedoch häufig nur ein schmales Basisgehalt, das in Sahelländern selbst für Programmdirektoren oft nur 200 bis 300 Euro monatlich beträgt. Das Projekt – also der Geber – zahlt hingegen Dienstwagen, gegebenenfalls eine Dienstwohnung und Tagessätze „für die Arbeit im Feld“, die sich im Monat auf ein Mehrfaches des Gehaltes der einheimischen Projektmitarbeiter summieren. UN-Organisationen, internationale Entwicklungsbanken und bilaterale Geber liefern sich oft einen regelrechten Konkurrenzkampf um die höchsten Zulagen, einerseits um die besten Mitarbeiter zu bekommen, andererseits um sich bei Regierungsvertretern einzuschmeicheln.
Üblich sind auch Tagessätze – per diems – für Planungsseminare oder andere Tagungen. Die für einen einzigen Tag gezahlten „Aufwandsentschädigungen“ für die Teilnahme betragen oft die Hälfte des Monatsgehaltes einfacher Projektmitarbeiter. Ist diese Unsitte nun Korruption, Begünstigung oder „nur“ eine gezielte Motivation? Ganz sicher ist sie verheerend für die Arbeitsmoral in der öffentlichen Verwaltung der Partnerländer, denn sie signalisiert: Arbeit für das nationale Gehalt ist nicht notwendig, erst mit Tagessätzen beginnt die Verpflichtung. Und ebenso sicher ist sie eine Quelle für Korruption. Denn im Kampf um die zusätzlich honorierten Posten dürfte aus den Tagessätzen die eine oder andere Abzweigung an die Vorgesetzten fällig werden.
Gelegentlich wird in der Debatte der Begriff der entwicklungspolitisch „zielführenden“ Korruption verwendet. Gemeint ist damit, dass armen Menschen schneller geholfen werden könne, wenn Korruption akzeptiert wird und die strengen Regeln zu ihrer Bekämpfung nicht befolgt werden. Durch kleine „Eintrittsgelder“, so die grundlegende Idee, könnten Barrieren schneller beseitigt und die Armut effizienter bekämpft werden als unter Berücksichtig ung der „reinen Lehre“. Ein solcher Denkansatz lässt außer Acht, dass damit die Arbeit der gesamten Gebergemeinschaft beeinträchtigt werden kann, weil die Bestechung zur Norm erhoben wird. Damit allerdings nicht vermischt werden sollten Geschenke an sogenannte „Türöffner“ – Personen, die mit ihren Kenntnissen und Beziehungen eine Arbeit erheblich erleichtern. Für ihre Bezahlung erbringen sie in der Regel Gegenleistungen.
Eine andere Form der angeblich zielführenden Korruption ist die Bestechung von Regierungsangehörigen oder das stillschweigende Tolerieren von Mittelabzweigungen, um eine bestimmte Politik durchzusetzen. Diese Politik wird unter anderem China und Frankreich in Afrika nachgesagt und führt dazu, dass am Ende das gesamte Konzept der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in den betreffenden Ländern bedroht ist. Der Verlust an Geberkoordination, die völlige Aufgabe von ethischen Standards oder die „Versteigerung von Projekten“ durch Reduzierung der Anforderungen im Bieterwettbewerb sind nur einige Folgen. Eine solche Politik hat nicht die Armutsbekämpfung zum Ziel, sondern die Stationierung von Truppen, einen Marktzugang oder die Ausbeutung von Ressourcen.
Da davon ausgegangen werden muss, dass in einer Vielzahl von Partnerländern die Korruption im Regierungsapparat fest verankert ist, stellt sich die Frage, wie darauf reagiert werden kann. Ist eine gewisse Korruption hinnehmbar, wenn unter dem Strich entwicklungspolitische Erfolge noch möglich sind? Wenn ja, wo werden dann die Grenzen gezogen? Der Vertreter einer internationalen Entwicklungsbank in einem südostasiatischen Land gab unter vier Augen zu, dass 20 bis 30 Prozent „Verluste“ kaum vermeidbar seien. Drohten noch höhere Verluste, versuche man zu intervenieren. Würden mehr als 40 Prozent der Mittel zweckentfremdet oder abgezweigt, könne es „Probleme“ mit dem Projekt geben. Unter dem Strich schmälert eine solche Tolerierung erheblich die Mittel, die weltweit für die Armutsbekämpfung zur Verfügung stehen. Gemäß einer vermutlich konservativen Schätzung des US-Senats soll allein die Weltbank seit Beginn ihrer Förderpolitik bis 2004 auf diese Weise rund 100 Milliarden US-Dollar ihrer Mittel verloren haben, das entspricht 20 Prozent. Jeder fünfte Dollar fiel also der Korruption zum Opfer.
Die Bekämpfung der Korruption in der EZ ist schwierig – vor allem dann, wenn die Geber keine gemeinsame Politik verfolgen. Zumindest im Grenzbereich der Tagssätze und Gehaltsaufstockungen ließen sich aber mit etwas mehr Ehrlichkeit schnell Lösungen finden. Warum erstellen die seriösen Geber in einem Land nicht gemeinsame Listen, in denen Gehälter für die Partner festgelegt werden, die dann auch aus der Projektkasse bezahlt werden? So könnte mit dem gesamten Unsinn der Tagessätze aufgeräumt werden.
Korruption in Projekten ließe sich wahrscheinlich am besten mit mehr Beteiligung der Bevölkerung bei der Planung, der Verwirklichung und der Kontrolle erreichen. Die Menschen vor Ort, denen ein Vorhaben nützen soll, sind oft die besten Kontrolleure gegen Korruption. In Pakistan, wo bei einem Trinkwasserprojekt die geforderten Leistungen sowie die vereinbarten Honorare an Baufirmen veröffentlicht wurden, vertrieben die Bewohner mehrerer Dörfer die Mitarbeiter korrupter Baufirmen, als sie feststellten, dass diese ihre vertraglich festgeschriebene Arbeit nicht lieferten.
Im Fall des erwähnten Schulbauprogramms würde die Veröffentlichung der entsprechenden Zahlen vielleicht zivilgesellschaftliche Organisationen auf den Plan rufen und die staatliche Investitionsgesellschaft zu Erklärungen zwingen. Je stärker sich die EZ der Öffentlichkeit stellt und auf transparente Bedingungen achtet, desto größer sind die Chancen auf Verbesserungen auch in Ländern mit hoher Korruption. Allerdings sollte im Hinterkopf behalten werden, dass ein großer Teil der EZ-Mittel für Bauarbeiten und Beschaffungen ausgegeben wird. In diesen beiden Bereichen ist die Korruption auch in Industriestaaten überdurchschnittlich verbreitet
Frank Bliss ist Professor für Entwicklungsethnologie an der Universität Hamburg und beschäftigt sich besonders mit soziokulturellen Fragen von Entwicklung, Gender und Partizipation.