„Danke Biberach, danke Deutschland, wir fühlen uns hier willkommen”. Mit bewegter Miene verneigt sich Chorleiter Ahmad Osman vor dem Publikum und den Musikern der Stuttgarter Symphoniker und des Kurpfälzischen Kammerorchesters Mannheim. Bis auf den letzten Platz ist die Stadthalle im oberschwäbischen Biberach an diesem Freitagabend Ende Oktober gefüllt.
„Paradies ist unsere Heimat. Syrien ist unsere Heimat, unsere Liebe. Frieden für Syrien“, hatten zuvor die gut 20 Sängerinnen und Sänger aus Aleppo, Homs, Hams und Damaskus in ihren weißen und gelben T-Shirts voller Inbrunst auf Arabisch angestimmt – die deutsche Übersetzung wurde in einem Display angezeigt. Die syrische Volkshymne Janna (Paradies) bildete statt einem Soldatenchor wie im Original den Anfang und den Abschluss der Mozart Oper Cosi fan tutte, die erstmals 1790 uraufgeführt wurde. Anno 2014 spielt sie nun in einem Flüchtlingsheim. Eine Komödie und Parabel rund um Rollenverwirrungen, Orientierungssuche und die Kompliziertheit der Liebe. Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge sind zusammen mit Profis auf der Bühne.
Das Stück ist Teil eines ungewöhnlichen Integrationsprojekts, bei dem sich Deutsche und Migranten auf Augenhöhe begegnen. Seit Mai dieses Jahres leben rund 75 sunnitische Flüchtlinge aus Syrien in einem ehemaligen Kloster in Oggelsbeuren, einem Dorf bei Biberach. Träger ist die Stiftung Heimat geben, hinter der gut 30 Ehrenamtliche, die katholische Kirche, der Landkreis und die Gemeinde Oggelsbeuren-Attenweiler stehen. Treibender Motor ist Pater Alfred Tönnis, der sich schon seit Jahren sozial engagiert. „Wir wollen ein Klima schaffen, in dem echte wertschätzende Willkommenskultur gelebt wird. Gastfreundschaft, Begleitung und der Blick auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge sind uns dabei wichtig“, sagt der jugendlich wirkende 55-jährige Priester des Oblaten-Ordens. „Wir sehen dabei mehr die Inklusion als die Integration, wir sind gemeinsam Lernende.“
Ein Missverständnis wegen eines Sexfilms
Die Brücke zu Cosi fan tutte ergab sich im Frühsommer. Musiker und Schauspieler rund um die Mezzosopranistin und Regisseurin Cornelia Lanz lernten bei einem Probenwochenende in Oggelsbeuren die Syrerinnen und Syrer rund um Pater Alfred kennen. „Es funkte sofort“, erinnert sich die in Biberach geborene Lanz, und es entstand die Idee, die Flüchtlinge in die Opernaufführung zu integrieren. Stimmübungen mussten organisiert, zusätzliche ehrenamtliche Dolmetscher sowie Sponsoren gefunden und manchmal musste auch geschlichtet werden. Einige Männer wollten nicht, dass ihre Frauen bei den Auftritten fotografiert werden, manche Frauen wünschten sich, dass sich ihre Männer von den professionellen Sängerinnen fernhalten.
Einmal habe sie die Arbeit fast abbrechen müssen, erzählt Lanz, nachdem die Männer im Internet unter Cosi fan tutte einen Sexfilm gefunden hatten. Danach lachten sie alle über das Missverständnis. Mittlerweile tourt Lanz mit dem ungewöhnlichen Ensemble unter der Trägerschaft des Stuttgarter Vereins Zuflucht Kultur durch Deutschland. Nach Auftritten in Stuttgart, Biberach, München und Rüsselsheim wird die Oper Ende Dezember in Ulm und Balingen aufgeführt, im Februar in Berlin.
„Wir haben vor Ort viel positive Resonanz bekommen. Mithilfe, Spenden, Ideen und auch Angebote, um Wohnungen zu mieten“, berichtet Pater Alfred. Die Vorschulkinder werden mit Unterstützung ehrenamtlicher Helfer in einem Kindergarten in der Flüchtlingsunterkunft betreut. Viermal am Tag fährt der Bus ins zwölf Kilometer entfernte Biberach, wo die größeren Kinder zur Schule und die Erwachsenen in den Sprachkurs gehen.
Viele wollen arbeiten, wäre da nicht das Sprachproblem
Junge Auszubildende aus dem 500 Einwohner zählenden Dorf bohren und schrauben zusammen mit den Syrern am Wochenende in der Werkstatt des ehemaligen Klosters. Acht syrische Großfamilien, alle UN-Kontingentflüchtlinge, die aufgrund humanitärer Gründe eine deutsche Aufenthaltserlaubnis bekamen, seien mittlerweile aus der Unterkunft ausgezogen und hätten Wohnungen im Landkreis gefunden, berichtet der Pater. 40 neue Flüchtlinge sind dafür Mitte Oktober eingezogen.
Doch es gibt auch noch etliches, wo ihn der Schuh drückt: „Sprachkurse sind ein großes Problem“, sagt er. Benötigt würden zudem arabisch sprechende pensionierte Lehrer für Zusatzunterricht. Die Motivation der meisten Flüchtlinge zu arbeiten, eine Ausbildung zu machen oder ein Studium anzupacken, sei groß. Nur die Sprache stehe dem im Wege. „Sobald diese Hürde genommen ist, gibt es Firmen, die gerne Flüchtlinge nehmen. Da gibt es sehr viel Unterstützung von großen und kleinen Unternehmen“, freut sich Pater Alfred. (Hans-Christoph Neidlein)
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