Menschenrechte: Quo vadis Schweiz?

(12.06.2014) In der Schweiz sind in den letzten Jahren mehrere umstrittene Volksinitiativen angenommen worden, welche die Europäische Menschenrechtskonvention in Frage stellen. Rechte Kreise fordern, dass das nationale Recht in jedem Fall über dem Völkerrecht stehen soll. Eine Studie zeigt nun: Die Schweiz müsste in diesem Fall aus dem Europarat austreten.

Für den Direktor des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR), Walter Kälin, ist klar: Die Schweiz muss sich entscheiden. Entweder halte sie sich an die Europäische Menschenrechtskonvention und akzeptiere Urteile des Gerichtshofes für Menschenrechte. Oder sie kündige die Konvention und trete aus dem Europarat aus, um in gewissen Bereichen nicht mehr an die Vorgaben aus Straßburg gebunden zu sein.

Verfassungsrechtler Kälin hat in der kürzlich veröffentlichten Studie untersucht, welche Folgen das für die Schweiz hätte. Auftraggeber war der Verein „Menschenrechte schützen“,  der von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen wird – unter ihnen die Flüchtlingshilfe und die Schweizer Sektion von Amnesty International.

Im Zweifel für die Menschenrechte

Kälin geht davon aus, dass der Europarat – zu dem der Ministerkomitee, der Gerichtshof und die Parlamentarische Versammlung gehören – scharf reagieren würde, falls die Schweiz im Konfliktfall dem nationalen Recht den Vorzug geben sollte. Zwar rechnet Kälin nicht  damit, dass die Schweiz sofort ausgeschlossen würde. Möglich sei aber, dass Straßburg den Druck erhöhe. Keine Chance gibt Kälin der Idee, die Konvention zu kündigen und ihr mit einem Vorbehalt wieder beizutreten. Ein solches Vorgehen würde gegen das Prinzip von Treu und Glauben verstoßen. Auch erlaubt der Wortlaut der Konvention keine entsprechenden Vorbehalte.

Bislang hat sich der Gerichtshof in Straßburg noch nicht mit umstrittenen Schweizer Verfassungsbestimmungen beschäftigt, etwa der 2010 vom Volk angenommenen Ausschaffungsinitiative. Diese sieht vor, dass kriminelle Ausländer „automatisch“  des Landes verwiesen werden, ohne dass die Verhältnismäßigkeit der Abschiebung geprüft wird. Das Schweizer Bundesgericht hat jedoch in einem Grundsatzurteil bereits klar gemacht, dass es sich in jedem Fall an die Vorgaben aus Straßburg zu halten gedenke, und somit im Einzelfall die Verhältnismäßigkeit prüfen werde. Die rechtskonservative SVP denkt laut über eine Volksinitiative nach, um den Vorzug des nationalen Rechts direktdemokratisch durchzusetzen. (tp)

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