Keine Rücksicht auf das Recht auf Nahrung

Kritik an der Agrarpolitik der Europäischen Union

Dass dringend etwas geschehen muss, um die Welternährung auf sozial und ökologisch nachhaltige Weise zu sichern, hatten erst unlängst Entwicklungsminister Dirk Niebel und Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner in einer gemeinsamen Erklärung beteuert: Die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung in den Entwicklungsländern seien jahrzehntelang „nicht genug beachtet worden“, räumten sie ein. Um die Rahmenbedingungen dort zu verbessern, sei die  „vollständige Abschaffung aller Agrarexportsubventionen“ ein „entscheidender Schritt“. Boden- und Landnutzungsrechte in den Entwicklungsländern müssten gestärkt werden, vor allem zugunsten der armen, meist kleinbäuerlichen Bevölkerung. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO leiden gegenwärtig eine Milliarde Menschen an Hunger und Unternährung, 80 Prozent davon auf dem Land.

Deutschland verfolgt eine „aggressive Exportstrategie“

Nichtstaatliche Organisationen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher  Landwirtschaft (AbL) über den BUND bis zu entwicklungspolitischen Organisationen wie dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), Misereor oder Oxfam bleiben skeptisch: Wie ernst es der Bundesregierung (und erst recht der EU) mit einem Kurswechsel ist, müsse sich erst noch erweisen. Bisher, heißt es etwa beim BUND, zeichne sich Deutschland durch eine Ausweitung der Fleischproduktion und eine „aggressive Exportstrategie“ aus, die lokale Märkte anderswo zerstöre. Die Entsorgung EU-subventionierter Überschüsse in Form von Butter und Milchpulver oder der Export von Geflügelresten zu Dumpingpreisen setzen den lokalen Kleinbauern immer wieder stark zu.

In einem Positionspapier, das 13 umwelt- und entwicklungspolitische Organisationen im Juli vorgelegt haben, heißt es denn auch resümierend: Die bisherige industriell orientierte EU-Agrarpolitik unterminiere das Recht auf Nahrung und versage beim Klima- und Artenschutz. Auch die Bundesregierung setze weiter auf Produktions- und Exportsteigerung und schade den Entwicklungsländern, sagen die Agrarexperten Armin Paasch (Misereor) und Rudolf Buntzel (EED). „Vielfältige Mechanismen der Markteroberung“, etwa das Einfordern schwer einhaltbarer Produktstandards, behinderten zusätzlich den Aufbau heimischer Nahrungsmittelproduktion.

In einem 12 Punkte umfassenden Forderungskatalog kommt das Papier zu dem Schluss: Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) müsse auf das Recht auf Nahrung und auf die Millenniums-Entwicklungsziele Rücksicht nehmen. Subventionen müssten abgeschafft und stattdessen die Erzielung fairer Preise für die Bauern gefördert werden. Mit dem Konzentrationsprozess in der Ernährungsindustrie und klimaschädlicher Massentierhaltung müsse Schluss sein, die Entwicklungsländer müssten sich durch Zölle gegen Billigimporte besser schützen und die eigenen Agrarprodukte leichter exportieren können.

Noch sei auf EU-Ebene das letzte Wort in Sachen Agrarreform nicht gesprochen, macht sich Buntzel Mut. Der Rumäne Dacian Diolos, derzeit EU-Agrarkommissar, schweigt bislang, wie es weitergehen soll; ein Vorschlag soll im  November vorliegen. Der agrar-industriell orientierte Deutsche Bauernverband forderte derweil die Bundesregierung unmissverständlich auf, alles beim Alten zu lassen. Verbandspräsident Gerd Sonnleitner kernig: „Nein sagen – und aus!“ 

 

erschienen in Ausgabe 8 / 2010: Metropolen: Magnet und Molloch
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