„Your name please:“ Umringt von einer Schar von Kindern kommt diese Frage von allen Seiten. Mit indischen Partnern bin ich unterwegs, um Selbsthilfegruppen von Frauen kennenzulernen. Während sich die Frauen noch sammeln, sind erst einmal die Kinder dran. Sie wollen wissen, wer da kommt. Und so fragen sie nach dem Namen, dem Alter, nach Stadt und Land. Großes Gelächter gibt es immer, wenn einer versucht, meinen langen Namen auszusprechen. Das steigert sich noch bei meinen Versuchen, sie bei ihren Namen zu rufen. Es ist eine unbefangene Neugierde und eine erste Möglichkeit, über eine Schwelle zu treten und etwas Vertrauen zu fassen.
Die kleine Begrüßungszeremonie im indischen Dorf ist mehr als ein höflicher Ritus. Sie verweist auf die Bedeutung des Namens. Namen sind eben nicht Schall und Rauch, sondern gehören zu unserer Identität. Niemand will und soll eine Nummer sein. Wir spüren die Entfremdung und Anonymisierung, die entsteht, wenn unsere Identität auf Pincodes, Passwörter oder Konto- und Versicherungsnummern reduziert wird.
Autor
Jürgen Thiesbonenkamp
war bis 2014 Vorstandsvorsitzender der Kindernothilfe in Duisburg.Einen Namen zu tragen, der uns durchs Leben begleitet und von der Geburtsurkunde an in allen anderen Dokumenten gesichert ist, scheint uns selbstverständlich. Aber es gibt Millionen Menschen, die zwar einen Namen haben, aber nirgendwo registriert sind. Statistiken des Child Rights Information Network (CRIN) aus dem Jahr 2006 sagen, dass jährlich 48 Millionen Kinder zur Welt kommen, die in kein Geburtsregister eingetragen werden. Zwar haben Kampagnen nichtstaatlicher Organisationen Fortschritte gebracht, doch weiterhin verhindern Armut, Analphabetismus und Ausgrenzung oft, dass Neugeborene eine Geburtsurkunde erhalten.
Dabei geht es um elementare Rechte von Kindern. Nach Artikel 7 und 8 der UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Mädchen und jeder Junge das Recht auf einen Eintrag in ein Geburtsregister, einen Namen, eine Nationalität und auf Schutz der Identität. Denn wer nicht registriert ist, existiert offiziell nicht. Nicht registrierte Kinder haben häufig keinen Zugang zu ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen oder sind vom Schulbesuch ausgeschlossen. Und sie sind schutzlos gegen Missbrauch und Gewalt.
Besondere Anforderungen entstehen in Katastrophensituationen. So wurden viele Kinder in Sri Lanka in den ersten Tagen nach dem Tsunami von engagierten Frauen geschützt, die inmitten des Chaos die Kraft hatten, Kinder zu registrieren. So verhinderten sie, dass Fremde sich als Angehörige der Kinder ausgeben konnten. Es ist eine Erfahrung, dass Kinderhändler solche Situationen ausnutzen. Wie nötig der Schutz der Kinder ist, haben auch die ersten Wochen nach dem Erdbeben in Haiti gezeigt. Tausende Jungen und Mädchen leben in Port-au-Prince, ohne registriert zu sein. Andere, die eine Geburtsurkunde oder einen Ausweis hatten, finden sie unter den Trümmern nicht mehr. Es ist wichtig, dass in Haiti Regierungen und nichtstaatliche Organisationen gemeinsam gegen jede Form des Kinderhandels vorgehen.
Wer dem Kinderhandel ein Ende machen will, wer unseriöse Adoptionen verhindern und Kinder, die unter prekären Umständen aufwachsen oder zu marginalisierten Bevölkerungsgruppen gehören, schützen und fördern will, muss auf das Recht auf Registrierung drängen. Darauf bauen viele weitere Kinderrechte auf. Was es bedeutet, „sans papiers“ – ohne Papiere – zu sein, zeigen nicht nur die Schicksale von Flüchtlingen in Europa, sondern auch die von Opfern des kriminellen internationalen Kinderhandels. Die Forderung, diese Kinderrechte zu beachten, muss mehr Rückhalt auch in der Entwicklungszusammenarbeit finden. In El Alto in Bolivien zum Beispiel haben Schulkinder in einer Aktion andere Kinder und ihre Eltern auf die Notwendigkeit der Registrierung hingewiesen und die Behörden aufgefordert, dies gebührenfrei zu ermöglichen.
Christliche Organisationen, deren Mitglieder in Jesu Namen getauft sind und in seinem Namen handeln, sollten Vorreiter zur Durchsetzung dieser Kinderrechte sein. Wo sie gelten, können Kinder wirklich unbefangen nach dem Namen fragen und sich freuen, dass ihnen ihre Identität niemand mehr nehmen kann.