Pflügen ist von gestern

Direktsaat ohne Pflügen setzt sich in Brasilien durch. Sie schont den Boden und gilt als Beitrag zum Klimaschutz. Doch der Streit um die "richtige" Landwirtschaft ist damit nicht geklärt.

Die Landwirtschaft ist ein Grundpfeiler der schnellen nachholenden Entwicklung Brasiliens. Produkte wie Soja, Zucker oder Orangensaft aus der Agrarindustrie sind Spitzenreiter im Exportgeschäft und tragen entscheidend zum Wirtschaftswachstum bei. Derweil versorgt die bäuerliche Landwirtschaft die einheimische Bevölkerung: Tausende kleine und mittlere Bauernhöfe produzieren rund 70 Prozent der Lebensmittel, die in dem südamerikanischen Land auf den Tisch kommen.

Das Klima in Brasilien und die Beschaffenheit des Bodens sind dabei allerdings ein großes Hindernis. Tropische und subtropische Regionen prägen den fünftgrößten Flächenstaat der Erde. Der Boden ist zumeist arm an Nährstoffen. „Es fehlt an organischen Stoffen, da die nahrhaften Substanzen sehr schnell abgebaut werden und sich deswegen nicht im Boden anreichern“, erklärt der Agronom Sebastião Pedro Neto. Er arbeitet bei Emprapa, einem dem Landwirtschaftsministerium angegliederten Forschungsinstitut. „Anders als die Böden in Europa, die als jung und fruchtbar gelten, handelt es sich in Brasilien um sogenannte ‚alte̒ Böden.“

Autor

Andreas Behn

ist Korrespondent der Tageszeitung "taz" und des epd in Brasilien. Er lebt seit acht Jahren in Rio de Janeiro.
Um unter diesen Bedingungen auf Dauer gute Erträge zu erwirtschaften, sei eine landwirtschaftliche Methode nötig, die die organische Materie im Boden so gut wie möglich erhalte, sagt Neto. Deswegen sei die Direktsaat in Brasilien und teilweise auch in den Nachbarländern so stark verbreitet. „Sie schützt den Boden, speichert mehr Wasser und bewirkt zugleich eine natürliche Düngung“, zählt Neto auf.

Und sie birgt einen besonderen Vorteil: Die Direktsaat speichert mehr Kohlendioxid im Boden, so dass sie laut ihren Befürwortern zum Klimaschutz beiträgt. Kritiker verweisen hingegen darauf, dass mehr Pflanzengifte eingesetzt werden, und monieren, dass die neue Saatmethode kein Beitrag zur Stärkung ökologischer Landwirtschaft sei. Über das Pro und Contra wird in Brasilien nicht nur unter Agrarexperten gestritten.

Ein Deutscher hat die Anbaumethode in Brasilien eingeführt

Ein deutschstämmiger Brasilianer hat die Direktsaat Anfang der 1970er Jahre im Süden des Landes eingeführt und propagiert. In Deutschland, wo Herbert Arnold Bartz seine Kindheit verbrachte, ist die Anbau-Methode bis heute weitgehend unbekannt. In Brasilien wird mittlerweile über die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche mittels Direktsaat bestellt. „Anfangs wurde ich als Querkopf bezeichnet, denn die ersten Experimente mit der Direktsaat waren noch nicht richtig erfolgreich“, erinnert sich Bartz. Der 77-Jährige spricht Portugiesisch mit starkem Akzent. Bis heute lebt er in Rondônia im Bundesstaat Paraná, wo er einst auf der väterlichen Farm die Anbauweise revolutionierte. Tausende Deutsche, vor allem Bauern, sind in den vergangenen 150 Jahren in den Süden Brasiliens ausgewandert. „Wir mussten etwas unternehmen, denn die Böden waren von der Erosion zerstört und völlig ausgelaugt.“

Die wichtigste Anregung kam aus den USA, wo die Direktsaat bereits von zahlreichen Landwirten angewandt wurde. Über die Jahre sei die Methode verfeinert worden, sagt Bartz. „Der Durchbruch kam, als wir erfolgreich eine Rotation verschiedener Nutzpflanzen einführten.“ Bald war die Mehrzahl der Landwirte überzeugt. Laut dem Landwirtschaftsministerium hat die Direktsaat im Bundesstaat Paraná die konventionelle Agrartechnik heute auf knapp 80 Prozent der Agrarnutzfläche abgelöst.

Als Direktsaat wird eine Ackerbaumethode bezeichnet, bei der ohne Bodenbearbeitung direkt nach der Ernte in das Brachland gesät wird. Die Rückstände des Pflanzenmaterials der Vorkultur bleiben dabei als Mulch auf dem Acker. Spezielle Vorrichtungen an den Sämaschinen öffnen schmale Schlitze in der Bodenoberfläche, in denen das Saatgut abgelegt wird. Da die Erde dabei zu keinem Zeitpunkt gepflügt wird, wird die Methode auch als pfluglose oder No-till-Landwirtschaft bezeichnet.

Ein Einfallstor für Gentechnik?

Für den Agraringenieur Antonio Roque Dechen beruht die Direktsaat auf drei grundlegenden Prinzipien: Ständige Bedeckung des Ackerlandes mit Pflanzenresten, minimale Bodenbearbeitung und Rotation in der Fruchtfolge. Insbesondere in tropischen Gefilden bedeute dies eine Revolutionierung der Landwirtschaft, sagt Dechen, der an der Universität von São Paulo lehrt. „Da der Boden besser vor Sonne und starkem Regen geschützt ist, verdunstet weniger Feuchtigkeit. So werden die organischen Reste besser zersetzt und bilden eine Humusschicht.“ Dies sei die wirksamste Vorbeugung gegen Bodenerosion, erklärt Dechen, der auch Mitglied der Brasilianischen Direktsaat-Vereinigung FEBRAPDP ist.

Doch es gibt auch Nachteile. Die mittels Direktsaat bestellten Felder sind besonders anfällig für Unkraut, deshalb kommen bei dieser Methode oft mehr Herbizide zum Einsatz als in der konventionellen Landwirtschaft. „Immer wieder wird unterschlagen, dass auf Direktsaat-Feldern viel mehr Herbizide eingesetzt werden. Das bedeutet eine enorme Bodenbelastung“, kritisiert Fran Paula de Castro von der nichtstaatlichen Organisation FASE, die unter anderem für Ernährungssouveränität und Agrarökologie eintritt. Vor allem das Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat werde verstärkt eingesetzt. Auch gehe die Direktsaat Hand in Hand mit der Nutzung von genetisch verändertem Saatgut, das gegen Glyphosat resistent ist. „Insbesondere in der großflächigen industriellen Landwirtschaft sind Direktsaat, mehr Herbizide und mehr Gentechnik ein Paket“, gibt de Castro, die auch in der brasilienweiten Kampagne gegen genetisch verändertes Saatgut aktiv ist, zu bedenken.###Seite2###

Luciana Bittencourt, die Pressesprecherin von FEBRAPDP, lässt diesen Einwand nicht gelten. „Es kommt immer darauf an, wie die Methode angewandt wird. Wenn man es richtig macht und die Rotation der Nutzpflanzen berücksichtigt, braucht man nur vorübergehend mehr Herbizide“, erläutert sie. Zudem habe die Methode noch einen weiteren entscheidenden Vorteil für die Umwelt: „Die geringere Bodenbearbeitung führt dazu, dass mehr Kohlendioxid gespeichert wird. Damit leistet die Direktsaat auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz“, erklärt die Verbandssprecherin.

Direktsaat ist auf dem Weg, zu der vorherrschenden Agrartechnik in Brasilien zu werden. Auch in Argentinien, Paraguay und Uruguay findet die Methode immer mehr Anhänger. Weltweit wird die Verbreitung auf über 120 Millionen Hektar Anbaufläche geschätzt. Der Umstieg von der herkömmlichen Anbaumethode ist nur am Anfang schwierig. Nach einer oft kostenintensiven Umstellungsphase stellen sich schnell auch die wirtschaftlichen Vorteile ein: geringerer Verbrauch von Dünger und Kraftstoff, Zeitersparnis, engerer Erntezyklus und aktiver Bodenschutz.

Verbreitung der Direktsaat zum Staatsziel erklärt

Die Direktsaat kann mit gleichem Erfolg großflächig und in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft angewandt werden. Für Jean Marc von der Weid von der Organisation AS-PTA, die brasilianische Kleinbauern bei der Umstellung auf ökologischen Anbau unterstützt, überwiegen die Vorteile deutlich. Nachhaltige Agrarwirtschaft geht für den Ökonomen aber über die Frage der Saatmethode hinaus: „Notwendig ist eine ökologische Landwirtschaft. Deswegen reicht es nicht, nur auf das Pflügen zu verzichten. Der Einsatz von Pflanzengiften in großer Menge muss ebenso verhindert werden wie die Ausbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut“, meint Von der Weid.

Für die Regierung Brasiliens gehört die pfluglose Landwirtschaft schon lange zu den förderungswürdigen Instrumenten des Umweltschutzes. Da sie nicht nur die Bodenqualität bewahrt, sondern auch einen Beitrag zur Verminderung des Treibhausgasausstoßes leistet, wurde sie schon beim UN-Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro in den Maßnahmenkatalog aufgenommen, mit dem der Klimawandel gebremst werden sollte. Nachdem Brasilien bei der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen versprochen hatte, seinen Treibhausgasausstoß bis 2020 freiwillig um rund 37 Prozent zu vermindern, wurde die Verbreitung der Direktsaat sogar zum Staatsziel erklärt. Das Agrarministerium hat einen Plan für eine CO2-arme Landwirtschaft verabschiedet. Er sieht unter anderem vor, dass es die Methode im Land auf weitere acht Millionen Hektar Nutzfläche verbreitet will – mit Finanzhilfen, günstigen Agrarkrediten und Werbemaßnahmen.

Laut dem Agrarforschungsinstitut Embrapa liegen noch keine Zahlen zur Planerfüllung vor. Doch Sebastião Neto ist überzeugt, dass zumindest im Bereich Direktsaat das Planziel erreicht wird. „Schon ohne die ökonomischen Anreize der Regierung breitet sich die Technik immer weiter aus“, erklärt Neto. Er verweist darauf, dass auch Organisationen wie die Welt-Naturstiftung WWF oder die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO die Direktsaat empfehlen. Der Plan zur CO2-Minderung mittels Direktsaat (Plano ABC) stößt in Teilen der Zivilgesellschaft aber auf heftige Kritik. Moniert wird vor allem, dass sie sich in erster Linie an das Agrobusiness und nicht an die Kleinbauern richtet. Zudem wird kritisiert, dass es der Regierung offenbar wichtiger war, pauschale klimapolitische Vorgaben zu erfüllen, als eine ökologischere und damit nachhaltige Agrarwirtschaft zu fördern.

"Der Einsatz von Pflanzengift wird nicht hinterfragt"

„Sinnvoll wäre, wenn der Plan für eine CO2-arme Landwirtschaft auf eine Förderung von ökologischem Anbau abzielt. Stattdessen hat die Regierung auf den internationalen Druck für eine Reduzierung der Treibhausgase reagiert und in der Hoffnung auf schnelle Ergebnisse die großflächige beziehungsweise industrielle Landwirtschaft in den Mittelpunkt gestellt“, erklärt Edélcio Vigna von Inesc. Das unabhängige Forschungsinstitut war selbst an der Ausarbeitung des Plano ABC beteiligt und sieht seine Aufgabe darin, die Umsetzung kritisch zu begleiten. Vigna weist darauf hin, dass der Plan an den Irrtümern der sogenannten Grünen Revolution festhält: Zum einen werde der Einsatz großer Mengen Pflanzengift nicht hinterfragt. Zum anderen werde ökonomische Rentabilität höher bewertet als ökologische Kriterien.

Fran Paula de Castro von FASE sagt, die ökologischen Aspekte der Direktsaat und ihr Ruf als Klimaschützer würden dazu genutzt, der industriellen Landwirtschaft einen grünen Anstrich zu verleihen: „Das eigentliche Problem ist die industrielle Agrarwirtschaft, die für riesige Gewinne im Exportgeschäft immer mehr Land konzentriert und einen Raubbau an der Natur betreibt.“ Die Alternative sei eine Landreform sowie die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft, die auch der Produktion von ökologischen Lebensmitteln nicht abgeneigt sei.

In der Landwirtschaft ist es nicht anders als in anderen Bereichen: Klimapolitische Ziele bleiben oft hinter den Veränderungen zurück, die soziale Bewegungen oder Interessengruppen mit guten Argumenten durchsetzen wollen. Sicher ist, dass die Direktsaat in der tropischen Landwirtschaft auf dem Vormarsch ist und auf mittlere Sicht das konventionelle Pflügen ablösen wird. Die wirtschaftlichen Vorteile sowie der bessere Schutz des Bodens sind überzeugend. Der Streit über das richtige Landwirtschaftsmodell wird hingegen weitergehen: Auf der einen Seite die industrielle Agrarwirtschaft mit hohen Gewinnen, auf der anderen bäuerliche Landwirtschaft zur Produktion von gesunden Nahrungsmitteln.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2014: Früchte des Bodens
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