„Die Bombe zu bauen ist leider gar nicht so schwierig“

Im Mai treffen sich in New York rund 190 Staaten zur nächsten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags. Ziel des Vertrags ist es, die Verbreitung von waffenfähigem Uran oder Plutonium zu verhindern und die Abrüstung von Kernwaffen voranzubringen. Dem Abkommen gehören praktisch alle UN-Mitglieder an – außer Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan. Experten haben dem Atomwaffensperrvertrag mangels Wirksamkeit schon häufiger das Ende prophezeit. Laut Annette Schaper von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung ist er derzeit jedoch ohne Alternative und sollte deshalb unbedingt gerettet werden.

US-Präsident Barack Obama hat die Möglichkeit, dass sich Terroristen eine Atombombe beschaffen, als derzeit größte Bedrohung bezeichnet. Wie viel davon ist innenpolitisch motivierte Panikmache?

Das ist schon eine begründete Sorge. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat es immer wieder Hinweise darauf gegeben, dass Terrorgruppen gerne eine Bombe hätten. Es ist absolut sinnvoll, an Gegenmaßnahmen zu arbeiten.

Aber es ist doch ziemlich kompliziert, eine Atombombe zu bauen?

Die Bombe zu bauen, ist leider gar nicht so schwierig. Die Schwierigkeit liegt darin, entweder Plutonium oder hoch angereichertes Uran aufzutreiben. Das können Terroristen selbst nicht herstellen. Die Bestände weltweit werden seit Jahren mehr oder weniger gut bewacht. Lange wurde nur über Russland diskutiert, das ein riesiges Erbe an Nuklearmaterial aus der Sowjetzeit hat. Damals wurde viel geschlampt, die Materialbuchhaltung und die Sicherung waren schlecht. Das hat sich geändert: Die Russen sind sich des Problems bewusst und haben vieles verbessert.

Wo liegen heute mögliche ungesicherte Quellen?

In jüngster Zeit macht man sich zunehmend Sorgen um Pakistan. Es ist völlig unklar, wie gut dort die Kernwaffen gesichert und wie zuverlässig die Sicherheitskräfte sind.

Welche Schritte über den Schutz von Anlagen hinaus wären wichtig, um die Weitergabe von spaltbarem Material zu unterbinden?

Es muss überall eine verlässliche Materialbuchhaltung geben. Hilfreich wäre außerdem, alle Bestände weltweit zu erfassen und in ein zentrales Register einzutragen. Das gibt es bei der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO bislang nur für Staaten, die keine Kernwaffen haben. Die Kernwaffenbesitzer hingegen sind davon ausgenommen. Sie betrachten das als Teil der nationalen Souveränität. Die Amerikaner denken, dass bei ihnen das Material ohnehin sicher sei. Warum sollten sie den anderen also sagen, was sie haben? Wobei die USA immer noch zu den eher offenen Ländern gehören: Washington hat immerhin mal seine Plutoniumbestände veröffentlicht, die Briten ein bisschen. Aber die Franzosen, Chinesen, Russen, Pakistaner und Inder denken nicht daran.

Hat der Mangel an Transparenz auch damit zu tun, dass die Staaten sich gegenseitig misstrauen?

Länder wie Russland oder die USA haben eher das Problem, dass in der Vergangenheit die Materialbuchhaltung sehr schlampig war und eine Offenlegung Widersprüche ans Licht bringen könnte – dass Inspektoren beispielsweise weniger Material finden, als auf dem Papier steht. Diese Peinlichkeit wollen sie sich ersparen. Leider reagiert die Welt in solchen Fällen sehr intolerant. Ein Beispiel: Als die Amerikaner ihre Plutoniumbestände veröffentlicht haben, gab es einen Fehlbetrag von zwei Tonnen. Das reicht für viele Sprengköpfe. Organisationen wie Greenpeace hatten nichts besseres zu tun, als das fürchterlich zu kritisieren, statt die Amerikaner zunächst einmal zu loben, dass sie einen Anfang machten.

Das heißt, in solchen Fällen sollte man nicht gleich von versuchter Schummelei ausgehen?

Ja. Noch ein Beispiel: Südafrika hat Anfang der 1990er Jahre seine sechs Atomsprengköpfe abgerüstet und die IAEO eingeladen, das zu verifizieren. Auch da sind Diskrepanzen aufgetaucht. Es wurde lange gesucht bis man am Ende zu einer befriedigenden Erklärung gekommen ist.

Russland und die USA haben vor kurzem vereinbart, ihre Arsenale um ein Drittel auf dann jeweils noch 1500 Atomsprengköpfe zu reduzieren. Ist das mehr als ein symbolischer Schritt?

Ja, es ist mehr und geht in die richtige Richtung. Die Nörgelei von Kritikern, das sei aber nicht genug, ist nicht angebracht. Man kann nicht erwarten, dass beide Länder auf einen Schlag komplett abrüsten. Sehr wohl aber sollte man von Washington und Moskau erwarten, dass sie jetzt gleich mit der Arbeit an einem Folgeabkommen beginnen.

Die Staaten ohne Atomwaffen kritisieren die USA und Russland seit Jahren, sie kämen ihren Verpflichtungen aus dem Atomsperrvertrag nicht nach. Reicht das neue Abkommen als Signal?

Das wage ich zu bezweifeln. Die Unzufriedenheit unter den Vertragsstaaten, die keine Kernwaffen haben, ist extrem groß. Das liegt vor allem an der letzten Überprüfungskonferenz 2005, auf der die Amerikaner und die Franzosen wichtige Abrüstungsbeschlüsse einfach für nichtig erklärt haben. Das hat einen verheerenden Schaden angerichtet, und es wird sich zeigen, ob er auf der kommenden Konferenz repariert werden kann.

Was steht sonst noch auf der Tagesordnung der Überprüfungskonferenz im Mai?

Der Vertrag über den Stopp von Kernwaffentests zum Beispiel. Obama will die Ratifikation, aber ob er das im Senat durchbringt, ist noch nicht abzusehen. Außerdem stehen Verhandlungen im Rahmen der multilateralen Abrüstungskonferenz in Genf über das Verbot der Produktion von waffenfähigem Spaltmaterial an, einen so genannten „Cut Off“-Vertrag. Dass es dabei derzeit nicht weitergeht, haben wir vor allem Pakistan zu verdanken; die meinen, sie müssten erst einmal aufholen.

Wie kann man kleinere Kernwaffenstaaten wie Indien, Pakistan oder Israel zur Abrüstung bewegen?

Für diese Länder ist die Bombe ein wichtiges Statussymbol. Wenn die USA, Russland und China abrüsten würden, dann würde Indien wohl mitmachen und dann würde auch Pakistan abrüsten. Israel ist ein Spezialfall: Die pochen darauf, dass zuerst Frieden im Nahen Osten herrschen muss, bevor sie sich zu irgendetwas verpflichten. Israel will andererseits nicht als Provokateur dastehen, der Fortschritte verhindert. Deshalb halten sie sich gerne raus. Wenn zum Beispiel in der Genfer Abrüstungskonferenz wichtige Erklärungen verabschiedet werden, ist der israelische Botschafter plötzlich krank.

Welche Rolle für die Haltung Pakistans spielt das Abkommen zwischen den USA und Indien, das Neu-­Delhi bei der Zusammenarbeit in der Atomtechnik bevorzugt?

Pakistan ist beleidigt deswegen. Und tatsächlich kann Indien nun viel mehr Spaltmaterial produzieren. Die pakistanische Logik stimmt also auf gewisse Art. Trotzdem ist es eine Unverschämtheit, deshalb die Verhandlungen über den „Cut Off“-Vertrag zu bremsen und damit die Welt zu erpressen.

Aber ist es nicht ebenso unverschämt, dass der Westen bestimmte Länder wie Indien oder Israel bevorzugt?

Ja, das ist eine Ungleichbehandlung. Und die arabischen Staaten sind zu Recht erbost darüber und verlangen, dass sich das ändert. Auch darüber wird im Mai in New York gestritten werden.

Ist die von Obama vor einem Jahr skizzierte Welt ohne Atomwaffen möglich, wenn nicht gleichzeitig auf die zivile Nutzung der Kernkraft verzichtet wird?

Die größte Gefahr geht nicht von Ländern aus, die heute schon Kernkraft zivil nutzen. Wer die zivile und die militärische Nutzung miteinander verknüpft und die Abschaffung auch der zivilen Kernkraft fordert, der verprellt auch die seriösen Abrüster. Südafrika zum Beispiel ist der einzige Staat, der auf Null abgerüstet hat. Gleichzeitig aber hat es eine Anreicherungsindustrie aufgebaut und hofft auf Geschäfte. Das ist sein gutes Recht. Natürlich bleibt ein Restrisiko, dass Nuklearmaterial abgezweigt wird – ganz abgesehen von den anderen Risiken der Kernenergie. Aber sie abschaffen zu wollen, führt nicht weiter, weil das niemand akzeptiert.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

Annette Schaper ist Physikerin und Projektleiterin bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Sie ist dort vor allem mit Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle befasst.

erschienen in Ausgabe 5 / 2010: Menschenrechte - Für ein Leben in Würde
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