Das Video ist düster und zornig, beim Anhören schwer zu ertragen und beim Anschauen erst recht. Man sieht einen Raum, der teils wie das Labor des Dr. Frankenstein wirkt und teils wie eine Hexenküche. Ein hagerer junger Mann wird zu einem Stuhl geführt und festgeschnallt, dann setzt die Musik ein. Während der obere Teil seines Schädels erbarmungslos abgesägt wird, dröhnt im Hintergrund Musik mit harten Gitarrenklängen und einem extrem aggressiven Gesang. Mit dem Song schreitet die Zeremonie voran – eine Art „Taufe“ als Aufnahme in die vom Klerus beherrschte Kultur des Iran. Elektroden werden in das freigelegtes Gehirn eingeführt, der „Arzt“ spricht obskure Beschwörungsformeln und brüllt dem jungen Mann dann ins Ohr, während die Elektroschockbehandlung andauert. Bevor die Schädeldecke wieder geschlossen wird, knabbert noch eine Maus am Gehirn des jungen Mannes. Als die Musik abklingt, wankt er apathisch nach draußen: ein „guter Iraner“, der nunmehr bereit ist, den Befehlen des Regimes zu folgen.
Nicht immer haben junge Iraner die Macht der Religion in der Islamischen Republik so gesehen. Vor über dreißig Jahren stand die Jugend an der Spitze der weitgehend gewaltlosen Bewegung, die den Schah stürzte. Der französische Philosoph Michel Foucault beobachtete damals den Übergang zum Massenprotest, der zum Zerfall des alten Regimes führte. Er deutete die gewaltige Erregung und den unkontrollierbaren Freiheitsdrang, den er in den Straßen Teherans erlebte, als Ausdruck von „Geist in einer geistlosen Zeit“. Foucault beschrieb die sich anbahnende Revolution als die “vielleicht weltweit größte Erhebung gegen globale Systeme“. Doch als im Sommer 2009 erneut junge Iraner zu Zehntausenden auf die Straße gingen, richtete sich ihre Revolte gegen eine religiöse Kultur, die nach drei Jahrzehnten unangefochtener Machtausübung selbst geistlos geworden war. Sie wandte sich nicht gegen das globale System, sondern kämpfte für das Recht, stärker daran teilzuhaben.
Autor
Mark LeVine
lehrt Geschichte an der Universität Irvine (USA) und ist Gastwissenschaftler am Center for Middle Eastern Studies der Universität Lund (Schweden). 2009 ist sein Buch erschienen “Heavy Metal Islam: Rock, Resistance, and the Struggle for the Soul of Islam”. Er ist selbst Rockmusiker und hat häufig Gastauftritte, darunter mit Bands aus Iran und arabischen Ländern (http://heavymetalislam.net).Nun aber kam Heavy Metal, eine neue, viel intensivere und härtere Form. Metal-Songs wurden von Iranern und Ausländern auf Alben und Kassetten, später auch auf CDs in den Iran geschmuggelt – selbst in den 1980er Jahren, während des mörderischen Krieges mit dem Irak. Sie zirkulierten wie Drogen unter jungen Leuten, die sich von den strengen Vorschriften der islamischen Regierung eingeschränkt fühlten und während des ersten Jahrzehnts der Republik ständig dem Tod gegenüberstanden. Einer der Pioniere der iranischen Metal-Bewegung beschrieb das sehr emotional: Es war, als ob in der erdrückenden Konformität und der allgegenwärtigen Gewalt der Khomeini-Zeit „eine Blume in der Wüste aufgeblüht“ wäre. Zwar mochte auch diese Musik vom Tod handeln. Sie wurde in der Tat im ganzen Mittleren Osten gerade deshalb so populär, weil ihre zentralen Themen – Tod, Korruption, Verfall, Gewalt und Krieg – die Realität des Lebens dort spiegelten. Doch tatsächlich bejahte sie das Leben. Sie wirkte als Katharsis und schuf zugleich zumindest zeitweilig eine Art von Gemeinschaft, in der man im privaten Rahmen denken, kleiden und sich verhalten konnte, wie man wollte.
Die Regierung dringt auch in Privatwohnungen ein, um Metal-Fans festzunehmen
Auch wenn Metal in der ganzen islamischen Welt populär war, gab es doch von Anfang an deutliche Unterschiede im Stil. In den arabischen Ländern wurde weitgehend der Sound des skandinavischen oder amerikanischen Heavy Metal kopiert. Die iranischen Musiker, allen voran die Band O-Hum (auf Deutsch: Illusion), verbanden dagegen westlichen Hard Rock mit Elementen der traditionellen persischen Musik und ihrer Instrumentierung, und sie übernahmen viele Texte von Hafez, einem Dichter aus dem 14. Jahrhundert.
Erwartungsgemäß erlaubten die iranischen Zensoren nicht, dass O-Hum und andere Bands öffentlich auftraten oder CDs herausbrachten. Sie mussten entweder in Privatwohnungen spielen oder in Räumen wie der russisch-orthodoxen Kirche in Teheran. Kirchen, ausländische Botschaften und Privathäuser wurden zu quasi öffentlichen Orten, wo die Musiker manchmal vor Hunderten von Leuten auftreten konnten, ohne Schikanen und Festnahmen fürchten zu müssen. Aber das galt nur für die „guten“ Jahre unter der Präsidentschaft von Mohammed Khatami (1997-2005). Nach der Wahl von Mahmud Ahmadinedschad 2005 begann die Regierung, auch in private Wohnungen einzudringen und Metal-Fans festzunehmen.
Trotz der zunehmenden Repressalien und eines Zensursystems, das aggressive Texte und die Verwendung von Schlagzeugen verbot, ist Metal im letzten Jahrzehnt noch beliebter geworden. „Im Unterschied zu anderen Ländern sind wir offensiv; wir führen einen ständigen Kampf darum, Metal am Leben zu halten“, erklärte mir ein Musiker. Anderen wäre es am liebsten, im Dunkel zu bleiben. „Vielleicht hat es etwas Gutes, dass die beste Musik nur im Untergrund gespielt wird. So bleiben wir unverbraucht und stehen ständig unter Strom“, meinte ein Kollege seufzend. Aber alle sind davon überzeugt, dass sie nicht aufgeben dürfen. „Wenn Metal stirbt, stirbt auch der Iran“, sagte ein Gitarrist, „und deshalb kämpfen wir darum, dass unsere Musik weiterlebt.“
Wenn Konzerte ausnahmsweise genehmigt wurden – oft an Universitäten, wo die Moralpolizei der Basij-Milizen nicht eingreifen durfte –, verlangten die Behörden, dass die Studenten auf ihren Plätzen sitzenbleiben sollten. Dieser Befehl wirkte aber während eines klassischen Metal-Songs von Slayer oder anderen Pionieren des Heavy Metal oft nicht mehr; dann „drehten alle geschlossen durch, und wenn sie einmal in Ekstase geraten waren, kriegte sie keiner mehr in den Griff; sie waren einfach außer Rand und Band.“
Ein anderer Musiker beschrieb die geheimen „Mini-Konzerte“, die anfangs für die iranische Metal-Szene typisch waren (und noch heute eine der wenigen Gelegenheiten sind, Metal live zu hören), als etwas völlig Surreales, fast wie ein religiöses Erlebnis. Sie sind damit das perfekte Gegengift zum erstarrten und formelhaften Islam, der vom Staat propagiert wird. Ein weiterer Musiker erzählte: „Nach der ersten Show, bei der ich auftrat, war ich richtig fertig. Der Veranstalter wollte, dass meine Band ‚Altars of Abyss‘ von Morbid Angel spielte, und alle flippten total aus, es war einfach zu extrem für sie.“
Metal und Hard Rock gehören zu den mächtigsten politischen Leitbildern
Solche Extravaganzen konnten natürlich nicht toleriert werden; die Behörden wussten nur zu gut, wohin das führen konnte. Die bloße Beliebtheit des Metal unter jungen Iranern sorgte ähnlich wie in arabischen Ländern für Festnahmen und Anklagen wegen Satanismus. Der Gitarrist der Gruppe Arthimoth erzählte stolz, die Behörden hätten bereits seit seiner Schulzeit versucht, ihn zu „entmetallisieren“, aber es sei ihnen nicht gelungen. Was die „Metalheads“ so gefährlich machte, war, dass ihre Musik an sich eine Kritik des Systems darstellt. Die Mullahs zelebrieren Gewalt, die Metal-Fans prangern sie an. Als Metaller gehören sie – so paradox das klingen mag – zu einer „Gemeinschaft des Lebens“, wie es ein Musiker genannt hat, im Unterschied zur Gemeinschaft des Märtyrertums und des Todes, die von der iranischen Regierung propagiert wird.
Doch sie gehen echte und beträchtliche Risiken ein. Ein Veteran der Szene erklärte: „Ich wollte mich einfach wie ein ‚Metalhead‘ kleiden und wurde deshalb festgenommen und verprügelt, zuerst in den Fahrzeugen der Basij-Miliz und dann im Gefängnis.“ An diesem Punkt unterscheidet sich Metal auffällig vom Hip-Hop, der in jüngster Zeit im Iran noch populärer geworden ist als Hard Rock: Dessen Schlabberlook ist für den offiziellen Islam eher akzeptabel als die hautengen Jeans und T-Shirts der „Metalheads“, daher erregen Hip-Hop-Fans auf der Straße nicht automatisch Anstoß. Ein Rapper und Metal-Fan erklärte: „Wenn wir uns treffen wollen, können wir per SMS bekannt geben, dass die Leute in einen bestimmten Park kommen sollen. Dann holt einer sein Handy raus und spielt ein paar Takte, und schon können wir an Ort und Stelle einen kleinen Band-Wettbewerb veranstalten. Wenn die Bullen kommen, stellt man einfach sein Handy ab und verschwindet.“ So etwas ist unmöglich, wenn man ein Schlagzeug, Verstärker und andere Instrumente heimlich mit sich herumschleppen muss, von einer Lautsprecheranlage ganz zu schweigen.
Und doch gehören Metal und Hard Rock weiter zu den mächtigsten ästhetischen und politischen Leitbildern im Iran. Ein Grund dafür ist offensichtlich die zunehmende Verbreitung des Internet, das sich trotz der enormen Anstrengungen der Regierung als fast unzensierbar erweist. Als sich zum Beispiel herausstellte, dass ein Band-Wettbewerb in Teheran live nicht zu machen war, sponserte Tehran Avenue, ein Webmagazin für Musik und Kultur, ein Online-Festival: Die Bands schickten ihre Songs ein und die Sieger wurden im Internet bekanntgegeben. Solche kleinen Siege tragen dazu bei, dass die Metal-Szene überlebt und sogar floriert.
Die Metal-Künstler im Iran kämpfen darum, ihre Musik weiterzuentwickeln und aufzuführen und einem zunehmend geschlossenen politischen System einigermaßen die Stirn zu bieten. Zugleich bietet ihnen das Internet die Möglichkeit, weltweit zuverlässige Kontakte zu Fans aufzubauen, die ihnen Inspiration und Unterstützung bieten. Anders als in der realen Welt können in den virtuellen Räumen des Internet-Freundschaften mit Künstlern und Fans aus aller Herren Länder geknüpft werden, auch wenn sie vermeintlich feindlich gesinnten Nationen angehören wie den USA und Israel. Das Internet trug auch entscheidend dazu bei, dass die Weltöffentlichkeit nach der umstrittenen Wahl vom Juni 2009 die Wahrheit erfuhr. Die meisten Metal-Fans, die ich kenne, waren dabei, als hunderttausende Iraner auf die Straße gingen, um gegen Präsident Ahmadinedschads mutmaßlichen Wahlbetrug zu protestieren. Die meisten hatten schreckliche Angst, aber in den ersten Tagen, als Demonstranten auf die Gewalt der Basij-Milizen mit Gegenangriffen antworteten und sich mit ihnen herumprügelten, fühlten sich viele auch euphorisch.
Metal verkörpert die Hoffnungen eines großen Teils der jungen Iraner
Doch bald machte sich Enttäuschung breit, als die erhoffte Revolution gegen das korrupte und zunehmend illegitime Regime im Sande verlief. Mehrere Musiker wurden zusammengeschlagen, festgenommen oder beides. Ihre Probenräume wurden mit Tränengas beschossen, und wenn sie das Land verlassen konnten, gingen viele meiner Freunde nach Europa, in die Türkei oder sogar nach Japan. Salome, die erste Rapperin im Iran, die auch der Metal-Szene nahe steht, schrieb in der Zeit der Gewalt die folgenden Zeilen: „Meine stete Trauer kommt daher, dass ich ein Mensch bin. Denn eines Nachts stahlen sie das Licht meiner Hoffnung. Wenn ich schweige, wenn ich stillhalte, wer wird es richten? Wer wird den Mund aufmachen, wenn ich aufgebe?”
Metaller schrieben Lieder, drehten kritische und aggressive Filme und versuchten, weiterzuleben und weiter Musik zu machen, nachdem klar geworden war, welche Seite die stärkere war. Ein Metal-Musiker schrieb mir eine E-Mail, in der er den Text „No Leaf Clover“ von Metallica paraphrasierte: „Heute war es mir so zumute: ‚Dann zeigt sich, dass das schöne Licht am Ende des Tunnels … nur der Frachtzug ist, der auf dich zufährt. Fühlt das sich nicht gut an?‘ Sie greifen unsere friedliche Demonstration an, und was können wir machen? Wir wollen niemandem etwas antun; wir sind sprachlos wegen des Todes unserer Brüder und Schwestern.“
Manche Musiker reagierten gleichmütiger auf die Gewalt. Ali, einer der führenden Schlagzeuger der iranischen Heavy-Metal-Szene, erklärte: „Ich hoffe, dass bei alldem etwas Gutes herauskommt. Ich habe vor, ein Konzeptalbum über diese Ereignisse herauszubringen.“ Gut ein Jahr zuvor waren wir beide beim Barisarock- Festival (türkisch: „Rock for Peace“) in Istanbul aufgetreten, gemeinsam mit dem iranischen Gitarrenvirtuosen Farzad Golpayegani. Zwischen zwei Songs rief Ali den etwa 35.000 Fans zu, seine Band – mit ihrem iranischen Metal-Gitarristen und Bassisten, ihrem Aseri sprechenden iranischen Schlagzeuger, einem britischen Drummer und einem amerikanischen Gitarristen – sei ein Symbol für die Möglichkeit, Verbindungen und Solidarität aufzubauen, die von der herrschenden Kultur auf beiden Seiten nicht gerne gesehen würden. Er rief: „Muslime, Christen und Juden gemeinsam für den Frieden”, und die Menge jubelte ihm begeistert zu. Dann spielten wir einen ausgeflippten, dynamischen Blues-Metal-Song, der bewies, wie weit Metal sich im Iran im Laufe einer Generation entwickelt hatte, seit jugendliche Fans ihre Freunde und Verwandten bitten mussten, von Geschäftsreisen oder Ferien im Ausland Alben von Bands wie Iron Maiden oder Cannibal Corpse mitzubringen.
Heute verkörpert Metal die Hoffnungen eines großen Teils der jungen Iraner und zeigt zugleich, wie tief der Kampf für die Freiheit verwurzelt ist. Ein Mitglied der Band TarantisT formulierte das so: „Metal steckt uns im Blut. Er ist nicht Unterhaltung, sondern Ausdruck all unserer Leiden und auch ein Gegengift gegen die religiöse Verlogenheit, die uns allen von Geburt an eingeimpft wird.“
Aus dem Englischen von Anna Latz