Weltsozialforum zieht nach Norden

Wenige Tage nach dem Terroranschlag auf das tunesische Nationalmuseum haben sich Ende März rund 50.000 Globalisierungskritiker zum Weltsozialforum (WSF) in Tunis versammelt. Trotz der internationalen Solidarität unter dem Motto „Jetzt erst recht“ hat das Treffen an Schwung eingebüßt. Nun soll das nächste Forum erstmals auf der Nordhalbkugel stattfinden – ein umstrittener Beschluss.

Versammlungsort soll im August 2016 das kanadische Quebec sein. Bislang hatten die Foren in Ländern des Südens – Brasilien, Kenia, Senegal, Indien, Tunesien – stattgefunden; das bot den Organisationen der einheimischen Zivilgesellschaft eine Plattform und machte die Teilnahme auch für Delegationen aus Entwicklungsländern finanzierbar.

Der Vorschlag der jungen Aktivisten aus Kanada, die sich seit 2011 in der „Occupy“-Bewegung engagieren, löste in Tunis Diskussionen aus. Kritisiert wurde insbesondere, dass sich Forumsteilnehmer aus Entwicklungsländern eine Reise nach Kanada kaum leisten, oder wegen Visumbestimmungen nicht einreisen könnten. Zudem verliere das Forum so seine Brückenfunktion zwischen Süden und Norden. Trotzdem bekräftigte der Internationale WSF-Rat den Beschluss. 

Die Promotoren von Quebec 2016, die bereits in Tunis stark präsent waren, wollen den Schwung ihrer jungen Bewegung nutzen. Sie halten das Denkschema vom reichen Norden und armen Süden für überholt. „Auf beiden Hemisphären wehren sich die Menschen gegen soziale Ungerechtigkeit“, betont Raphaël Canet vom kanadischen Organisationskollektiv. Entscheidend sei, „den Kampf zu globalisieren“.

Vorzeigbare Resultate - trotz mangelnder Durchschlagskraft

Unterstützt wird die Entscheidung für Quebec auch vom Brasilianer Chico Whitaker, der zu den Mitbegründern des ersten Weltsozialforums von Porto Alegre gehört und für sein Engagement 2006 den alternativen Nobelpreis erhielt. Whitaker plädiert jedoch dafür, das WSF längerfristig wieder stärker als direkten Gegenpol zum Weltwirtschaftsforum von Davos zu positionieren, um die Sichtbarkeit als parallel stattfindende Gegenveranstaltung zu erhöhen.

Einigkeit bestand in Tunis darin, dass das Weltsozialforum seine Existenzberechtigung nicht verloren hat. Zwar wirft man ihm mangelnde Durchschlagskraft vor. Doch das Forum sah sich stets als basisdemokratische Plattform des Austausches und der internationalen Vernetzung nichtstaatlicher Organisationen und sozialen Bewegungen. Dies führt durchaus zu vorzeigbaren Resultaten.

So trafen sich in Tunis die Teilnehmer nach den zahlreichen Workshops am letzten Tag des Forums zu themenspezifischen Schlussversammlungen. Dabei verständigte man sich etwa auf weltweite Aktionen im Hinblick auf den UN-Klimagipfel Ende des Jahres in Paris.

In Tunis fand das Forum zum zweiten Mal nach 2013 statt. Vor zwei Jahren war das Treffen noch stärker vom Aufbruch und der Dynamik nach der Jasminrevolution geprägt. Der blutige Anschlag mit 22 Toten beim Bardo-Museum hat das Land in einen Schockzustand versetzt. Dies hat die Debatten beim Weltsozialforum zwar nicht ausgebremst, aber die Organisatoren wegen strenger Sicherheitsauflagen der Behörden vor logistische Probleme gestellt. Wichtige soziale Akteure wie Gewerkschaften oder Frauenverbände waren zudem stark mit den Vorbereitungen für den nationalen Trauermarsch Ende März beschäftigt.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2015: Töten für den rechten Glauben
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