Der afrikanische Weg

Christlich-muslimischer Dialog
Christentum und Islam sind als missionierende Religionen nach Afrika gekommen und dort heute etwa gleich stark vertreten. Radikale islamistische Gruppen gefährden das jahrhundertelange friedliche Miteinander der Religionen. Der Theologe und Islamwissenschaftler Johnson Mbillah erklärt, welche Lösungen er sieht.

Somalia, Nigeria, Zentralafrikanische Republik – wo wird es als nächstes zu Konflikten zwischen Christen und Muslimen kommen?
Es ist unmöglich, etwas vorherzusagen. Ich habe im vergangenen Dezember an einem Treffen über Radikalisierung teilgenommen. Die Delegation aus dem Tschad machte den Eindruck, dass ihr Land gegen den Einfluss von Boko Haram gefeit sei. Mitte Juni aber griffen Selbstmordattentäter in der Hauptstadt Ndjaména zwei Einrichtungen der Polizei an und töteten mehr als 30 Menschen. Sie waren wie muslimische Frauen mit dem Gesichtsschleier, dem Niqab bekleidet. Seitdem ist der Niqab im Tschad verboten.

Was ist das größte Problem für den Dialog in Afrika?
Die Politisierung von Religion oder das religiöse Einfärben von Politik. Das ist die Strategie von Gruppen wie Al-Shabaab in Somalia oder von Boko Haram. Sie verändern das Denken der Menschen. In allen Ländern Afrikas, mit Ausnahme von Südafrika, ist laut ihren Verfassungen die Gründung von politischen Parteien entlang religiöser oder ethnischer Linien verboten. In Tansania zum Beispiel gibt es aber sehr wohl Parteien, die in den Augen der Bevölkerung muslimisch oder christlich sind. In Nigeria muss laut einem stillschweigenden Abkommen der Stellvertreter eines muslimischen Präsidenten ein Christ sein und umgekehrt. Das Gleiche gilt für Minister. Das steht nirgends in der Verfassung. Die Menschen glauben, dass es notwendig ist, um das Machtverhältnis zwischen den beiden Religionsgemeinschaften auszutarieren.

Wo liegen die Gefahren?
Die Menschen stimmen für eine Partei oder einen Kandidaten aufgrund der Religionszugehörigkeit und nicht wegen eines politischen Programms. Das kann zu einer Art religiösem Stammesbewusstsein führen. Politiker wiederum überlegen sich, wie sie die christlichen oder die muslimischen Wählerstimmen bekommen können.

Gibt es einen afrikanischen Weg im christlich-muslimischen Dialog?
Ja, den gibt es. In unserer Arbeit spielt die afrikanische Spiritualität eine große Rolle. Wir folgen dem Motto: Lasst uns in Frieden mit unseren religiösen Unterschieden leben. Die Geschichte des Kontinents zeigt, dass die Afrikaner vor der Ankunft des Christentums und des Islam nie wegen religiöser Differenzen in den Krieg gezogen sind. Das traditionelle, religiöse Erbe Afrikas ist sehr tolerant. Wäre dem nicht so gewesen, hätten die Afrikaner die Muslime und die Christen rausgeworfen, als sie zur Missionierung nach Afrika kamen. Heute bilden Christen und Muslime die Mehrheit der religiösen Gruppen auf dem Kontinent. Wir sollten uns selbst als Afrikaner verstehen, die zufälligerweise Christen oder Muslime sind und nicht als Muslime oder Christen, die zufällig Afrikaner sind.

Was sind die größten Fehler, die Christen und Muslime in Afrika begangen haben?
Afrika ist nach wie vor offen für den christlichen und islamischen Glauben, aber nicht für die Verwestlichung oder die Arabisierung.  Es gibt zwei kulturelle Kräfte, die den Kontinent beherrschen wollen: die westliche und die arabische. Als das Christentum beziehungsweise der Islam nach Afrika gebracht wurden, kamen kulturelle Normen und der Glaube als ein und dasselbe daher. Wir Afrikaner wollen aber sowohl authentische Afrikaner als auch authentische Christen beziehungsweise Muslime sein.

Sehen Sie auch hoffnungsvolle Entwicklungen in den christlich-muslimischen Beziehungen?
Ja. Vieles deutet etwa darauf hin, dass die Muslime in Afrika eine kontinentale Institution ähnlich der All Africa Conference of Churches (AACC) planen. Dann könnten sie Themen, die sie in ihrer Gesamtheit betreffen, diskutieren und sich in einem weiteren Schritt mit christlichen Institutionen vernetzen. Das wäre gut, weil wir dann auf dieser Ebene gemeinsam gegen den Extremismus kämpfen können.

Was würden Sie Europäern für den christlich-muslimischen Dialog raten?
Sie sollten den Dialog suchen, gerade weil sie Christen sind. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die muslimische Minderheit in euren Ländern nicht schlecht behandelt wird – aus Rache für das, was christliche Minderheiten in einigen muslimisch geprägten Ländern erleiden müssen. Ihr Europäer müsst bewusst für die Rechte aller Minderheiten eintreten, inklusive der christlichen Minderheit in muslimischen Ländern und anderswo.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.

 

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erschienen in Ausgabe 10 / 2015: Gesundheit: Ohne Fachkräfte geht es nicht
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