Bauern auf der Überholspur

Viele südostasiatische Staatsführer, die nach der Kolonialzeit das Ruder übernahmen, waren stolz auf ihre ländliche Herkunft. Präsidenten und Regierungschefs in Afrika hingegen wollten sie lieber vergessen. Das ist eine Erklärung dafür, dass Asien die Armut erfolgreicher bekämpft hat als Afrika.

Keine andere Region des Südens hat im letzten halben Jahrhundert so große wirtschaftliche Erfolge erzielt wie Südostasien. Noch im Jahr 1960 war die dortige Bevölkerung deutlich ärmer als in Afrika; heute ist sie im Durchschnitt zweieinhalbmal reicher. Ganz anders in Afrika: Trotz des starken Wirtschaftswachstums hält sich die Armut hier hartnäckig.

In den südostasiatischen Ländern haben die Regierungen die Armut schnell reduziert, indem sie die richtigen Schwerpunkte gesetzt haben: armutsorientierte ländliche Entwicklung, kluge Wirtschaftspolitik und ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Freiheit, vor allem für die Bauern. Mit öffentlichen Investitionen, etwa in Bewässerung, ländliche Infrastruktur, Beratung, Bildung und Gesundheit, wurden die Produktivität und Rentabilität von Kleinbauern erhöht. In Afrika dagegen haben nur wenige Länder versucht, eine marktwirtschaftliche Politik und die Förderung der Landwirtschaft miteinander zu verbinden.

Autoren

David Henley

Professor für Zeitgenössische Indonesienwissenschaften an der Universität Leiden.

Ahmad Helmy Fuady

Wissenschaftler am Indonesian Institute of Sciences in Jakarta.
Eine weitverbreitete Erklärung für diese Unterschiede lautet, der Erfolg in Südostasien sei von drohenden Bauernaufständen oder Invasionen aus dem Ausland angespornt worden. Das ist ein interessantes und teilweise auch überzeugendes Argument. Als alleinige Erklärung für die Unterschiede in den Entwicklungsstrategien in Südostasien und in Afrika reicht es jedoch nicht.
Eine andere Erklärung verweist auf unterschiedliche Erfahrungen mit Entwicklungsprozessen in den beiden Regionen. Der Ausgangspunkt dabei ist die Beobachtung, dass afrikanische politische Führer ländlicher Herkunft das Leben und die Menschen dort weniger freundlich bewerten als ihre südostasiatischen Amtskollegen.

Haji Mohamed Suharto, Indonesiens Präsident von 1967 bis 1988, schwärmte geradezu von seiner Kindheit. Das „Spielen im Feld, inmitten der Bauern“ habe bei ihm viel Sympathie für das Landleben geweckt; sein Onkel, der als landwirtschaftlicher Berater tätig war, stand ihm als Lehrmeister zur Seite. Suharto hatte großes Vertrauen in die Weisheit der Bauern und ihre Offenheit gegenüber neuen Ideen.

Flucht vor der Plackerei auf dem Land

Olusegun Obasanjo, zweifacher Präsident von Nigeria (1976 bis 1979 und 1999 bis 2007), ist ebenfalls der Sohn eines Farmers. Allerdings klingt in seiner persönlichen Rückschau weniger Nostalgie für die ländlichen Wurzeln durch: Obasanjos Erinnerungen sind geprägt vom eindringlichen Ratschlag seines Vaters, „vor der Plackerei der Bauernwirtschaft in Afrika zu fliehen“.

In den 1960er und 1970er Jahren machte die ländliche Entwicklung Malaysias entscheidende Fortschritte. Treibende Kraft dahinter war der zweite Premierminister des Landes, Tun Abdul Ra­zak, aufgewachsen bei seinen Großeltern, die als Bauern arbeiteten. Razak hatte glückliche Erinnerungen an seine Kindheit auf dem Land. Seine Sorgen um das Wohlergehen der ruralen Gegenden erklärte er in seiner Biografie damit, dass er in seinen frühen Jahren mit den Dorfbewohnern auf den Reisfeldern gearbeitet habe.

Kenias erster Präsident wiederum, Jomo Kenyatta, fasste schon als kleiner Junge den Plan, keinesfalls das Leben eines Bauern zu führen. Stattdessen verließ er das Land und studierte 15 Jahre lang in Europa. Er schrieb eine ethnologische Arbeit über sein Volk, die Kikuyu, die einer seiner Lehrer als „in einigen Passagen vielleicht ein wenig zu stark von der europäischen Sichtweise geprägt“ kritisierte.###Seite2###

In Thailand indes ist der Glaube verbreitet, der Erfolg der Reisernte hänge vom königlichen Segen ab. König Bhumibol Adulyadej, gekrönt 1946, tourte regelmäßig als Held der Kleinbauern durch die ländlichen Gegenden und förderte dort Projekte. 1984 ernannte ihn das thailändische National Identity Office zum  „König der Bauern“.

Der Präsident von Ruanda, Paul Kagame, wiederum, Sohn eines Aristokraten, musste als Kind mit seinem Vater ins Exil nach Uganda flüchten. Ohne Grundbesitz, setzte er vor allem auf Bildung, um den Abstieg in die Armut zu vermeiden. Als Präsident sucht er nun über die Informationstechnologien eine Abkürzung zu Wachstum und Entwicklung und lässt die Landwirtschaft vollständig außer Acht.

Die Biografien dieser Politiker allein darf man nicht überbewerten. In der Summe aber machen sie deutlich, wie unterschiedlich in Afrika und Asien das Verhältnis zwischen dem Leben auf dem Land und der Modernisierung wahrgenommen wird. In Südostasien ist die Einstellung
der städtischen Eliten gegenüber Landwirtschaft und Bauern trotz einer gewissen Überheblichkeit von Nostalgie und Bewunderung gefärbt. In Afrika hingegen scheint die Kluft zwischen Stadt und Land viel tiefer zu sein. Und von der Bewunderung des ländlichen Lebens kann hier nur selten gesprochen werden. 

Die verschiedenen Wahrnehmungen sind der Vergangenheit geschuldet. In Südostasien gibt es eine lange Tradition des indigenen städtischen Lebens; in Afrika hingegen gehen viele der heutigen Großstädte auf die Kolonialzeit zurück. Genau so wurden sie auch über Generationen angesehen: als fremde europäische Enklaven.

Die afrikanischen Eliten sind zu ungeduldig

Das afrikanische Verständnis von Entwicklung ist stark vom Zusammenprall mit den europäischen Wirtschaftssystemen geprägt. Dieser Zusammenprall hat alle Lebensbereiche einer umfassenden Transformation unterzogen; Gesellschaft und Kommunikation, Wissen und Glaube, Kultur – und sogar Ernährungsgewohnheiten: Städtische Eliten wechselten von heimischen Lebensmitteln und Mais zu importiertem Weizen und Reis.

Ein Erbstück dieser Transformationen ist die feste Überzeugung, dass Fortschritt nur durch einen Quantensprung von ländlicher Unterentwicklung zum städtischen, modernen Leben erreicht werden kann. Anders als in Südostasien waren die afrikanischen Eliten zu ungeduldig, um einen strukturellen wirtschaftlichen Wandel auf Grundlage der Agrarwirtschaft einzuleiten. Im Mittelpunkt ihrer Entwicklungsmodelle standen die technische und kulturelle Modernität, wie man sie aus den reichen Ländern kannte. Das führte zu einer elitären Politik, die überwiegend auf Bildung, Industrie und Urbanisierung setzte statt auf die Förderung von Kleinbauern.

Bis heute schrecken Politiker in Afrika davor zurück, in Strategien für ein besseres Leben auf dem Land zu investieren. Das hängt nicht zuletzt mit ihren persönlichen Erfahrungen zusammen. Ein vielversprechender Ansatz ist es deshalb, auf einen Umschwung in der Weltanschauung afrikanischer Eliten hinzuarbeiten. Nur mit erhobenem Zeigefinger die Relevanz von guter Regierungsführung, Demokratie oder gar freiem Handel zu betonen, hat sich als wenig wirksam erwiesen. Sinnvoller ist es, auf den Erfolg von Strategien in anderen Regionen hinzuweisen, die auf Landwirtschaft und die Bekämpfung ländlicher Armut gesetzt haben.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2014: Hoffen auf die Mittelschicht
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