Ein Gespräch mit German Amba Tancara. Der 52-Jährige arbeitet als Kleinbauer, Ausbilder und Mitarbeiter im Gebrauchtkleidergeschäft seiner Frau. Er lebt im bolivianischen Dorf Santa Fé, wo er die Kooperative Meprosor mitgegründet hat.
Sie haben früher unter anderem auch Kokasträucher angebaut. Was hat Sie bewogen, sich nach einer Alternative umzuschauen?
Die Kokablätter haben in Bolivien eine lange Tradition und der Anbau von Kokasträuchern ist in bestimmten Mengen legal. In den Yungas, wo ich lebe, war Koka die erste Pflanze, die für den Anbau eingeführt wurde. Die Leute kauten sie oder verarbeiteten sie zu Tee, der zum Beispiel gegen Magenschmerzen eingenommen wurde. Koka war lange Zeit ein Produkt wie jedes andere. Das änderte sich, als Anfang der 1980er Jahre der Diktator Luis García Meza Tejada an die Macht kam. Von da an begannen immer mehr Bauern den internationalen Kokainhandel zu beliefern. Wenn ich sehe, wie junge Menschen als Drogenabhängige in den Straßen von La Paz ihre Würde verlieren, ist das für mich Grund genug, mit dem Anbau von Koka aufzuhören. Als wir uns 2002 dazu entschlossen, handelten wir aus einer christlichen und moralischen Überzeugung heraus. Santa Fé ist nämlich das religiöseste Dorf in der Region La Paz. Darüber hinaus finde ich, dass wir für unseren Boden Sorge tragen müssen. Wenn wir Koka anbauen, sind wir auf den Einsatz von Chemie angewiesen und damit machen wir Mutter Erde kaputt.
Sie haben sich verpflichtet, anstelle von Koka Stevia anzubauen. Was ist das für eine Pflanze?
Stevia ist ein Süßkraut. Es ist etwa 300 Mal süßer als Zucker. Die Pflanze hat ihre Heimat in Paraguay. Die indigene Bevölkerung in Paraguay und Brasilien nutzt Stevia schon seit langer Zeit als Medizin oder süßt ihren Mate-Tee damit.
Wer ist auf die Idee mit dem Stevia-Anbau gekommen?
Ein Landwirt hat uns auf die Idee mit dem Süßkraut gebracht. Er kaufte vor einigen Jahren bei einem Agraringenieur aus Paraguay einige Steviapflanzen und vermehrte das Saatgut. Die getrockneten Steviablätter konnte er zu guten Preisen verkaufen. 2004 habe ich zusammen mit anderen Bauern die Stevia-Genossenschaft Meprosor gegründet, die mittlerweile 30 Mitglieder zählt. Auf 7,5 Hektar Land ernten wir alle zwei Monate 5000 bis 6000 Kilo Trockenmasse Steviablätter. Wir verkaufen die Pflanze kiloweise und in getrockneter Form. Für ein Kilo erhalten wir 80 Bolivianos, dies entspricht rund einem Euro.
In vielen Ländern, allem voran in den USA und der Europäischen Union, ist Stevia als Süßungsmittel noch nicht zugelassen.
Das ist ein Problem. Wir haben für Stevia noch keinen richtigen Markt. Unsere wichtigsten Abnehmer sind die lokalen Märkte in Bolivien und auch die Nachbarländer Peru und Chile. Mit einigen Firmen, die Stevia als Süßstoff für ihre Produkte verwenden, hat die Genossenschaft Verträge. Unser Ziel ist es, unseren Absatzmarkt nach Europa auszudehnen.
Erhält die Kooperative Unterstützung vom Staat oder von Hilfswerken?
Das Basler Hilfswerk Mission 21 unterstützt uns bei der biologischen Produktion des Süßkrauts und es fördert über die Stiftung Uñatatawi auch den ökologischen Anbau von Gewürz- und Heilkräutern. Die amerikanische Entwicklungsbehörde USAID hatte von 2002 an den Anbau alternativer Agrarprodukte wie von Zitrusfrüchten unterstützt. 2005 zog sich USAID jedoch aus unserer Region zurück und somit sind alle von ihr unterstützten Projekte eingestellt worden.
Ist der Anbau von Stevia ein Ausweg aus dem Geschäft mit Koka?
Stevia ist eine Alternative. Eine andere stellt beispielsweise der Anbau von hochwertigem und mit einem Gütesiegel für Nachhaltigkeit versehenem Kaffee oder der Absatz von Kräutern und Gewürzen wie Salbei oder Estragon dar. Der Anbau von Stevia setzt die Liebe zum Boden voraus. Wir bauen den Süßstoff ja biologisch an. Das ist mit einem großen Arbeitsaufwand und strengen Hygienebedingungen verbunden. Sie gehen so weit, dass die Scheren vor dem Schneiden der Pflanzen desinfiziert werden müssen. Dass wir keine Pestizide verwenden, kommt der Fruchtbarkeit des Bodens zugute.
Sie haben gesagt, Ihr Heimatdorf Santa Fé sei sehr religiös. Welche Rolle spielt die Religion in Ihrem Leben?
Sie hat für mich einen hohen Stellenwert. Ich bin Adventist. Als ich sechs Jahre alt war, besuchte ich die adventistische Grundschule. Die Adventisten waren damals die ersten und auch einzigen, die in meinem Dorf eine Schulbildung ermöglichten. Als kleiner Junge wurde ich aber katholisch getauft. Die bolivianische Verfassung erkannte als offiziellen Glauben nur den Katholizismus an und wer nicht katholisch war, durfte beispielsweise später nicht an der Universität studieren. Auch meine Tochter ist mit sieben Jahren in der katholischen Kirche getauft worden, damit sie später Zugang zum Studium hat. Die neue, vor einem Jahr verabschiedete Verfassung hat diese katholische Doktrin nun aufgehoben, und sie gewährt die Religionsfreiheit.
Sie sind also erst später Adventist geworden?
Ja, mit 23 Jahren. Mittlerweile sind alle in meiner ganze Familie Adventisten, auch mein Vater und meine Mutter.
Sind Adventisten in Bolivien nicht eine kleine Minderheit?
Adventisten gibt es im ganzen Land. Im Westen ist der Glaube am stärksten verbreitet. In meinem Dorf, in Santa Fé, bilden die Adventisten mit einem Anteil von fast 70 Prozent die Mehrheit. In Santa Fé gibt es drei Kirchen, die katholische, die methodistische und die adventistische. Seit wir die neue Verfassung haben, sind die Strukturen viel offener als früher. Die Glaubensrichtungen bekämpfen sich nicht mehr. Und es hört sich auch einmal ein Katholik eine adventistische Predigt an und ein Adventist geht in eine katholische Messe.
Das Gespräch führte Franziska Herren, InfoSüd.