Abkehr von einer fixen Idee

Krieg gegen Drogen
Die zuständige UN-Behörde denkt offenbar über eine liberalere Drogenpolitik nach. Gut so, es braucht einen globalen Wandel. Vorbild könnte eine deutsche Großstadt sein.

Frankfurt hat vorgemacht, wie man eine Drogenszene auf menschliche Weise in den Griff kriegt. Anfang der 1990er Jahre war die Lage in der Mainmetropole außer Kontrolle geraten: Im Bahnhofsviertel und in einer angrenzenden Grünanlage musste man über die Junkies, die sich hier ihre Spritzen setzten, buchstäblich hinwegsteigen; die regelmäßigen Polizeirazzien änderten nichts an diesem Elend. 1991 verzeichnete Frankfurt den traurigen Rekord von 147 Drogentoten.

Im vergangenen Jahr waren es nur noch 23 Tote, im Jahr davor 29 Tote – immer noch zu viele, aber trotzdem ein Riesenerfolg. Das Rezept heißt: Entkriminalisierung. Die Frankfurter Polizei lässt die abhängigen Männer und Frauen in Ruhe und verfolgt nur noch schwere Drogenkriminalität. Die Stadt hat seit Mitte der 1990er Jahre mehrere Druckräume eingerichtet, in denen die Fixer sauberes Besteck bekommen und sich das Heroin unter ärztlicher Aufsicht spritzen können. Schwerstabhängige erhalten das Rauschgift auf Rezept, wer von der Droge loskommen will, bekommt eine Therapie und Ersatzstoffe wie Methadon.

Dieser „Frankfurter Weg“ ist in aller Welt nachgefragt, Drogenfachleute und Polizeibeamte vom Main reisen um den Globus, um ihn in anderen Städten zu erklären. Am Anfang dieses Weges steht die Einsicht: Eine drogenfreie Gesellschaft gibt es nicht. Der Mensch hat schon immer Rauschgifte konsumiert und wird es auch in Zukunft tun. Das mag man bedauern, aber grundsätzlich ändern kann man es nicht – schon gar nicht mit Gewalt und Repression. Man kann – und muss – versuchen, den Konsum zu regulieren, etwa durch Jugendschutzgesetze oder durch das Verbot besonders gefährlicher Substanzen. Aber der Krieg gegen die Drogen, wie er an vielen Orten geführt wird, lässt sich nicht gewinnen. Er lässt sich deshalb auch nicht rechtfertigen, denn er kostet zu viele Opfer.

Jeder fünfte Inhaftierte weltweit sitzt wegen Drogenbesitz ein

Bei der für die Drogenbekämpfung zuständigen Behörde der Vereinten Nationen UNODC und beim Internationalen Suchtstoffkontrollrat in Wien wollte man davon bislang nichts hören – anders als bei ihren Kollegen etwa in der Weltgesundheitsorganisation oder dem UN-Programm zur Bekämpfung von Aids. Dort plädiert man schon länger für eine liberalere Drogenpolitik, weil man aus der eigenen Arbeit weiß, dass die Bestrafung der Verbraucher niemandem hilft und alles nur noch schlimmer macht. Allein in den USA werden jedes Jahr mehr als eine Million Menschen verhaftet, weil sie gegen Drogengesetze verstoßen haben, ohne dass Gewalt im Spiel war. Bei einem Fünftel der Gefängnisinsassen weltweit lautete das Urteil auf Drogenbesitz.

An den Konsumentenzahlen ändert das nichts, auch nicht an den schwindelerregenden Profiten, die die Drogenkartelle in aller Welt erzielen, und auch nicht an der Gewalt, die den internationalen Rauschgifthandel kennzeichnet. Allein in Mexiko sind in den vergangenen zehn Jahren geschätzt 100.000 Menschen im Krieg gegen die Drogen getötet worden. Trotzdem haben sich das UNODC und der Suchtstoffkontrollrat in ihrer Politik bislang eng an die verschiedenen UN-Konventionen zur Drogenbekämpfung gehalten. Und deren gemeinsames Fundament ist die fixe Idee einer Welt ohne Rauschgift.  

Die Hardliner haben noch immer zu viel Einfluss

Die Fachwelt reagierte deshalb erstaunt, als Ende Oktober im Internet ein Papier auftauchte, in dem sich das UNODC erstmals unmissverständlich dafür ausspricht, den Besitz illegaler Drogen für den persönlichen Konsum straffrei zu stellen. Mehr noch: In dem Papier, das auf einer Konferenz zur internationalen Drogenpolitik vorgestellt und diskutiert werden sollte, heißt es, eine solche Entkriminalisierung könne sogar „erforderlich sein, um Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen zu erfüllen“. Das UN-Büro ließ das Papier umgehend dementieren, und die britische BBC meldete, dieser Widerruf sei auf Druck „mindestens eines Staates“ geschehen. Das zeigt, wie heikel das Thema ist und wie viel Einfluss die Hardliner auf die internationale Drogenpolitik noch haben.

Es spricht dennoch vieles dafür, dass der „Frankfurter Weg“ weiter Schule machen wird.  Mehr und mehr Staaten, vor allem in Lateinamerika, kehren der offiziellen internationalen Drogenpolitik den Rücken und gehen eigene Wege. Hilfe und Straffreiheit statt Gefängnis für Drogenkonsumenten ist nur der erste Schritt. Der zweite muss sein, die von brutaler Gewalt beherrschten Drogenmärkte auszutrocknen. Uruguay versucht das seit knapp zwei Jahren: Dort darf seit Mai 2014 unter staatlicher Kontrolle Marihuana angebaut und verkauft werden. Das funktioniert noch nicht ganz, zielt aber in die richtige Richtung: Die kriminellen Organisationen, die den Stoff bislang geliefert haben, sollen an Uruguays Haschischrauchern kein Geld mehr verdienen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2015: Agrarindustrie: Vitamine aus der Tüte
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