Kambodscha: Streit um Angkor Wat

Im kambodschanischen Dschungel arbeiten Restauratoren aus aller Welt an den jahrhundertealten Tempel­anlagen von Angkor. Jeder macht, was er für richtig hält – fast ohne Abstimmung. Manchmal kitten die einen den Schaden, den andere anrichten.

Das Acrylharz der Inder hat Hans Leisen ein ganzes Jahr gekostet – und 60.000 Euro. Noch bevor der Geologe von der Fachhochschule Köln mit seiner Arbeit am Tempel Angkor Wat beginnen konnte, mussten er und seine kambodschanischen Kollegen die Restaurrierung von indischen Wissenschaftlern rückgängig machen. Die hatten mit giftigen Bioziden gearbeitet, Zement und Acrylharz in die Fugen gefüllt, die die Zeit in den Tempel der Khmer-Könige gefressen hatte. Das Kunstharz ist zwar widerstandsfähig, hat aber den vom Regen beschädigten Steinreliefs noch mehr zugesetzt.

Autorin

Denise Peikert

ist freie Journalistin in Frankfurt am Main.
Das passiert öfter im kambodschanischen Dschungel: Die internationale Zusammenarbeit zerbröselt unter dem Ehrgeiz von Ingenieuren, Architekten und Konservatoren wie der jahrhundertealte Sandstein. 1992 ernannte die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) Angkor zum Weltkulturerbe und gründete das International Coordinating Committee for the Safeguarding and Development of the Historic Site of Angkor (ICC), um die internationale Hilfe zu organisieren.

Ein Jahr später erklärte sie den Erhalt der Tempel bei einer Geberkonferenz zu einem offiziellen Teil der Entwicklungshilfe. Seitdem arbeiten Experten aus mehr als acht Nationen an den Tempeln. Und alle haben ihre eigene Idee davon, wie die Monumente vor der Zeit und den Touristen zu schützen sind: Die Italiener gießen Zement in die Fugen, die Inder reißen Bäume von den Steinen und die Deutschen injizieren Sandsteinmasse in die Fassaden.

Angkor Wat ist der größte Sakralbau der Welt und einer von etwa 1000 erhaltenen Tempeln von Angkor, dem Zentrum des ehemaligen Königreichs Kambuja. Die Holzhütten, in denen die Menschen um das zehnte Jahrhundert herum hier lebten, sind längst verrottet. Mit Steinen bauten sie nur für die Götter. In jede Wand schlugen die königlichen Bildhauer Reliefs, überall gibt es Steinfiguren – aber keinerlei Absperrungen zu ihrem Schutz.

Das lose Seil vor den steinernen Apsara-Tänzerinnen an der Westseite von Angkor Wat etwa hält niemanden ab: Ein Affe im Relief glänzt blank, so oft wurde er schon angefasst. In den Galerien sucht eine Gruppe Touristen Schutz vor der Morgensonne. Ihr Führer spießt mit der Spitze seines Schirms in den Stein, als er erklärt, was zu sehen ist.

Die Deutschen haben Vishnu geheilt

Im vergangenen Jahr kamen rund drei Millionen Touristen nach Kambodscha, fast zwei Millionen davon besuchten Angkor. Phim Soy zählt zu den 7000 offiziell lizenzierten Führern. Er deutet auf eine vierarmige Vishnu-Statue, das Abbild eines der wichtigsten Götter im Hinduismus. Zwei der Arme, erzählt Soy, waren schon einmal abgefallen. Sie sind wieder angesetzt worden. „Die Deutschen haben die Medizin“, sagt er.

Der Geologe Hans Leisen ist der mit der Medizin. Er leitet das German Apsara Conservation Project (GACP), das unter anderem vom Auswärtigen Amt finanziert wird, und kümmert sich um beschädigte Reliefs und Figuren in der Tempelanlage von Angkor Wat. Rund 3,2 Millionen Euro sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes bislang dafür ausgegeben worden, im vergangenen Jahr waren es 150.000 Euro.

Neben den Touristen ist der Regen Leisens größter Feind: Jahrhundertelang rann der Monsun durch das Gestein und höhlte viele der Reliefs von innen aus. Leisen klopft an ein Steingesicht, das noch ganz passabel aussieht. Es hallt. „Wir nennen das Schalenbildung“, sagt Leisen. Sein Job ist es, den Hohlraum hinter der unversehrt scheinenden Fassade mit Sandsteinmasse aufzufüllen. So soll verhindert werden, dass das Gesicht irgendwann abfällt. Leisen hat dafür einen an Angkor Wat angepassten Sandsteinkleber entwickelt: die „Medizin“, die auch die zwei Arme des Gottes Vishnu wieder geheilt hat.###Seite2###

Hans Leisen arbeitet seit 1997 am Tempel Angkor Wat. „Es ist richtig sexy geworden, hier zu arbeiten“, sagt er und erzählt von einem Besuch des Bayon-Tempels, der nur wenige Mopedminuten entfernt liegt. Er klopfte die Reliefs ab, bis ein Japaner vor ihm stand. „Sie wissen, dass dieser Tempel uns gehört“, habe er zur Begrüßung gesagt. Der Japaner sei Architekt gewesen und deshalb der Meinung, die Bayon-Statuen seien allein mit dem Wissen um ihre Statik wieder aufzubauen.

Leisen ist Professor für Geologie und Mineralogie und ihm ist solch bauliche Brachialgewalt fremd. Bevor der Deutsche in Angkor etwas tut, zerschneidet er in seinem Labor in Köln Proben der Tempelsteine in so kleine Scheiben, dass er sie unter dem Mikroskop analysieren kann. Außer ihm macht das in Angkor keiner. Leisen hält sein Vorgehen für richtig – doch das ist eine Frage der Perspektive. 

Hauptsache, das Relief hält

Warum sollte man die Sandsteinblöcke, die vor dem Haupteingang zu Angkor Wat zu einer Art Reling in Schlangenform aneinandergereiht worden sind, nicht mit Zement in den Fugen erneut zusammenkleben? „Hält doch und sieht aus wie vorher“, sagen die Inder, die dafür verantwortlich sind. „Ist aber nicht original, und der Zement ist viel heller und härter als der Sandstein“, sagt ein Mitarbeiter des deutschen Teams. Richtig ist beides.

Richtig ist auch, dass Kambodschas ehemaliger König Norodom Sihanouk 1985 zuerst indische Experten um Hilfe bat, als die Tempel von Angkor mehr und mehr zu verfallen drohten. Die Inder kennen das Klima, sie haben ähnliche Sakralbauten in ihrem Land, sie sind näher an der Mentalität der Menschen. Warum sollten sie es schlechter wissen als westliche Wissenschaftler? Die Frage bleibt offen, weil die Akteure kaum miteinander reden. Bis heute gilt in Kambodscha das Prinzip: „One country, one temple.“

Das zeigt sich auch am Ta Prohm-Tempel, drei Kilometer Luftlinie von Angkor Wat entfernt. Seit die Ruinen 2001 als Kulisse für den Film „Lara Croft: Tomb Raider“ mit Hollywoodstar Angelina Jolie dienten, ist das von Bäumen bewachsene Bauwerk im Dschungel weltberühmt. Im Sandsteinportal am Eingang fehlen mehr Steine, als noch aufeinander liegen. Die Fassade hängt schief. Daraus wächst in großen Schwüngen eine Würgefeige. Sie thront über dem Mauerwerk, als wüsste sie, was nicht zu übersehen ist: Ihre Wurzeln sind stärker. Irgendwann wird der Baum gewinnen.

Das war schon abzusehen, als Wissenschaftler des französischen Instituts zur Erforschung der südostasiatischen Geschichte (EFEO) Anfang des 20. Jahrhunderts begannen, sich um Ta Prohm zu kümmern. Die Restauratoren und Architekten beschlossen, den Tempel zu lassen, wie er ist, um seinen halb verfallenen Charme zu bewahren. Sie sicherten lediglich die am meisten gefährdeten Mauern vor dem Einsturz.

Heute herrscht ein Gewirr roter Gerüststangen im Inneren von Ta Prohm, ein Bagger schiebt Steine zusammen. Das Kommando hat inzwischen die indische Denkmalschutzbehörde, die Franzosen engagieren sich seit Anfang der 1990er Jahre am Angkor Thom- und am Baphuon-Tempel.###Seite3###

Die indischen Wissenschaftler haben den Tempel in Bauabschnitte eingeteilt, sie sind gekommen, um zu errichten. Der Abschnitt am südöstlichen Tempelflügel ist schon fertig: Von 2007 bis 2010 haben die Arbeiter hier erst alle Steine abgetragen und dann wieder so zusammengesetzt, wie sie früher mutmaßlich aufeinander standen. So soll es nach Ansicht der indischen Projektmanager weitergehen.

Überall am Ta Prohm schichten Arbeiter Blöcke um, bearbeiten Steinmetze die Quader. Die Idee: Was einmal neu gebaut ist, muss nicht mehr aufwendig erhalten werden. Neben dem neuen Ta-Prohm-Südflügel steht ein Schild mit der Aufschrift „conservation“. So nennen die Inder ihre Art des Wiederaufbaus – Hans Leisen dagegen hält das für eine „große Katastrophe“.

Geduld ist die oberste Tugend des Denkmalpflegers

Sophos Luy ist ganz seiner Ansicht. Der Kambodschaner organisiert die Arbeiten des deutsch-kambodschanischen Teams am Angkor Wat. „Wir restaurieren nicht, wir konservieren“, sagt er. Das, was die Inder am Ta Prohm machen, sei keine Konservierung. Es sollte nur darum gehen, zu erhalten, was da ist, sagt Luy. Den Unterschied hat er von seinem Chef Hans Leisen gelernt.

Mit Zahnbürsten und Pinseln statt mit Baggern und Schaufeln bearbeiten Luy und die rund 15 anderen Kambodschaner den Tempel. 37 Jahre hat der Bau von Angkor Wat einst gedauert – die Arbeiten zu seinem Erhalt werden nach der deutschen Philosophie der dauernden Denkmalpflege nie beendet sein.

Luy steht auf einem Gerüst, das die Wissenschaftler um einen der Angkor-Wat-Türme gezogen haben. Gerade hat er eine Fläche von 150 Quadratzentimetern mit einer Spezialmasse bestrichen. Die zieht das Salz aus dem Stein, das vom vielen Regen der Jahrhunderte übrig geblieben ist und der Substanz zusetzt. Vier Stunden muss die Masse einwirken, dann machen sich die Arbeiter an den nächsten Abschnitt der Fassade. Schneller gehe es nicht, sagt Luy. Nur so sei sicher, dass keine winzige Ritze des Reliefs vergessen wird.

Das gröbste Gerät des Teams ist eine Maschine mit drei bleistiftdicken Bohrern. Damit bohrt Leisen drei kleine Löcher in den Stein. Mit dem sogenannten Bohrwiderstandstest prüft er, wie hohl die Reliefs im Inneren sind und wie weit die Verwitterung schon fortgeschritten ist. Durch die Löcher leitet sein Team dann Wasser in den Stein, um dessen Aufnahmefähigkeit zu testen – je mehr durchläuft, desto poröser ist das Gestein. Das dauert allein für ein armbreites Stück einen ganzen Tag.

Die Deutschen bekommen für ihre ausdauernde Arbeit am Angkor Wat international viel Anerkennung. Trotzdem streiten sich die Fachleute, ob Tempel nicht besser kurz vor ihrem Verfall abgerissen und dann für die Nachwelt neu aufgebaut werden sollten. Seit 1964 definiert die Charta von Venedig die internationalen Standards der Denkmalpflege. Für Angkor existiert sogar ein eigenes Regelwerk, das für alle Restauratoren bindend ist.

Es legt etwa fest, dass zur Restauration nur Materialien verwendet werden dürfen, die an die Originalsteine angepasst sind. Wer sich nicht an die Regeln hält, hat aber nicht viel zu befürchten: Beschwerden verlieren sich im Durcheinander zwischen kambodschanischen Behörden und der UNESCO.

Eigentlich soll die kambodschanische Denkmalbehörde Apsara die Arbeiten in Angkor koordinieren. Aber deren Mitarbeitern fehlt das nötige Fachwissen. Deshalb kümmert sich das von der UNESCO eingesetzte Komitee für die Konservierung und Entwicklung von Angkor Wat ICC um die Koordination.

Zweimal im Jahr gibt es hier Planungstreffen. Mit dabei sind auch die in Angkor tätigen Projektleiter. Leisen kritisiert, dass das ICC von Architekten und Ingenieuren geführt wird, Konservierungsspezialisten aber in der Unterzahl sind. Für den Kölner Professor steht der Erhalt immer vor dem Wiederaufbau. „Wir brauchen das Original“, sagt Leisen. Abgefallene Arme des Gottes Vishnu wieder ankleben sei in Ordnung. Aber Vishnu vom Sockel reißen und neu formen? „Ein absoluter Betrug.“

Bis 2020 will die kambodschanische Regierung pro Jahr sieben Millionen Touristen ins Land holen. Ob sie dann in Angkor erhaltene, eingefallene oder wieder aufgebaute Tempel sehen werden, ist gleich im doppelten Sinne eine Ansichtssache.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2014: Durchlass hier, Mauer dort
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