Schaufelbagger der Moderne

Im Westen und Südwesten des Landes hat die äthiopische Regierung riesige Landflächen an in- und ausländische Investoren verpachtet. Für die dort ansässige Bevölkerung ändert sich das Leben dramatisch. Alles beim Alten zu belassen ist aber keine Alternative.

Äthiopiens Wirtschaft muss wachsen. Geht es um Investitionen und Industrie oder Bildung, ist das unstrittig. Geht es um Landwirtschaft, sprechen Kritiker schnell von „land grabbing“, Vertreibung oder gar Genozid. Besonders heftig ist die Kritik, wenn Investoren aus dem Ausland Nahrungsmittel für den Export produzieren.

Klar, Äthiopien braucht Nahrungsmittel für den Eigenbedarf. Es braucht aber auch Devisen. Und es braucht ausländische Investoren in der Landwirtschaft, weil das Kapital und Know-how im Inland nicht ausreichen. Sowohl in- als auch ausländischen Investoren mangelt es zuweilen an Fachkenntnissen mit der Folge, dass die Regierung Lizenzen immer wieder entzieht. Das ist möglich, weil das Land nicht verkauft, sondern nur verpachtet wird.

Autor

Helmut Falkenstörfer

ist Theologe und Journalist. Von 1974 bis 1977 hat er in Äthiopien gelebt und gearbeitet. Zuletzt war er im vergangenen Februar in dem Land.
Das Investitionsprogramm in der Landwirtschaft Äthiopiens läuft seit knapp zwanzig Jahren. Inzwischen umfasst es etwa vier Millionen Hektar, das ist eine Fläche zweimal so groß wie Hessen. Etwa die Hälfte ist bereits an 9000 äthiopische und ausländische Investoren vergeben. Im dicht besiedelten Hochland liegt nur ein kleiner Teil davon, darunter etwa fünfzig Blumenfarmen, die auf relativ wenig Land sehr viele Arbeitsplätze schaffen. Die größte ist die holländische Firma Sher im Rift Valley, ein Mitglied von Fair Trade, mit 13.000 Arbeitsplätzen auf 400 Hektar.

Der weitaus größte Teil des Investitionsprogramms entfällt auf Flächen, in denen Regenfeldbau betrieben wird, vor allem an der Grenze zum Sudan im Westen des Landes. Dort siedeln ethnisch eher zum Sudan zählende Völker, die eine Mischung von nomadischer Viehzucht, Landwirtschaft und zum Teil Fischerei betreiben. Das Land reicht für alle, und nach anfänglichen Konflikten ist man dabei, Lösungen zu finden: Die Gates-Stiftung unterstützt die Regierung dabei, Daten über die Landnutzung zu erheben, um herauszufinden, wo Leasing ohne Konflikte möglich ist.

Am schwierigsten ist es im Tal des unteren Omo-Flusses. 200 Kilometer längs des Ufers liegt eine Fläche von 100.000 Hektar, auf der an die 100.000 Menschen leben – Viehzüchter vor allem, die die Ufer brauchen, um ihre Tiere zu tränken und nach den natürlichen Überflutungen jedes Jahr im Restschlamm Landwirtschaft zu betreiben. Zugleich ist der Omo eine der größten Ressourcen Äthiopiens. Mit einem Gefälle von an die 2000 Metern vom Hochland bis zum Turkana-See hat er ein riesiges Potenzial an Wasserkraft.

An seinen Ufern gibt es große Landflächen, die die Regierung für bewässerte Landwirtschaft nutzen will, vor allem für den Anbau von Zuckerrohr. Sechs Zuckerfabriken sind geplant oder im Bau; am Ende sollen 250.000 Arbeitsplätze entstehen.

Ein Blick am Ort: Oben am Steilufer des Omo liegt das Dorf der Karo. Unten sieht man die 20.000 Hektar der neuen türkischen Baumwollfarm. Vor einem Jahr war die Stimmung der Menschen gedrückt. Die Regierung werde sie umsiedeln; wohin, war unklar. Jetzt wurde eine Lösung für das knapp 3000 Menschen umfassende Volk gefunden. Die Baumwollfarm wird jeder Familie zwei gepflügte und bewässerte Hektar zur landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung stellen.

Nicht überall ist man schon zu so glücklichen Lösungen gekommen. Aber es gibt Ansätze. Die Wohngebiete der knapp 10.000 Mursi und der etwa 6000 Bodi haben bisher bis zum Omo-Fluss gereicht. Da die Bodi weiter oben am Fluss wohnen, waren sie zuerst betroffen von der Anlage der neuen Plantagen. Die Regierung und das von ihr betriebene Zuckerkombinat sind zunächst auf äthiopische Weise vorgegangen. Das heißt, am grünen Tisch in Addis Abeba gefasste Beschlüsse wurden am Ort notfalls mit Gewalt durchgesetzt.###Seite2###

Unter anderem wurden Menschen in Zentraldörfer umgesiedelt. Die Bodi wehrten sich dagegen, teilweise bewaffnet. Aber auch wichtige Entwicklungshilfegeber wie Deutschland, Frankreich, England und die USA äußerten Bedenken. Sogar einige Investoren haben auf Teile ihrer Landrechte verzichtet, um Spannungen zu vermeiden. Inzwischen hat sich die Regierung in Addis Abeba mit den Bodi mehr oder weniger geeinigt. Sie erhalten gepflügtes und bewässertes Land zur selbstständigen Nutzung und auf Wunsch gut bezahlte Jobs im Zuckerkombinat.

Viele werden dem Geld aus guten Jobs und bewässertem Ackerland nicht abgeneigt sein. Auch die Umsiedlung aus wandernden Kleindörfern in Dörfer mit mehreren Tausend Menschen hat Vorteile. Die Regierung kann Wasserstellen, Schulen, Kliniken und Verkehrsmittel bieten. Trotzdem ist es ein Kulturbruch, und die Mursi verlangen, dass sie den Wandel freiwillig vollziehen können.

Nicht betroffen ist das Volk der Konso mit seinen als Weltkulturerbe anerkannten Wehrdörfern und seiner alten Terrassenlandwirtschaft. Für die Konso, die sich auf überbevölkertem Land drängen und je nach Wetter immer wieder auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, sind die Arbeitsplätze des Zuckerkombinats eine Chance. Aber ausgerechnet der König von Konso sagt, von der ganzen Kultur werde am Ende nur sein Haus übrig bleiben, eine einzigartige Burg aus Lehm und Holz. Modernisierung ist eine allgegenwärtige Kraft, wirksam mit oder ohne Großfarmen. Anders gesagt: Sehr spezifische Kulturen überleben nur in der Isolation oder museal im Reservat.

„Die Regierung tut alles, um Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung zu vermeiden“, sagt der ständig im Lande herumreisende deutsche Landwirtschaftsberater Helmut Spohn. Aber er sagt auch: „Ganz freiwillig sind die Dinge nie.“ Schließlich will die Regierung das Investitionsprogramm durchführen. Entscheidend ist, was Mulugeta Gebrehiwot, der Chef des Institute for Peace and Security an der Universität in Addis Abeba, die „pulling strategy“ nennt: Brunnen, Schulen, Kliniken, Verkehrsverbindungen und im Extremfall vielleicht sogar Strom machen die neue Zeit schmackhaft. Und das Wichtigste: bewässertes Land. Das macht die Menschen unabhängig von Nahrungsmittelhilfe und wo Überschüsse produziert werden, trägt es zur Nahrungsmittelversorgung des Landes bei.

Natürlich ist die Wirklichkeit konfliktträchtiger als die gute Absicht. Häufig werden all die guten Dinge nicht rechtzeitig oder nicht in ausreichender Qualität bereitgestellt. Das liegt an Geldmangel, an organisatorischen Schwierigkeiten und auch daran, dass das Regierungspersonal auf der unteren Ebene nicht immer die wünschenswerte Qualität hat. Pikant ist, dass die Geberländer sich bisher an der Gestaltung des Investitionsprogramms, etwa mit technischer Hilfe, kaum beteiligt haben, weil sie den Protest der internationalen Öffentlichkeit fürchten.

Doch das beginnt sich zu ändern. Entwicklungsminister Gerd Müller will in Afrika zehn Agrarzentren einrichten, das erste davon in Äthiopien. Hier soll die Landwirtschaft vom Kleinbauern bis zur Großfarm in Fragen von Technik und Mechanisierung unterstützt werden. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit betreibt außerdem ein Programm zur Schaffung eines Landnutzungsplans als Grundlage des Investitionsprogramms. Und deutsche Investoren planen zusammen mit dem Entwicklungsministerium eine Innovationsfarm von circa 5000 Hektar.

Äthiopien braucht konstruktive Kritik und Mitarbeit bei der Lösung der gigantischen Aufgaben, vor denen das Land steht. Die ansässige Bevölkerung muss an der Produktion und ihren Früchten beteiligt werden. Man kann und sollte sie aber nicht unter Denkmalschutz stellen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2014: Lobbyarbeit: Für den Nächsten und sich selbst
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