Yessi Franziska steht im Geburtshaus an der Hauptstraße von Kasongan, einem Dorf in der Nähe der indonesischen Stadt Yogyakarta, und strahlt über das ganze Gesicht. Die 31-Jährige hält ihr zwei Tage altes Baby im Arm. Die Geburt ist ohne Komplikationen verlaufen, nun kann sie mit ihrem Mann und ihrem Kind nach Hause. Sie warten noch, bis der Mutterpass fertig ausgestellt ist, hören der Hebamme zu, die erklärt, wann das Kind geimpft werden muss. Dann umarmen sich die Hebamme und die junge Mutter und rufen sich Dankesworte und gute Wünsche zu.
Autorin
Anett Keller
berichtet als freie Journalistin aus Indonesien.„Das sind die schönsten Momente, wenn alles so glatt läuft“, sagt die Hebamme Kharisah Diniyah, die Yessi bei der Geburt begleitet hat. In ihrem Geburtshaus entbinden 15 bis 20 Frauen pro Monat. Die Ausstattung ist einfach, aber sehr sauber, die Hebammen sind freundlich und geduldig. Drei Viertel der Gebärenden bekämen ihre Kinder ohne Komplikationen, erläutert Kharisah Diniyah, die seit 13 Jahren in ihrem Beruf arbeitet. Bei Schwierigkeiten gehe es sofort in ein nahe gelegenes Krankenhaus. „Wir sind in wenigen Minuten in der Klinik, wenn es sein muss,“ ergänzt die 31-Jährige. „Außerdem sind die Menschen hier relativ gebildet, sie hören auf unseren Rat. Wir bereiten sie schon während der Schwangerschaft darauf vor, etwas Geld zurückzulegen, und im Notfall springen auch die Familie und Nachbarn ein.“
Gut ausgebildete Hebammen und ein Krankenhaus in der Nähe: Solche Bedingungen sind in Indonesien Luxus. Das Land, immerhin inzwischen ein Mitglied der G-20, verzeichnet die dritthöchste Müttersterblichkeit in ganz Südostasien nach den wesentlich ärmeren Nachbarn Laos und Kambodscha. Laut indonesischem Gesundheitsministerium liegt sie bei 420 Sterbefällen pro 100.000 Geburten. Wie die Tageszeitung Kompas jüngst ausrechnete, sterben in Indonesien statistisch gesehen in jeder Stunde mehr als zwei schwangere Frauen.
Dabei hatte sich Indonesien für die Erreichung des Millenniumsziels Nummer 5 – die Reduzierung der Müttersterblichkeit um drei Viertel – hohe Ziele gesetzt. Bis 2015 sollte die Zahl der Frauen, die bei der Geburt sterben, auf 102 pro 100.000 sinken. Schon jetzt zeigt man sich bei der Nationalen Planungsbehörde (BAPPENAS) allerdings pessimistisch. „Das Millenniumsziel ist nicht zu schaffen“, gab Nina Sardjunani, stellvertretende Ministerin für Bevölkerungsentwicklung bei BAPPENAS, Mitte April öffentlich zu.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Die regionalen Unterschiede im Reich der 17.000 Inseln sind riesig. Auf der Insel Bali werden nahezu 98 Prozent aller Geburten von ausgebildetem Personal begleitet, in der Hauptstadt Jakarta 87 Prozent. In den Nordmolukken hingegen sind es nur 59 Prozent, in Papua lediglich 45 Prozent. Vor allem in entlegenen Dörfern ist es üblich, dass lediglich eine traditionelle Heilerin die Geburt begleitet. Meist findet diese zu Hause statt, ohne sterile Geräte, zuweilen wird „frisches Wasser“ vom nahe gelegenen Fluss geholt. Kommt es zu Problemen, fehlt es an allem: an schneller Kommunikation, erreichbarer medizinischer Hilfe, Transportmöglichkeiten. Und es fehlt an der Gleichberechtigung von Mann und Frau: Über die Finanzen, die nötig wären, um professionelle Geburtshilfe zu bezahlen, entscheiden meist die Männer. Frauen haben oft weder die finanziellen Möglichkeiten noch die Bildung und das Selbstbewusstsein, um eigene Entscheidungen zu treffen.
Millenniums-Entwicklungsziel 5: Verbesserung der Gesundheit von Müttern
Vertreter von 189 Staaten haben im September 2000 die so genannten Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) beschlossen. Sie ...
Fragt man sie nach den Gründen für die hohe Müttersterblichkeit in Indonesien, hebt die Hebamme Kharisah vier Finger: Frauen werden sehr früh schwanger oder sehr spät, sie bekommen zu schnell hintereinander Kinder oder zu viele. Vor ihrem Geburtshaus in Kasongan fordert ein Poster dazu auf, Familienplanung ernst zu nehmen. „Drei bis fünf Jahre Abstand können Leben retten“ ist darauf zu lesen. Die 29-jährige Ertanti ist gekommen, um sich ihre monatliche Verhütungsspritze geben zu lassen. „Männer spielen bei der Verhütung kaum eine Rolle“, sagt Hebamme Kharisah. „Darum müssen sich die Frauen kümmern.“ Beinahe die Hälfte aller Indonesierinnen verhüten mittels Injektion. „Die Pille würde ich dauernd vergessen“, sagt Ertanti. Ihr Sohn ist 22 Monate alt. „Wenn er fünf ist, bekommt er ein Geschwisterchen“, sagt sie und lacht.
So aufgeklärt wie sie sind nur wenige ihrer Landsleute. „Viele Eltern schämen sich, mit ihren Kindern über Sex zu reden“, weiß Kharisah. Auch der Aufklärungsunterricht an Schulen reiche nicht aus. Geschlechtsreife Jugendliche sind völlig unvorbereitet. „Niemand sagt ihnen, dass man auch beim Petting schwanger werden kann“, erzählt Kharisah. „Manche machen nach dem Sex eine „Spülung“ mit einem Softdrink, weil sie glauben, auf diese Weise Spermien abtöten zu können“, berichtet die Hebamme. Zugang zu Familienplanungsprogrammen haben nur Verheiratete. Vorehelicher Sex ist ein Tabuthema – aber weit verbreitet. Viele Frauen werden deshalb ungewollt schwanger.
Abtreibungen sind in Indonesien verboten. Angesichts des Drucks, kein uneheliches Kind zu bekommen, lassen daher viele Frauen ihre Schwangerschaft illegal und unter zum Teil katastrophalen medizinischen Bedingungen abbrechen. Schätzungsweise 2,5 Millionen solcher Eingriffe werden jährlich vorgenommen, bis zu 30 Prozent der Müttersterblichkeit werden laut Experten dadurch verursacht, dass Frauen dabei oder danach sterben. „Es ist ein Dilemma“, sagt Kharisah. „Aus religiöser Perspektive sind Abtreibungen nicht erlaubt. Aber wenn wir uns die hohe Müttersterblichkeit anschauen, dann müssten wir sie legalisieren.“
Sehr junge Schwangere haben ein höheres Risiko, bei der Entbindung zu sterben. Etwa zehn Prozent der indonesischen Mädchen sind mit 16 bereits verheiratet. Wegen des wachsenden politischen Einflusses konservativer Kräfte steht zu befürchten, dass es demnächst noch mehr sein werden. Ende März hat die mit etwa 40 Millionen Mitgliedern größte muslimische Vereinigung Nadhlatul Ulama (NU) eine Fatwa erlassen, die die Verheiratung von Minderjährigen ausdrücklich rechtfertigt. Die Organisation begründete dies damit, dass die heiligen Texte und Regeln des Islam kein Mindestalter für Hochzeiten vorschrieben. Cholil Nafis, der dem Komitee für religiöse Fragen der NU vorsteht, verteidigte das Rechtsgutachten in der Zeitung „Jakarta Globe“: „Heiraten kann man in jedem Alter, auch Mädchen, die noch nicht menstruieren. Sie können auch intime Beziehungen haben, wenn sie dazu bereits fähig sind.“
Diese Entwicklungen sind – so seltsam es klingen mag – auch eine Folge der Demokratisierung in Indonesien. Bis 1998 war das Land eine Militärdiktatur, an deren Spitze 32 Jahre lang General Suharto stand. Indonesien hat zwar eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung, aber unter Suhartos Regime wurde mit Religion keine Politik gemacht. Zudem wurde das Land streng zentralistisch organisiert und auf diesem Wege auch ein Familienplanungsprogramm durchgeboxt. Jede Familie musste beim Vorsteher ihres Viertels oder Dorfes Bericht erstatten, ob und wie sie verhütete. „Manche Frauen hat man mit Gewalt zum Arzt gebracht, um ihnen eine Spritze zu verabreichen“, erinnert sich die Hebamme Kharisah. „Oder die Leute vom Familienplanungsprogramm standen so lange vor der Tür, bis sie die Frauen so weit hatten. Die Geburtenrate fiel zwischen 1968 und 1997 von 5,2 auf 2,1 Kinder pro Frau.
Zwar versucht auch die derzeitige indonesische Regierung, die Müttersterblichkeit zu verringern. Es gibt ein Versicherungsprogramm für Arme und Subventionen für Verhütungsmittel. Zunehmend arbeiten traditionelle Heilerinnen und ausgebildete Hebammen in Dörfern bei Geburten zusammen. „Die Müttersterblichkeit zu reduzieren, hat oberste Priorität im indonesischen Gesundheitssystem”, versprach kürzlich Sri Hermiyati, die Direktorin der Abteilung für Müttergesundheit im Gesundheitsministerium, der Öffentlichkeit. Doch sie fügte hinzu: „Wir müssen leider zugeben, dass der Weg dahin sehr lang und steinig ist.“
Mängel im Gesundheitswesen
Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) berät die indonesische Regierung unter anderem bei der Entwicklung des Krankenversicherungswesens. Bis 2007 galt Gesundheit als einer von drei Schwerpunktbereichen in der deutsch-indonesischen Entwicklungszusammenarbeit, musste dann aber dem Schwerpunkt Klimawandel weichen. „Wenn man die Millenniumsziele ernst nimmt, sollte man sich aus dem Gesundheitsbereich eigentlich nicht zurückziehen“, sagt Gertrud Schmidt-Ehry. Die Gynäkologin hat 34 Jahre für die GTZ in Gesundheitsprogrammen gearbeitet, zuletzt in den zwei ostindonesischen Provinzen Nusa Tenggara Barat und Nusa Tenggara Timur.
Laut Schmidt-Ehry müssen im indonesischen Gesundheitssystem zahlreiche Mängel behoben werden. „Es heißt immer, es gibt zu wenige Hebammen in Gesundheitsstationen und Krankenhäusern. Aber wenn man genauer hinschaut, verbringen sie einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit Tätigkeiten, die andere Pflegekräfte oder Bürokräfte übernehmen sollten.“ Viele Frauen könnten bei Komplikationen während der Geburt überleben, wenn die Abläufe auf dem Weg zum Krankenhaus und während der Behandlung dort optimiert würden. Dazu gehöre auch ein besseres Personalmanagement, so Schmidt-Ehry. „Die meisten Frauen sterben am Wochenende oder an Feiertagen.“
Genau so wichtig ist Aufklärungsarbeit, um in Gemeinden eine Art Notfallplan umzusetzen. In 140 Dörfern hat Schmidt-Ehry dabei geholfen. „Man muss die Gemeinde einbeziehen, damit die Menschen im Notfall Transportmittel oder finanzielle Hilfen bereitstellen oder Blut spenden“, sagt die Ärztin. Sie erzählt von der 24-jährigen Yat Citra Dewi von der Insel Sumbawa, die nach der Entbindung mit einer Dorfhebamme in Folge einer starken Nachblutung das Bewusstsein verlor. Ihr Ehemann wandte sich sofort an die Blutspende-Gruppe des Dorfes und schnell konnte ein geeigneter Spender gefunden werden. Im Auto des Nachbarn wurde die junge Mutter rasch zum Krankenhaus gebracht. Gertrud Schmidt-Ehry kennt zahlreiche solcher Beispiele, in denen positiver Druck von Familienmitgliedern oder Nachbarn zu schnelleren Reaktionen bei Komplikationen während einer Geburt geführt hat. Das zeigt, dass Frauen bessere Überlebenschancen haben, wenn ihre Gesundheit und die sichere Geburt ihrer Kinder auch zur Männersache gemacht werden.