Entwicklungsminister Dirk Niebel zum Beispiel hält den Trend, dass Migranten heute häufiger als früher nur befristet im Zielland bleiben wollen und oft zwischen mehreren Ländern hin- und herwandern, für eine aus entwicklungspolitsicher Sicht gute Nachricht: Die zirkuläre Migration biete „Chancen für alle Beteiligten – für die Migranten selbst, für die Herkunftsländer, aber auch für uns“. Das Entwicklungsministerium hat deshalb mit vier Ländern – Indonesien, Vietnam, Albanien und Bosnien-Herzegowina – ein Pilotprogramm zur temporären Arbeitsmigration gestartet.
Autor
Stefan Rother
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg und Sprecher des Arbeitskreis Migrationspolitik in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.Die wissenschaftliche und politische Diskussion über zirkuläre Migration wird anhalten. Es würde der Debatte allerdings gut tun, wenn zunächst ein paar grundlegende Fragen beantwortet würden. So ist zum Beispiel oft nicht klar, was genau mit zirkulärer Migration gemeint ist. Betont wird lediglich stets, was sie nicht sein soll: eine Neuauflage der alten Gastarbeiterprogramme. Die Abgrenzung ist jedoch schwierig, denn schließlich sind die Zielländer, als sie Gastarbeiter angeworben haben, ebenfalls davon ausgegangen, dass diese irgendwann wieder in ihre alte Heimat zurückkehren würden. Staatlich gesteuerte zirkuläre Migration ist außerdem keineswegs neu. Vor allem in Asien ist sie bereits seit mehr als drei Jahrzehnten Praxis. Wer zirkuläre Migration nun auch im Westen propagiert, täte gut daran, die Lehren von dort zu berücksichtigen.
Das Beispiel der Philippinen, eines Hauptexporteurs von Arbeitskräften, zeigt etwa, dass sich die zirkuläre Migration keineswegs eindeutig günstig auf die Entsendeländer auswirkt. Dort findet nämlich statt „Entwicklung durch Migration“ eher „Migration anstelle von Entwicklung“ statt. Die beachtlichen Rücküberweisungen der philippinischen Migranten und Migrantinnen dienen als Ventil, das den Druck mildert, eine dringend notwendige Landreform durchzuführen oder Arbeitsplätze im eigenen Lande zu schaffen.
In potenziellen Empfängerländern wie Deutschland wiederum scheint das Loblied auf die zirkuläre Migration unter anderem den Zweck zu haben, die Bevölkerung zu beruhigen, die Zuwanderung oft ablehnt: Die Migranten gehen ja irgendwann wieder nach Hause. Der Hinweis auf die entwicklungspolitische Bedeutung von Rücküberweisungen mag zudem dem Ziel dienen, darüber hinwegzusehen, dass man die eigenen Entwicklungshilfezusagen nicht einhält. Aber kann man einer oft benachteiligten Gruppe wie Zuwanderern wirklich Entwicklungsaufgaben aufhalsen, die zu erfüllen ihr Heimatland und die internationale Hilfe bislang offenbar nicht in der Lage waren?
Während die Entwicklungspotenziale der zirkulären Migration gerne gepriesen werden, herrscht hinsichtlich der Kosten meist Schweigen. Zwar betragen die Rücküberweisungen weltweit ein Vielfaches der öffentlichen Entwicklungshilfe. Aber diese Rechnung vernachlässigt die teils immensen finanziellen und sozialen Kosten der Migration. Oft sind im Entsendeland Ausbildungskosten entstanden, die Migranten müssen für ihren Transport ins Zielland bezahlen, und Familien werden teils langfristig auseinandergerissen.
Auch hier lohnt ein Blick in Regionen, in denen zirkuläre Migration schon länger üblich ist. Bei philippinischen Hausangestellten in Hongkong ist es etwa nicht ungewöhnlich, dass sie immer wieder neue Zwei-Jahres-Verträge abschließen und sich somit in einem Zustand „dauerhaft befristeter“ Migration befinden. Die Kinder dieser Frauen, die teils über zwölf Jahre oder länger einen Arbeitsvertrag nach dem anderen abschließen, werden in dieser Zeit oft von anderen Frauen betreut. Diese auch als „nanny chain“ bekannte globale Pflegekette führt neben sozialen oft auch zu finanziellen Kosten.
In westlichen Ländern, darunter auch Deutschland, ist derzeit die Stunde der Pilotprojekte, mit denen die Ausgestaltung und die Folgen von zirkulärer Migration untersucht werden sollen. Das kann dazu beitragen, das Modell zu verbessern, auch wenn die anvisierten Zahlen von meist 500 bis 1000 Arbeitskräften, die von Forschern begleitet werden, eher klein sind und eine Beurteilung der längerfristigen Auswirkungen umfassendere und länger angelegte Untersuchungen benötigt. Zudem sind bei derlei Projekten eine Vielzahl von Fragen offen: Orientiert sich die Auswahl der Berufsgruppen am Arbeitskräftebedarf im Zielland oder am Nutzen für das Herkunftsland? Werden die an den Projekten teilnehmenden Zuwanderer fortgebildet? Wenn nicht, bleibt fraglich, inwiefern ein Entwicklungseffekt eintreten soll. Wenn ja, entstehen nicht unerhebliche Kosten, worauf sich die Frage stellt, ob das Geld nicht besser für die Schulung im Herkunftsland verwendet würde.
Der Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen für Integration und Migration (SVT) empfiehlt zudem, Anreize für zirkuläre Wanderungen außerhalb spezieller Programme zu schaffen – eine in der „Festung Europa“ von den Regierungen bislang reflexhaft bekämpfte Notwendigkeit. Dabei können gerade so umstrittene Maßnahmen wie längerfristige Bleiberechte oder die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft die zirkuläre Migration begünstigen – denn wer weiß, dass er jederzeit wiederkommen kann, kehrt auch eher einmal nach Hause zurück.
Eine grundlegende Frage ist, welcher Entwicklungsbegriff der Debatte zugrunde liegt. Politik und Wissenschaft betonen vor allem den Wert finanzieller Rücküberweisungen, nichtstaatliche Organisationen hingegen stellen einen umfassenderen Begriff von menschlicher Entwicklung in den Vordergrund. Weitgehend ausgeklammert wird in der Diskussion die Frage, wie sich zirkuläre Migration politisch auswirkt. Zwar gibt es eine ergiebige Literatur zu „sozialen Rücküberweisungen“, die jedoch politische Aspekte weitgehend ignoriert. Eine Studie des Arnold-Bergstraesser-Instituts in Freiburg mit dem Titel „Demokratisierung durch Migration?“ enthält Hinweise darauf, dass nicht so sehr das politische System des Ziellandes, sondern eher individuelle Erfahrungen und die ihnen im Gastland gewährten Freiheitsrechte die demokratische Einstellungen von Migranten und Migrantinnen stärken.
Umso absurder erscheint es, wenn Zielländer von „Entwicklung durch Migration“ schwärmen, gleichzeitig aber Zuwanderern grundlegende politische Rechte verwehren. Die schlichte Schlussfolgerung daraus lautet: Wer Entwicklung durch Migration propagiert, sollte zunächst einmal daran arbeiten, die Zuwanderer im eigenen Land anständig zu behandeln.
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