In einem Interview mit „Foreign Policy“ wirft Yahyaoui westlichen Menschenrechtlern vor, die falschen Prioritäten zu setzen. Die Terrorgruppen Islamischer Staat (IS) und Al-Qaida stünden längst vor den Toren des Landes, erklärt sie. Das tunesische Militär sei einem Angriff nicht gewappnet. Menschenrechtsaktivisten müssten sich deshalb mehr für Sicherheitsfragen engagieren und aufhören, diese als Tabu zu betrachten. Denn sonst überließen sie das Feld denen, die sich noch nie um die Einhaltung der Menschenrechte geschert haben. „Wenn wir die Rechte der Menschen verteidigen wollen, müssen wir als erstes ihr Recht auf Leben verteidigen“, betont Yahyaoui.
Yahyaouis Kritik geht noch tiefer: Westliche Aktivisten verlören sich in „bourgeoiser Plauderei“ und „Fünf-Sterne-Hotel- Aktivismus“. Bevor sie abstrakten Idealen nachjagten, sollten sie die wirklichen Probleme und Ängste der Tunesier in den Blick nehmen – und auf deren Bedürfnisse hören. „Ich hasse es, wenn sich NGOs als Lebensretter begreifen“, erklärt sie. „Wir helfen nur, wenn die Menschen uns darum bitten. Aber sie müssen selbst eine Lösung finden.“
Unter den Ländern des „arabischen Frühlings“ gilt Tunesien als Vorbild eines gelingenden Systemwechsels. Doch die junge Demokratie ist fragil. Das liegt – neben der Bedrohung durch Islamisten – vor allem an der wirtschaftlichen Lage: mehr als 88 Prozent der Bevölkerung beurteilen sie laut einer aktuellen Umfrage als schlecht, ein Viertel der Tunesier lebt in Armut. Unter anderem diese Perspektivlosigkeit treibt tunesische Jugendliche in die Arme des IS. Rund 3000 junge Leute haben sich der Terrorgruppe bereits angeschlossen.
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