Das Landgericht Dortmund muss sich demnächst mit einem ungewöhnlichen Fall beschäftigen. Hinterbliebene und Opfer eines Fabrikbrandes in Pakistan haben Klage auf Schadensersatz gegen den Textilhändler KiK aus dem westfälischen Bönen eingereicht. KiK war Hauptabnehmer der Fabrik Ali Enterprise in Karachi, in der bei einem Brand im September 2012 mehr als 250 Textilarbeiter umkamen und weitere 50 verletzt wurden. Dass es so viele Opfer gab, lag vor allem am schlechten Brandschutz: Bis auf einen waren alle Notausgänge verriegelt, die Fenster waren vergittert. KiK hätte das wissen und verhindern müssen, so der Vorwurf.
Zwar hatte die Tengelmann-Tochter nach dem Vorfall jeder Familie rund 4000 Euro als Soforthilfe gezahlt. Das sei jedoch zu wenig, kritisiert Miriam Saage-Maaß von der Menschenrechtsorganisation ECCHR, die die Betroffenen unterstützt. Schließlich hätten viele Familien ihren Haupternährer verloren oder müssten eine teure medizinische Behandlung bezahlen. Auch bei den Verhandlungen über eine langfristige Entschädigung habe KiK kein überzeugendes Angebot vorgelegt. Deshalb hätten sich die Betroffenen für eine Klage in Deutschland entschieden. Sie fordern jeweils 30.000 Euro Schmerzensgeld. Ihnen gehe es aber nicht nur um das Geld: „Sie wollen Gerechtigkeit“, sagt Saage-Maaß.
Verhandelt wird nach pakistanischem Recht
Der Textilhändler weist eine Mitverantwortung an der Brandkatastrophe zurück. In früheren Prüfberichten habe man keine „gravierenden Mängel“ feststellen können. Zudem wiesen Ermittlungen in Pakistan auf einen Brandanschlag hin. Man sei trotzdem bereit, weitere Hilfszahlungen zu leisten, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit.
Dass der Textildiscounter seine Sorgfaltspflicht tatsächlich verletzt hat, müssen im Prozess die deutschen Anwälte der Opfer belegen. Sie vertreten vor Gericht drei Angehörige und einen Überlebenden der Brandkatastrophe. Finanziert werden die Prozesskosten von der Hilfsorganisation medico international.
Verhandelt wird der Fall voraussichtlich nach pakistanischem Recht – so verlangt es eine Verordnung der Europäischen Union von 2007, wonach das Recht des Landes anzuwenden ist, in dem der Schaden eingetreten ist. Den Klägern könnte das helfen, denn das pakistanische Recht orientiert sich am britischen, das sich neben Gesetzen maßgeblich auf Richtersprüche in Präzedenzfällen stützt. Es mache Hoffnung, dass in England in den vergangenen Jahren einige progressive Urteile zur Verantwortung für Tochterunternehmen und Zulieferer ausgesprochen wurden, meint Saage-Maaß.
Der Prozess könnte einen Präzedenzfall schaffen
Zudem sei im pakistanischen Recht das Verhältnis von „Verrichtungsgehilfen“ gegenüber den Geschäftsverantwortlichen geregelt. Da KiK zeitweise bis zu 100 Prozent der Produktion von Ali-Enterprise belegt habe, könne der Händler auf dieser Grundlage haftbar gemacht werden. Ob das Gericht dann auch eine Mitschuld am Tod der Textilarbeiter feststellen wird, hänge vor allem an zwei Fragen, erklärt die Rechtsanwältin: „Was wusste Kik über die Verhältnisse bei Ali-Enterprise? Und hat das Unternehmen genug getan, um den Brandschutz zu verbessern?“
Der Prozess könnte einen Präzedenzfall in der deutschen Rechtsprechung schaffen. Denn ob deutsche Firmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn in ihren Lieferbetrieben im Ausland Arbeiter zu Schaden kommen, ist bislang ungeklärt. Genauso wie die Frage, unter welchen Umständen Mutterunternehmen für Verstöße ihrer Tochtergesellschaften haftbar gemacht werden können.
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