Welche Rolle spielen Verkehrsprojekte heute in der Entwicklungshilfe?
In der deutschen bedauerlicherweise keine große mehr. Transport und Kommunikation ist nur noch in zwei Ländern Schwerpunkt der bilateralen Zusammenarbeit: in Namibia der Bereich Straßenwesen und in Osttimor der Bereich Häfen und Küstenverkehr. Einige Programme, die andere Schwerpunkte haben, enthalten allerdings einzelne Fördermaßnahmen beim Verkehr.
Die meisten bilateralen Geber fördern kaum noch Verkehrsprojekte. Hat man damit schlechte Erfahrungen gemacht?
Natürlich gab es Projekte, die nicht erfolgreich waren. Die Regierungen der Entwicklungsländer waren anfangs zur Unterhaltung der neu gebauten Straßen nicht in der Lage, obwohl sie sich verpflichtet hatten, dafür aufzukommen. Manche haben sich die eine oder andere Straße von verschiedenen Gebern mehrmals finanzieren lassen. Das hat Verkehrsprojekte etwas mühsam gemacht. Es ist aber auch eine gewisse Arbeitsteilung entstanden: Die großen Infrastrukturinvestitionen werden heute von der Europäischen Union (EU), der Weltbank oder regionalen Entwicklungsbanken gestemmt. Das ist auch deren Mandat. Bei der EU entfällt nach wie vor zwei Fünftel der Hilfe für Afrika auf Verkehr, vor allem auf Straßenbaumaßnahmen. Der Anteil der Verkehrsprojekte an der gesamten Entwicklungshilfe ist wahrscheinlich konstant geblieben oder nur leicht gesunken. Auf Seiten der Partnerländer ist die Nachfrage danach aber weiterhin sehr hoch.
Welche Art Verkehrsprojekte sind denn nötig?
Das erste große Thema ist der städtische Verkehr, das zweite sind ländliche Wege. Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten moderne Verkehrskonzepte entwickelt und daher beim ersten Thema einiges anzubieten. Etwa für städtische Mobilität, wozu Fußgängerzonen, Parkflächenbewirtschaftung und die Vernetzung von verschiedenen kommunalen Verkehrsträgern gehören. Vieles davon kann man mittlerweile auf Entwicklungsländer übertragen – besonders in Asien, wo die Grenzen der Motorisierung erreicht sind.
Ist das hauptsächlich ein Problem in Schwellenländern?
Je stärker eine Volkswirtschaft arbeitsteilig organisiert ist, desto relevanter wird das Thema. Und wenn ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht ist, dann werden den Menschen der Zeitaufwand für den Verkehr und Fragen der Lebensqualität wichtiger. Wir können da gemeinsam mit den Stadtplanern nach Lösungen suchen und frühzeitig Einfluss nehmen. Man kann zum Beispiel vorhandene Spuren oder Straßen für bestimmte Verkehrsträger reservieren, wie das beim Bussystem in Curitiba in Brasilien gemacht wird – das Verkehrskonzept dort ist modellhaft. Städte wie Hongkong und Singapur waren von Anfang an durch ihre Insellage gezwungen, über Verkehrsplanung nachzudenken.
In Großstädten geht es um Verkehrsberuhigung oder neue Formen von Verkehr, auf dem Land aber um die Anbindung bisher abgeschnittener Gebiete. Gibt es Beispiele dafür, dass der Bau von ländlichen Wegen die lokale Wirtschaft anregt?
Ja. In Bangladesch haben die Asian Development Bank und die KfW-Entwicklungsbank gemeinsam mit der GTZ mehr als tausend Kilometer Wege rehabilitiert. Die GTZ hat sich insbesondere um die Märkte gekümmert, an denen die Wege enden – etwa die Marktkomitees gestärkt. Dabei haben wir festgestellt, dass die Anzahl der gehandelten Güter kurz nach Fertigstellung der Wege teilweise um das Mehrfache gestiegen ist. Die Bauern haben sehr schnell von Subsistenz- auf Marktwirtschaft umgestellt und zusätzliche Produkte angebaut. Auch das Volumen der gehandelten Güter ist stark gestiegen, ebenso das Wohlstandsniveau. Zum Beispiel hatten Familien, die vorher kein Radio hatten, danach eines, und mehr Kinder sind in die Schule gegangen. Allerdings hat der Bau von Wegen nicht automatisch überall solche Effekte. Im Norden Namibias sind die Einschulungsraten und der Besuch der Gesundheitseinrichtungen etwas angestiegen, aber nicht die landwirtschaftliche Produktion. Die Region lebt nämlich seit der deutschen Kolonialzeit davon, dass die arbeitsfähigen Männer in Minen und Fabriken in Namibia und Südafrika Geld verdienen. Da es außerhalb der Transferzahlungen keine regionale Wirtschaft gab, konnten die Straßen die auch nicht anregen.
Wenn ländliche Verkehrswege so eine große Wirkung haben, warum werden sie dann nicht stärker gefördert?
Das ist ein Größenproblem – genau wie bei der Infrastruktur für Strom, Wasser oder Sanitäranlagen. In Costa Rica beispielsweise werden über tausend Kilometer Wege gebaut, die auf kleine Stücke von 5 bis 12 Kilometer im Land verteilt sind. Da braucht man für jedes einen neuen Bauunternehmer. Ein einzelner nationaler Unternehmer kann teurer sein als viele mittelständische, weil er seine Geräte durch das ganze Land schieben muss. Außerdem kann man mit arbeitsintensiven Bauprojekten gezielt lokal Arbeitsplätze schaffen oder Menschen fortbilden – aber nur, wenn man nicht einfach große nationale Unternehmen beauftragt. Doch bei Projekten mit vielen kleinen Unternehmen ist die Bauüberwachung kompliziert, und es ist unheimlich schwer, einen Kredit ordentlich abzuwickeln. Auch Regierungen der Partnerländer finden das unattraktiv, weil ein großer Anteil des Kredits, den sie zurückzahlen müssen, in Beratungs- und Bauüberwachungskosten fließt statt in Asphalt und Beton.
Liegt einer der Gründe für die Vernachlässigung des ländlichen Raumes in den Prioritäten der Regierungen im Süden?
Da ist was dran. Häufig kommen die Politiker aus den Zentren oder haben diese als strategisch wichtig im Auge. Deshalb denken Sie in erster Linie daran, wie diese Regionen verbunden oder gestärkt werden können. Ich erinnere mich an meine Zeit in Costa Rica, wie schwer es war, einen Minister auf das Land zu lotsen.
Und die Geber bevorzugen wegen der Transaktionskosten größere Projekte – die kleinen macht kaum jemand?
Ja. Aber große Verkehrsprojekte haben auch ihre Berechtigung. Für die regionale Wirtschaftsentwicklung ist beides nötig, die Fernstraße wie der daran angeschlossene ländliche Weg. Man sollte aber festlegen, wer nationale, wer überregionale Straßen fördert und wer sich um den ländlichen Raum kümmert. Das vermisse ich trotz der Diskussionen um die Geberkoordination in Paris und Accra.
Steht die Förderung für Fernstraßen und Häfen unter dem Motto Hilfe zur Eingliederung in den regionalen oder globalen Markt?
Dies ist die dritte Dimension der Verkehrsförderung. Die Förderung des Handels dient oft als Begründung für transnationale Projekte, zum Beispiel die Instandsetzung von Häfen. Die EU fördert hier gern so genannte Korridorprojekte, bei denen eine Hauptverkehrsverbindung auf das Umland ausstrahlen soll.
Kann man für große Straßen und Eisenbahnlinien ähnliche wirtschaftliche Effekte feststellen wie bei ländlichen Wegen?
Ja. Zum Beispiel ist mit Hilfe der KfW-Entwicklungsbank vor einigen Jahren der Atlantikhafen Walvis Bay in Namibia ausgebaut und der Straßenkorridor über Botswana mit Johannesburg und Pretoria in Südafrika gestärkt worden. Das hat den überlasteten Hafen in Durban an der Ostküste Südafrikas entlastet. Der ganze Korridor hat einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der Hafen und sein Umfeld sind gestärkt worden. Für Namibia hat das auch Steuer- und Zolleinnahmen gebracht und eine kürzere Verbindung ins wirtschaftliche Zentrum Südafrikas.
Ist die Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Verkehr geprägt von großen Projekten mit einem hohen Kreditvolumen?
Das gilt im Grunde genommen für alle Infrastruktur-Projekte: Es ist sehr viel Geld nötig und das Kapital kann nicht wieder abgezogen werden – wenn Sie es einmal verbaut haben, ist es weg. Anderswo sind Investitionsentscheidungen leichter zu revidieren, wenn man feststellt, dass etwas nicht funktioniert.
Können Geberländer Projekte im Verkehrssektor besonders leicht mit der Förderung ihrer eigenen Unternehmen verbinden?
Grundsätzlich eignen sie sich dafür – so wie alle Projekte, bei denen am Anfang sehr viel Kapital erforderlich ist. Es kommt aber darauf an, um welche Verkehrsmittel es geht. Bei Straßen sind die Möglichkeiten solcher Förderung heute eher gering, denn die deutsche Bauwirtschaft ist beim Straßenbau im Ausland nicht mehr stark vertreten. Das machen lokale Unternehmen oder die Chinesen. Die sichern sich Rohstoffe und schenken den Ländern dafür Straßen, auf denen man einerseits die Ressourcen zur Küste bringen kann und die andererseits ein paar ökonomische Effekte entlang der Straßen mit sich bringen. Gebaut wird in der Regel mit chinesischen Arbeitern und Maschinen, die am Ende wieder mit nach China genommen werden. Anders sieht es beim Schienenverkehr aus, da haben wir sehr gute deutsche Ausrüster. Auch hier verlangen aber viele Länder mindestens eine Teilfertigung im Land, um Arbeitsplätze zu schaffen. Aus Deutschland kommen vor allem das Know-how und ein paar Schlüsselelemente.
Das funktioniert vor allem in Lateinamerika und Asien, nicht in Afrika, oder?
In Südafrika ist das schon möglich, schwache oder fragile Staaten brauchen dagegen eher das Komplettpaket – aber die bauen keine Eisenbahnen. Im Übrigen sind die Asiaten sehr technikverliebt und nehmen nur das neueste Modell, das es in Deutschland oder Europa gibt. In Lateinamerika stammen Infrastrukturkomponenten dagegen häufig aus Ländern wie Brasilien, und die sind oft einige Jahre hinter dem neuesten Stand. Sie sind aber wesentlich preiswerter und leichter zu reparieren. Zum Beispiel geht kein Omnibus von Europa nach Südamerika, die werden alle dort produziert. Deshalb muss die deutsche Industrie vor Ort sein und mit lokalen Firmen gemeinsam Märkte erschließen – auch wenn Schlüsselkomponenten bei uns entwickelt werden. Häufig ist die deutsche Wirtschaft noch sehr auf Liefergeschäfte fokussiert. Heute muss man aber Konzepte anbieten, die darüber hinausgehen – zum Bespiel bei Schienensystemen auch Betriebsstrukturen mit aufbauen und betreuen, bis man das in einheimische Hände gibt. Das hätte sowohl einen entwicklungspolitischen Nutzen als auch einen Nutzen für die deutsche Wirtschaft.
Ist es nicht für die Entwicklung egal, ob das mit deutscher, japanischer oder französischer Technik passiert?
Das ist letztlich egal. Die internationalen Entwicklungsbanken sind da auch neutral oder geben das zumindest vor. Der entwicklungspolitische Nutzen liegt darin, neue Systeme zu schaffen, etwa beim öffentlichen Nahverkehr in den Städten, und die Lebensqualität zu verbessern. Aber natürlich freue ich mich, wenn dazu ein deutsches System den Wettbewerb gewinnt.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
Stefan Opitz ist Leiter der Abteilung Wasser, Energie, Transport bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).