Es herrscht hoher Betrieb in der privaten Fruchtbarkeitsklinik in der südiranischen Stadt Schiras. Die Mitarbeiterin am Empfang hat Mühe, die Patientinnen unterzubringen. Auf einem Kaminsims steht eine gerahmte Fatwa von Ajatollah Ali Chamenei, die Samen- und Eizellspenden religiös rechtfertigt. Offenbar soll sie den Frauen versichern, dass der Oberste Führer des Irans ihr Vorhaben billigt.
Viele haben eine weite Reise auf sich genommen. Im Wartezimmer tauschen sie Geschichten aus über Behandlungen, Medikamente und ihre Anstrengungen, ein Kind zu empfangen. „Vor fünf Jahren konnte ich mir das noch nicht leisten, aber ich habe bis jetzt gespart und bin bereit, es zu versuchen“, sagt eine von ihnen.
Autorin
Azadeh Moaveni
ist freie Journalistin in London. Ihr Beitrag ist im Original bei „Foreign Policy“ (www.foreign-policy.org) erschienen.Die Einrichtungen stellen das traditionelle Verständnis von Elternschaft und Ehe infrage und tragen dazu bei, Tabus im Hinblick auf sexuelle Gesundheit abzubauen. Die konservativen Nachbarn des Iran reagierten bestürzt. „Die Ärzte am Golf sind entsetzt darüber, dass die Iraner dies zugelassen haben“, erklärt Soraya Tremayne, Professorin an der britischen Oxford-Universität. „Sie sagen, dass sie das bei sich niemals zulassen würden.“
Bei Generationen von Iranern hat Unfruchtbarkeit Seelen und Ehen zerstört. Daran erinnern Filme wie „Leila“ von Dariush Mehrjui, in dem eine hinterhältige Mutter ihren Sohn nötigt, sich eine Zweitfrau zu nehmen, als seine erste Frau nicht schwanger wird. Die erste Frau stimmt dem Plan zu, doch die Ehe geht kaputt. Am Ende hat der Mann zwar ein Kind, ist aber einsam. Der Film kam wenige Jahre vor Chameneis Fatwa von 1999 heraus und fand großen Anklang bei vielen iranischen Frauen und Männern, deren Ehe kinderlos war.
Die Unfruchtbarkeitsrate ist im Iran sehr hoch
Wie in anderen Ländern des Nahen Ostens ist die Unfruchtbarkeitsrate im Iran sehr hoch. Laut einer Studie einer der führenden Fertilitätskliniken des Landes können mehr als 20 Prozent der iranischen Paare keine Kinder bekommen; weltweit sind es acht bis zwölf Prozent. Die Ursache dafür sind nach Einschätzung von Experten die häufigen Ehen unter Blutsverwandten. Männliche Unfruchtbarkeit sei „das verborgene Drama des Nahen Ostens“, sagt Marcia Inhorn, medizinische Anthropologin an der Yale-Universität.
Ein Ehepaar – vor allem die Frau – steht nach wie vor unter hohem Druck, Kinder zu bekommen. „Wir leben in einer orientalischen Gesellschaft, und Kinder zu haben, ist in unserer Kultur weiterhin von großer Bedeutung“, erklärt die Ärztin Sara Fallahi, die in einer der drei Kinderwunschkliniken in Schiras arbeitet. „Selbst die Generation, die später heiratet und kleinere Familien möchte, will meist unbedingt mindestens ein Kind“, weiß die Medizinerin aus vielen Gesprächen.
Die erste iranische Klinik für die sogenannte In-vitro-Fertilisation (IVF), die Befruchtung im Reagenzglas, wurde vor mehr als 20 Jahren in Yazd, einer Wüstenstadt im Zentraliran, eröffnet. Sie erlebte sofort einen großen Andrang. Mitte der 2000er Jahre war sie so populär, dass die Warteschlangen bis vor die Tür reichten. Paare, die aus ländlichen Gegenden angereist waren, lagerten draußen in der Hoffnung, einen Termin zu bekommen. Später öffneten weitere Kliniken in Teheran und im ganzen Land.
Die IVF wurde schnell auch in anderen Teilen des Nahen Ostens akzeptiert. Die Ärzte mussten sich jedoch an religiöse Regeln halten, die weitergehende Formen der Fruchtbarkeitsbehandlung verbieten. Bei der klassischen IVF wird ein Ei in einem Labor mit Spermien befruchtet und der Embryo anschließend in die Gebärmutter eingesetzt. Dabei müssen sowohl das Ei als auch das Sperma lebensfähig sein. Ist das nicht der Fall, wird eine Eizellspenderin oder ein Samenspender benötigt. Im Islam ist die ethische Beurteilung einer solchen Behandlung unklar: Am Anfang hatten viele Patienten Sorge, sie würden Ehebruch begehen oder die Kinder, die aus solchen Verbindungen hervorgehen, wären unehelich.###Seite2###
Die Ärzte im Iran bemühten sich deshalb um eine religiöse Lösung und suchten die Unterstützung von islamischen Rechtsgelehrten. Entscheidend für deren Hilfe war die schiitische Tradition, islamisches Recht neu zu interpretieren. In der sunnitischen Rechtswissenschaft stehen dagegen der Konsens der Gelehrten und die wörtliche Auslegung des Korans im Mittelpunkt, weshalb es dort nur wenige neue Rechtsurteile zu modernen Fragen gibt. Und auch wenn die schiitischen Geistlichen im Iran auf die westliche Welt reaktionär wirken mögen, sind sie geradezu revolutionär, wenn es um die Bioethik geht. In den vergangenen Jahren haben sie Fatwas erlassen, die alles erlauben, von der Stammzellenforschung bis hin zum Klonen.
Allerdings erforderten ihre religiösen Erlasse einige theologische Verrenkungen. Die vorgeschlagene zeitlich begrenzte Ehe zwischen einer Eispenderin und dem fruchtbaren männlichen Partner erwies sich als zu kompliziert, da eine verheiratete Spenderin eine Scheidung und Wiederverheiratung nach der anderen mitmachen muss. Einige Geistliche, die mit Chameneis Fatwa nicht einverstanden sind, befürworten immer noch die Ehe auf Zeit, um jegliche Form von Ehebruch zu vermeiden.
Das ist einfacher für Männer, die eine zeitweilige Ehe mit einer Ei-Spenderin eingehen können, ohne sich von ihrer unfruchtbaren Ehefrau scheiden zu lassen. Damit eine fruchtbare Ehefrau Sperma von einem Spender empfangen kann, muss sie sich zunächst von ihrem Mann scheiden lassen und die vorgeschriebenen drei Monate warten, bevor sie den Samenspender ehelicht. Von diesem muss sie sich dann ebenfalls scheiden lassen und wieder ihren ursprünglichen Ehemann heiraten.
Der politische Grundstein für Fruchtbarkeitsbehandlungen im Iran wurde Anfang der 1990er Jahre gelegt, als die Regierung mit einer Reihe von Maßnahmen traditionsbewusste Iraner behutsam dazu brachte, weniger Kinder zu bekommen. Dabei sprachen die Behörden laut Soraya Tremayne von der Universität Oxford nicht von „Reduzierung“ oder „Kontrolle“ sondern von einer „Familienregulierung“.
1999 erlaubte Chamenei mit seiner Fatwa Samen- und Eizellspenden
Sie betonten, dass diese Politik nicht nur zu kleineren Familien führen, sondern auch unfruchtbaren Paaren die Möglichkeit geben sollte, eine Familie zu gründen. Der Plan ging auf – die Traditionalisten unterstützten die Politik zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums, und die Zahl der iranischen Zentren für Reproduktionsmedizin wuchs.
Indem die Regierung unter anderem für Verhütung und Sterilisationen bei Männern warb und das Kindergeld nach dem zweiten Kind strich, gelang es ihr, das Bevölkerungswachstum von 3,8 Prozent im Jahr 1986 auf 1,5 Prozent im Jahr 1996 zu senken. Dabei schoss sie ein wenig über das Ziel hinaus: Heute bekommen Iranerinnen im Durchschnitt weniger als die 2,1 Kinder, die nötig wären, um die gegenwärtige Bevölkerungszahl zu sichern.
1999 verkündete Chamenei seine bahnbrechende Fatwa, die Samen- und Eizellspenden erlaubte. „Sowohl die Eispenderin als auch die unfruchtbare Mutter muss sich an die religiösen Gesetze bezüglich der Elternschaft halten“, verfügte der Ajatollah und legte dar, unter welchen Bedingungen diese Spenden vor Gott zulässig sind. Durch Chameneis Erlass hatte die Islamische Republik auf höchster Ebene klar gemacht, dass der Staat die Bemühungen der Iraner, Kinder zu bekommen, mit allen Mitteln unterstützt.
Die Zeit ist vorbei, in der man über Unfruchtbarkeit mit gedämpfter Stimme sprach. Im staatlichen Fernsehen sprechen Frauen offen über künstliche Befruchtung, in Internetforen empfehlen Paare Spezialisten und tauschen Geschichten aus, und Ärzte drängen mittlerweile bei den Versicherungen auf eine Übernahme der Behandlungskosten. Und da der Staat selbst Kliniken betreibt, sind die Kosten für die Behandlung niedriger als fast überall sonst auf der Welt: Eine Befruchtung im Reagenzglas kostet einschließlich der Medikamente laut Fallahi nur 1500 US-Dollar.###Seite3###
Chameneis Fatwa bedeutete eine Revolution für schiitische Muslime weltweit und ebnete den Weg für viele Fruchtbarkeitskliniken im Libanon mit seinem beträchtlichen schiitischen Bevölkerungsanteil. Laut der Anthropologin Marcia Inhorn folgen auch manche Sunniten dem schiitischen Rechtsurteil.
Unfruchtbare Paare aus der arabischen Welt suchen Kliniken in Teheran auf, die arabische Dolmetscher haben. In sunnitischen Ländern wie Ägypten, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten wird die klassische IVF weithin praktiziert, doch es gibt keine Behandlungsmöglichkeiten für Männer und Frauen, die auf die Spende eines Dritten angewiesen sind, um ein Kind zu zeugen.
Die Ärztin Sara Fallahi erzählt, dass in ihrer Klinik in Schiras besorgte Patienten oft fragen, ob die Religion eine solche Behandlung erlaubt: „Sie möchten sicher sein, dass das, was sie tun, nicht haram ist“, also nicht vom islamischen Recht verboten. 2003 legalisierte das Parlament die Embryonenspende und verschaffte damit dem religiösen Rechtsgutachten des Obersten Führers eine juristische Grundlage.
Allerdings weist Fallahi darauf hin, dass Chameneis Edikt die Meinung eines Marja, einer „Quelle der Nachahmung“, ist und nicht alle Ajatollahs so denken. „Wir sagen den Leuten, dass das Parlament das genehmigt hat, aber sie müssen bei dem Marja, dem sie folgen, nachfragen, ob er die Erlaubnis gibt.
In dieser Frage scheint die Regierung der Gesellschaft voraus zu sein
Bei der Fruchtbarkeitsbehandlung scheint die iranische Regierung der Gesellschaft in gewisser Weise voraus zu sein. Zwar hat der Gesetzgeber die Embryonenspende gebilligt, Chameneis Fatwa aber bei der Samenspende widersprochen, und das Verfahren 2003 verboten. Die Samenspende wird deshalb heimlich vorgenommen und Kliniken, die sie anbieten, droht eine strafrechtliche Verfolgung. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz der künstlichen Befruchtung ist nicht besonders ausgeprägt. Die Wissenschaftlerin Sara Bamdad aus Schiras hat bei einer Untersuchung festgestellt, dass nur 34 Prozent der Befragten Eizellspenden befürworten.
„Der Gesetzgeber sollte an die Zukunft denken und daran, was mit diesen Kindern passiert, wenn sie älter sind“, sagt sie. „Wenn eine Gesellschaft nicht akzeptieren kann, dass ein Kind mithilfe der Fortpflanzungsmedizin zur Welt gekommen ist, dann wird es künftig sehr viele Probleme geben.“
Das Rechtssystem des Iran muss sich noch auf die Folgen von künstlichen Befruchtungen mit Spenden durch einen Dritten einstellen. Nach dem islamischen Familienrecht fallen Babys, die mithilfe einer Sperma- oder Eizellspende geboren werden, unter die rechtliche Kategorie der adoptierten Kinder, die von nicht leiblichen Eltern kein Eigentum erben dürfen. Paare müssen daher andere Wege finden, um Geld für ihre Kinder zurückzulegen. Unklar sind auch die Rechte und Pflichten der leiblichen Eltern, deren Identität zwar vertraulich bleiben sollte, in der Praxis aber doch manchmal enthüllt wird.
Trotz mancher Unklarheiten kann die Revolution des „Baby-Machens“ möglicherweise kulturelle Tabus in anderen Bereichen der sexuellen Gesundheit behutsam beseitigen. Beispielsweise hat die Avicenna Infertility Clinic in Teheran, die renommierteste Kinderwunschklinik des Landes, kürzlich eine Abteilung eingerichtet, in der sexuelle Funktionsstörungen und Geschlechtskrankheiten behandelt werden. Außerdem kann das Gespräch über den Körper sowie seine biologischen Funktionen und Schwächen iranischen Männern und Frauen schrittweise helfen, gemeinsam die Verantwortung für das zu tragen, was den Frauen über Jahrhunderte als tiefe Schande angelastet wurde.
Die Fortpflanzung mit Hilfe moderner Techniken hat einen Prozess in Gang gesetzt, der das Verständnis von Ehe und Unfruchtbarkeit, von der Elternschaft, ja sogar von der Familie in der Islamischen Republik verändern könnte. Noch ringt der Iran damit, dass die sich wandelnden Werte der Bevölkerung und die Lehren des Islam aufeinanderprallen.
Der Erfolg bei der Fruchtbarkeitsbehandlung deutet aber darauf hin, dass es doch möglich sein könnte, diese gegenläufigen Interessen miteinander zu vereinbaren. Ob das im sunnitischen Nahen Osten Anklang findet, ist aber fraglich. „Der Iran prescht mit dem Einsatz dieser Technologien in allen ihren Formen vor“, sagt Tremayne. Er begebe sich damit auf einen Weg, „auf dem die sunnitischen Länder in der Region nicht folgen können.“
Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner.
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