Auf der Terrasse des Wild Jordan Café in Amman lässt es sich aushalten. Von hier aus hat man einen Blick auf die unzähligen Hügel der jordanischen Hauptstadt, auf die historische Zitadelle und die Verkehrsstaus in den engen Straßen. Das Café der Royal Society for the Conservation of Nature liegt dort, wo die Luft besser wird und Amman sein westliches Gesicht zeigt. Es gibt verschiedene Sorten Latte Macchiato und Bio-Essen zu Preisen auf deutschem Niveau. Hier trifft sich die Umweltszene von Amman, die lange Zeit für eher beschauliche Wohltätigkeitsarbeit bekannt war.
Doch jetzt haben junge Aktivisten die Szene mit modernen Formen des politischen Protests aufgerüttelt, die bis dahin in Jordanien kaum bekannt waren. Anlass für ihren Unmut ist der geplante Bau eines Atomkraftwerks unweit der dicht besiedelten Hauptstadtregion mit ihren rund drei Millionen Einwohnern. König Abdullah II. will, dass sein Land in die Atomtechnologie einsteigt. Das hatte er zwar schon 2007 verkündet, doch so richtig in der Öffentlichkeit angekommen ist die Entscheidung erst 2011, im Jahr der arabischen Aufstände und der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Nach dem Willen von Abdullah und der Jordan Atomic Commission (JAEC) soll die Kernenergie im Jahr 2020 ein Drittel des nationalen Strombedarfs decken, insgesamt sind vier Meiler geplant. Das erste Kernkraftwerk sollte zunächst in der Nähe der Hafenstadt Akaba am Roten Meer entstehen, doch seismische Studien befanden das Gebiet für ungeeignet. Nun wird der Reaktor in Mafrak, nur rund 40 Kilometer nordöstlich von Amman, geplant. Er soll bereits im Jahr 2019 ans Netz gehen.
Autorin
Claudia Mende
ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.deDas königliche Nuklearprogramm hat nicht nur die Umweltschützer auf den Plan gerufen, es hat auch eine ungewöhnlich kritische Debatte in den englisch- und arabischsprachigen Medien des Landes ausgelöst. Auch in regierungsnahen Zeitungen wie der „Jordan Times“ kommen Kritiker offen zu Wort. Im Parlament, das allerdings kaum politischen Einfluss besitzt, ist das Programm umstritten. 64 Abgeordnete, mehr als ein Drittel der 120 Parlamentarier, haben in einem offenen Brief gegen das Atomkraftwerk Stellung bezogen.
Unter den Umweltaktivisten sind junge Leute wie die 25-jährige Safaa al-Jayoussi, westlich orientiert und gut ausgebildet. Ganz entspannt berichtet sie im Wild Jordan Café von ihrem ökologischen Engagement.„Dass nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima bei uns ein Atomkraftwerk gebaut werden soll, hat mich schockiert“, sagt Safaa, die hauptberuflich bei einer nichtstaatlichen Organisation für ökologisches Bauen, Jordan Green Building Council, arbeitet. Sie hat eine Greenpeace-Gruppe im hashemitischen Königreich gegründet, die erste in einem arabischen Land außerhalb des Libanon.
Aber Greenpeace ist nicht die einzige neue Gruppe von Aktivisten. In der Stadt Mafrak ist Irhamouna (deutsch: Erbarmen mit uns), eine lose Koalition von Atomkraftgegnern, Anwälten, Geologen und Vertretern des Stammes der Beni Hassan, entstanden. Seit Mai 2011 machen Greenpeace und Irhamouna zusammen immer wieder mit Sit-ins vor dem Energieministerium, mit Protestbannern an zentralen Plätzen in Amman und Info-Veranstaltungen auf ihr Anliegen aufmerksam. Die Aktivisten legten sich in weißen Schutzanzügen und gelben Fässern vor das Ministerium, um auf die Gefahren von radioaktivem Müll hinzuweisen.
„Wir wollen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass Solarenergie für Jordanien eine echte Alternative ist“, sagt Safaa al-Jayoussi. Allerdings legt sie großen Wert darauf, dass sich ihre Kritik nicht gegen den König persönlich richtet – obwohl sich Abdullah mehrfach öffentlich für die Nutzung der zivilen Atomenergie ausgesprochen hat. Direkte Kritik am Königshaus ist nach wie vor eine rote Linie. Wer sie überschreitet, muss mit Sanktionen rechnen.
Zur Energieversorgung ist das Land bisher fast vollständig von Importen abhängig
Auch Munqeth Mehyar von „Friends of the Earth Middle East“ kritisiert, das Regime verfolge die Option erneuerbare Energien nicht ernsthaft. „Solarenergie ist die einzige Lösung für Jordanien“, betont Mehyar. Im Gegensatz zu Greenpeace organisieren die „Freunde der Erde“ keinen Protest auf der Straße, sondern versuchen über politische Lobbyarbeit Einfluss zu nehmen. Mehyar hofft, die Entscheidung noch beeinflussen zu können.„Ich glaube nicht, dass dieser Meiler jemals ans Netz gehen wird“, sagt er. Die Bevölkerung von Mafrak werde ein Atomkraftwerk in ihrer Umgebung nicht akzeptieren. Doch bis jetzt ist jeder Kontakt mit dem Energieministerium gescheitert. Es reagiere einfach nicht auf Protestbriefe, beklagt der Umweltschützer.
Inzwischen führt die Regierung ihre Pläne weiter. Ende März wollte die Jordan Atomic Energy Commission (JAEC) bekannt geben, welche Firma den Zuschlag für Bau und Betrieb eines 1000-Watt Leichtwasserreaktors der dritten Generation erhalten soll. Drei Konsortien stehen in der engeren Wahl. Neben dem kanadischen Unternehmen Atomic Energy of Canada Limited kämpfen Atomstroy Export aus Russland und ein japanisch-französisches Konsortium aus Areva und Mitsubishi HeavyIndustries um den milliardenschweren Auftrag.
Jordanien ist im Gegensatz zu seinen ölreichen Nachbarn ein ressourcenarmes Land. Das Land besitzt keine Erdölvorräte, leidet unter Wassermangel und hängt am Tropf ausländischer Hilfe vor allem aus den USA und Saudi-Arabien. Zur Energieversorgung ist es fast vollständig von Importen abhängig, die rund 20 Prozent des Staatshaushalts verschlingen (die Öl-Importeure sind staatlich) und es politisch verletzlich machen. Erdöl aus Saudi-Arabien und dem Irak sowie ägyptisches Erdgas decken den Energiebedarf zu über 90 Prozent. Die JAEC begründet die Notwendigkeit eines eigenen Atomprogramms mit dem wachsenden Energiebedarf, steigenden Preise für Öl und Gas sowie neuen Uranfunden im Land, die man zur Eigenversorgung und zum Export nutzen wolle.
Mit 3,9 Milliarden US-Dollar hat Jordanien 2008 mehr als drei Mal so viel für Energieimporte ausgegeben wie 2001. Im vergangenen Jahr wurden die vier Milliarden wohl überschritten. Dazu kommt die unsichere politische Lage. Seit dem Sturz Hosni Mubaraks im Februar 2011 gab es mehrere Anschläge auf die Gaspipeline aus Ägypten; die Zufuhr von Erdgas wurde jeweils unterbrochen und die Preise stiegen. Für die Förderung des Urans besteht seit 2010 ein Vertrag mit dem französischen Areva-Konzern.„Wir haben nur begrenzte Optionen“, behauptet Professor Kamal Araj, stellvertretender Vorsitzender der JAEC, in einer Präsentation für die Internationale Atomenergieagentur IAEA.
Erneuerbare Energien hingegen sollen nach den Plänen der Regierung bis zum Ende des Jahrzehnts nur zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs liefern. Das Ziel ist wenig ambitioniert, und die Projekte kommen nicht recht voran. Windparks sollen 2020 rund 600 Megawatt Strom generieren; 30 Prozent der privaten Haushalte sollen ihr Warmwasser aus Solaranlagen beziehen. Ein erster Windpark mit einer Leistung von 90 Megawatt wird laut Plan 2014 in Fujeij zwischen Kerak und Maan eröffnet. Die Windkraftanlage in Kamsheh sollte schon vor Jahren in Betrieb gehen, das scheiterte aber nach Angaben der „Jordan Times“ an Streitigkeiten zwischen dem Energieministerium und der Betreiberfirma. Bei diesem Tempo ist das Ziel bis 2020 kaum zu schaffen. Das Thema Energieeffizienz wird völlig verschlafen, obwohl die arabische Welt zusammen mit Sub-Sahara Afrika als die Region mit der weltweit geringsten Energieeffizienz gilt.
Die jordanische Elite hat sich dem Nuklearprogramm verschrieben und ist nicht bereit, diese Entscheidung zu hinterfragen. Abweichende Meinungen werden toleriert, aber nicht wirklich ernst genommen. Prinzessin Basmaa Bint Ali, eine jüngere Schwester des verstorbenen König Hussein, war die prominenteste Figur auf der „Humane Energy Conference“in Amman, bei der sich im November Umweltschützer und Atomkritiker trafen. Wesentlich bekannter ist Prinz Hassan Ibn Talal, der Onkel des jetzigen Monarchen, der sich international für erneuerbare Energien einsetzt. Aber er gehört nicht zum engeren Kreis der Entscheidungsträger und bekleidet kein offizielles Amt. Bis 2007 war Prinz Hassan Präsident des Club of Rome und gilt als eine treibende Kraft hinter der Gründung der Desertec-Initiative.
Die Anti-Atombewegung zeigt, wie sehr sich die jordanische Gesellschaft verändert
Nicht nur die ökologischen Folgen des geplanten Kernkraftwerkes sind zweifelhaft, auch die Finanzierung ist noch völlig unklar. Das Land will sich mit 30 Prozent beteiligen, während der Investor 70 Prozent der Kosten mit Krediten finanzieren soll. Khaled Toukan, früher Energieminister, jetzt Vorsitzender der JAEC, rechnet mit insgesamt rund fünf Milliarden Dollar, seine Kritiker im Parlament gehen von der doppelten Summe aus.
Jordanien ist aber jetzt schon mit 56 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts hoch verschuldet und hat sich selbst eine Schuldenbremse bei 60 Prozent auferlegt. Laufen die Kosten für das AKW aus dem Ruder, dann könnte diese rote Linie fallen. Für Kritiker wie den Umweltaktivisten Basil Burgan von der Organisation „Friends of the Environment“ ist klar:„Wenn wir von den Folgen für die Umwelt, für die Gesundheit der Menschen und den Kosten des Projekts ausgehen, macht es einfach keinen Sinn.“
Die politischen Umstürze im Nahen Osten haben auch das gesellschaftliche Klima in Jordanien verändert. Der König hat darauf bisher nur mit marginalen Veränderungen reagiert, läßt aber kritischen Stimmen mehr Freiraum. Regelmäßig fordern Demonstranten relativ unbehelligt in der Innenstadt von Amman mehr Bürgerrechte. Auch in Jordanien bilden eine Arbeitslosenquote von um die 30 Prozent, ein Mangel an Zukunftschancen für junge, oft gut ausgebildete Menschen sowie steigende Preise für Mieten und Benzin eine explosive Mischung. Korruption und Selbstbereicherung der politischen Klasse sind weit verbreitet und werden anders als noch vor ein paar Jahren heute offen angesprochen.
An der keimenden Anti-Atombewegung lässt sich ablesen, wie sehr sich die jordanische Gesellschaft verändert. Im Protest gegen ein zweifelhaftes Großprojekt äußert sich ein Verlangen nach mehr Mitbestimmung, das sich nicht mehr einfach abwürgen läßt. Wenn die Regierung das Nuklearprogramm ohne Konsens in der Bevölkerung weiter durchzieht, und danach sieht es momentan aus, wird das den Unmut weiter anheizen. Kontroverse Debatten über wichtige Zukunftsfragen und ein neues Engagement für das Gemeinwesen vor allem bei jungen Menschen zeigen, dass der arabische Frühling auch in Jordanien angekommen ist.
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