Eine Frage von Leben und Tod

Melinda Gates hat eine neue Mission. Die Multimilliardärin und Philanthropin will ihre Zeit und ihr Geld künftig vorrangig einem Ziel widmen: Millionen Frauen in Entwicklungsländern einen besseren Zugang zu Verhütungsmitteln zu ermöglichen. Dafür hat sich die gläubige Katholikin und Mutter von drei Kindern sogar mit dem Vatikan angelegt. Sie habe sehr mit sich gehadert, sagte sie unlängst in einem Interview. Aber seit ihrem Bekenntnis zur Empfängnisverhütung habe sie unzählige E-Mails von katholischen Frauen erhalten, die sie bestärkt und ermutigt hätten. Religiöse Hardliner hingegen brandmarkten Gates’ Initiative als „himmelschreienden Angriff auf die Moral“.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".


Davon offenbar unbeeindruckt ließ Gates ihren Worten Taten folgen: Mitte Juli trafen sich in London auf Einladung ihrer Stiftung und der britischen Regierung Staatsoberhäupter, Minister, Vertreter der Privatwirtschaft und von nichtstaatlichen Organisationen aus aller Welt. Das Anliegen: die Familienplanung, für viele Frauen in armen Ländern eine Frage von Leben und Tod, politisch und finanziell zu einem Schwerpunkt der Entwicklungshilfe zu machen.

Das war höchste Zeit. Zwar hatten 1994 bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo alle 179 teilnehmenden Staaten einem Aktionsplan zugestimmt, mit dem Aufklärung, Verhütung und eine fachgerechte medizinische Betreuung während Schwangerschaft und Geburt weltweit erreicht werden sollten. Und sie hatten erstmals ein „Recht auf reproduktive Gesundheit“, also die Selbstbestimmung über die eigene Fortpflanzung anerkannt. Doch schon kurz darauf regte sich Widerstand dagegen, vor allem aus islamischen und religiös-konservativen Ländern. Auch die Mittel, die die Industriestaaten damals zugesagt hatten, flossen nicht wie vereinbart.

Das wird dieses Mal hoffentlich anders sein. Auf der Londoner Konferenz zur Familienplanung sagten die Geberländer und die Gates-Stiftung zu, in den kommenden acht Jahren insgesamt 4,6 Milliarden US-Dollar für Verhütungsmittel in armen Ländern bereitzustellen. Mit diesem Betrag, so rechneten die Initiatoren der Konferenz vor, könnten 120 Millionen Frauen im globalen Süden Verhütungsmittel erhalten. Die Zahl ungewollter Schwangerschaften und Abtreibungen sowie die Zahl der Frauen, die sterben, während sie schwanger sind oder ein Kind zur Welt bringen, könne damit deutlich sinken.

Zugleich erneuerten die Rednerinnen und Redner ihr Bekenntnis zum Recht auf reproduktive Gesundheit. Frauen müssten selbst entscheiden können, wann und wie viele Kinder sie bekommen möchten, betonten sie übereinstimmend. Dies sei eine Grundvoraussetzung, um Armut wirkungsvoll zu bekämpfen. Schön, das in solcher Deutlichkeit zu hören – zumal von einflussreichen konservativen Männern wie dem britischen Premierminister David Cameron.

Familienplanung ist keine von den Gebern aufgezwungene Priorität

Die aktive Beteiligung von Politikerinnen und Politikern aus Entwicklungs- und Schwellenländern zeigt, dass Familienplanung keine von den Gebern aufgezwungene Priorität ist. Mehr als 20 Länder des Südens verpflichteten sich, ihre Programme in diesem Bereich deutlich auszuweiten – Indien will etwa bis 2020 einen universellen Zugang zu Verhütungsmitteln schaffen, Senegal plant eine Kampagne, die religiöse und politische Führer einbezieht. Deren Mitwirkung ist unabdingbar, denn traditionelle und religiöse Wertvorstellungen verhindern in vielen armen Ländern, dass Frauen ihre reproduktiven Rechte wahrnehmen können. Sie können nur von den Gemeinschaften selbst verändert werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Männer, die ihren Frauen häufig die Benutzung von Verhütungsmitteln verbieten.

Diese Einstellungen zu ändern wird mit Sicherheit der schwierigste Abschnitt werden auf dem Weg, den die Gebergemeinschaft und die Bill & Melinda-Gates-Stiftung eingeschlagen haben. Und sie werden ihn wohl wenig beeinflussen können. Aber sie können dafür sorgen, dass Frauen die Pille, eine Drei-Monatsspritze, eine Spirale oder Kondome umsonst oder zu einem günstigen Preis bekommen, wenn sie nicht schwanger werden wollen. Sie können dafür sorgen, dass Verhütungsmittel entwickelt werden, die weniger starke Nebenwirkungen und eine längere Wirkung haben. Sie können dafür sorgen, dass Frauen darüber aufgeklärt werden, wie die Mittel wirken und wie sie anzuwenden sind.

Die Versprechen, die in London gegeben wurden, müssen natürlich erst einmal eingelöst werden. Und niemand kann leugnen, dass das eine große Aufgabe ist, die weit mehr erfordert als Geld. Aber ein Anfang ist gemacht.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2012: Auf der Flucht
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