Mit einer Entschließung hat sich im Juli das EU-Parlament in Stellung gebracht und die Beibehaltung des EU-Agrarhaushalts in Höhe von derzeit rund vierzig Prozent des EU-Budgets gefordert. Die in den letzten Jahren betriebene „Entkoppelung“ der EU-Subventionen von den Marktpreisen solle abgeschlossen und durch direkte Zahlungen an landwirtschaftliche Betriebe unter anderem für Umwelt- und Klimaschutz ersetzt werden. Die Entschließung fand eine überwältigende Mehrheit quer durch alle Fraktionen. Derzeit haben die Direktzahlungen einen Anteil von drei Viertel des EU-Agrarhaushalts. Der Rest entfällt auf die „zweite Säule“ der EU-Agrarpolitik, die Förderung des ländlichen Raums mittels Subventionen zum Beispiel für die Infrastruktur oder für landwirtschaftliche Schulungen.
Auf Seiten der EU-Agrarminister und ihrer Lobby hat sich ebenfalls eine große Koalition aus mindestens 22 der 27 EU-Mitglieder formiert, die unter einem „grünen“ Etikett für den Erhalt des größten Stücks am Kuchen des EU-Budgets fechtet. Die Agrarier in der EU-Kommission schließlich haben für ihre breit angelegten Konsultationen Mitte Juli die Richtung klar vorgegeben: Die Nahrungsmittelerzeugung in der EU sowie die Vitalität und die optimale Nutzung der Vielfalt der ländlichen Regionen sollen gesichert werden. Zudem sollen die Umwelt geschützt und öffentliche Güter durch die Landwirtschaft bereitgestellt sowie die Qualität und die Vielfalt der Lebensmittelversorgung gewährleistet werden.
Die EU-Landwirtschaft überrollt die Kleinbauern im Süden
Im Effekt soll die vorgeschlagene Agrarreform einige „historische Ungleichheiten“ wie die Bevorzugung großer Betriebe in der derzeitigen Bemessung von Direktzahlungen abbauen. Gleichzeitig sollen die gesamten Leistungen aus den öffentlichen Kassen Brüssels und der einzelnen EU-Mitglieder die Grundkosten der Agrarunternehmen decken und sie weitgehend unabhängig machen von schwankenden Produktionseinnahmen. Das setzt genau jene Entwicklung fort, die es der EU ermöglicht hat, mit einer stetig wachsenden Ausfuhr über 17 Prozent des Welthandels von verarbeiteten Lebensmitteln und Getränken zu erobern. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft anderswo in der Welt wird davon überfahren.
Die vollständige Ablösung der EU-Subventionen von den Agrarpreisen und die weitere Liberalisierung von Zöllen und Quoten ist das Pfund, mit dem die EU in den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) wuchern will, um Zugeständnisse anderer Länder bei der Liberalisierung des Handels mit Industriewaren und Dienstleistungen zu erreichen. Vor diesem Hintergrund freilich kritisieren Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, dass die Landwirtschaft weiterhin den größten Anteil am EU-Budget erhalten soll. Eine Studie von Schwergewichten wie den Technologieunternehmen Ericsson, IBM und Nokia fordert ein deutlich größeres Stück des EU-Haushalts als bisher für Forschung und industrielle Entwicklung sowie eine entsprechende Förderung von Exportprodukten der „Wissensgesellschaft“, zu der die EU laut ihrer „Strategie 2020“ werden soll.