Um Bürgerkriege in Afrika zu beenden, ist es nicht mehr üblich, dass die Konfliktparteien sich zusammensetzen und einen Kompromiss aushandeln. Sondern sie konkurrieren stattdessen um die Gunst der USA, Frankreichs und Großbritanniens, der sogenannten P3, die ständige Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sind. Die tun ihr Bestes, um die Ergebnisse aller Krisen zu bestimmen. Dabei verfolgen sie vorgeblich Prinzipien wie Demokratie und Schutz der Zivilbevölkerung, verlässlicher aber ihre eigenen politischen Interessen. Einige afrikanische Politiker treten dafür ein, dass jedes betroffene Land über eine eigene politische Lösung befindet, die auf alle einschließenden Verhandlungen beruht. Doch dieses Konzept stößt auf starke Widerstände – unter anderem weil die Öffentlichkeit in den Ländern Afrikas oft den Wünschen des Westens folgt, denn sie weiß, wer die Macht hat und die Hilfsgelder verteilt.
In den vergangenen zwölf Monaten haben sich so Frankreich und die NATO über afrikanische Initiativen zur Beilegung der Konflikte in der Côte d’Ivoire und in Libyen hinweggesetzt und ihre Ziele dort mit militärischen Mitteln durchgesetzt. Auch die Vorschläge der Afrikanischen Union (AU), wie der Darfur-Konflikt im Sudan mit einem Dialog zu lösen wäre, haben die P3-Staaten ignoriert zugunsten einer Strategie, die Debatten unter Sudanesen auf ein Anhängsel der Verhandlungen zwischen der Regierung des Sudan und den Mächtigen aus dem Westen reduziert hat. Und in Somalia haben sich Afrikaner mit dem Westen auf ein Vorgehen geeinigt, das die Sicherheitspolitik in den Mittelpunkt stellt und eine politische Lösung zu einem zweitrangigen Anliegen macht.
Autor
Alex de Waal
ist geschäftsführender Direktor der World Peace Foundation und Forschungsprofessor an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University (USA).In Bezug auf Libyen sind die wohlmeinenden Imperialisten in Paris, Brüssel, New York und Washington guter Dinge. Die Luftwaffe der NATO war in Sirte ebenso das stärkere Argument wie die französischen Spezialeinheiten in Abidjan. Vermutlich haben sie in beiden Fällen einige Gräueltaten verhindert. Doch ging es bei diesen Interventionen nicht in erster Linie um Menschenrechte, sondern um Machtpolitik. Dem „Bruder Oberst“ Muammar al-Gaddafi werden in Afrika keine Tränen nachgeweint, doch die Art, wie er gestürzt wurde, hat den Kontinent gespalten und demoralisiert.
Die drei afrikanischen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats– Gabun, Nigeria und Südafrika – haben für die Resolution zum Eingreifen in Libyen gestimmt, weil die mit Nachdruck auf die afrikanischen Bemühungen um eine politische Lösung Bezug nahm und den Schutz der Zivilbevölkerung zum Ziel hatte. Die AU stellte daraufhin ein Gremium aus Staatschefs zusammen, das den Übergang zu einer alle Bevölkerungsgruppen repräsentierenden Regierung unterstützen und dazu beitragen sollte, schädliche Auswirkungen auf die Sicherheit in der ganzen Region zu verringern. Während nämlich Europa und die arabische Welt Libyen als eine problematische Version von Tunesien ansahen, fürchteten die Afrikaner eher, dass es wie der Tschad werden und von Söldnern ausgefochtene Stammesfehden sich über die Grenzen ausbreiten könnten. Niger und Tschad, die südlichen Nachbarn Libyens, hatten besonders Sorge, dass Rebellengruppen mit Waffen aus den umfangreichen Depots im libyschen Teil der Sahara zurückkehren und Chaos verbreiten würden.
Die Mitglieder der AU-Kommission sollten am 20. März in Tripolis ankommen und mit ihren Vermittlungsbemühungen beginnen – einen Tag, nachdem die NATO ihre Flugverbotszone eingerichtet hatte. Doch sie durften nicht einreisen, und bald weitete die NATO ihr Mandat von der Schutzverantwortung für Zivilisten (responsibility to protect) auf den Sturz der Regierung Gaddafi aus. Sie kam damit diesmal durch, und das Ergebnis ist vielleicht tatsächlich besser, als es mit Verhandlungen möglich gewesen wäre. Doch die Staaten Afrikas werden sich künftig sehr viel genauer überlegen, ob sie solche Mandate des UN-Sicherheitsrates unterstützen.
An der Elfenbeinküste liegen die Probleme ähnlich. Der neue Präsident Alassane Ouattara genießt in ganz Afrika großes Vertrauen und man hofft, dass es ihm gelingt, das Land zu einen und wieder aufzubauen. Doch wurde ein weiteres Mal ein UN-Mandat auf eine militärische Intervention ausgeweitet und eine afrikanische Initiative übergangen.
Es gehörte – anders als in der Regel – in Côte d’Ivoire seit 2004 zum Mandat der UN-Operation UNOCI, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl zu überprüfen und zu bestätigen. Der UN-Sonderbeauftragte für die Elfenbeinküste, Young-jin Choi, griff der Entscheidung der ivorischen Gerichten über die zahlreichen Wahlbeschwerden vor und erklärte, nachdem die Wahlkommission eine Mehrheit für Ouattara bekanntgegeben hatte, diesen zum Wahlsieger. Eine afrikanische Mission unter Vorsitz des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki fand jedoch, dass die beiden Kandidaten etwa gleich viele Stimmen bekommen hatten und keiner von ihnen ohne die Unterstützung des anderen und seiner Anhänger würde regieren können. Mbeki schlug vor, dass die Rivalen eine Machtteilung aushandeln sollten. Sein Bericht an den Vorsitzenden der AU wurde jedoch nie veröffentlicht. Es bestehen kaum Zweifel, dass Frankreich Druck auf seine afrikanischen Freunde ausübte, diesen Empfehlungen nicht zu folgen.
Zur französischen Strategie in Côte d’Ivoire gehört die freundschaftliche Beziehung zum Killer und Putschisten Blaise Compaoré, dem Präsidenten des Nachbarlandes Burkina Faso. Dessen Söldner haben weite Bereiche Westafrikas zwanzig Jahre lang destabilisiert. In jeder Phase des Dramas in Côte d’Ivoire gab Frankreich die Richtung vor, was von Gbagbos Fehlentscheidungen erleichtert wurde. Frankreichs Afrikapolitik mag sich im Lauf des vergangenen Jahrzehnts gewandelt haben, doch die altmodische Realpolitik bleibt eine Konstante. Da der Erfolg eine Intervention rechtfertigt, scheint es sinnvoll, mit Ganoven zu paktieren und es mit dem Recht nicht allzu genau zu nehmen. Doch nach UNOCI wird wohl kein Land, in dem UN-Friedensgruppen stationiert werden, noch einmal zulassen, dass sie sich über die nationalen Institutionen hinwegsetzen und entscheiden, wer Präsident wird.
In Somalia, auf der gegenüberliegenden Seite des Kontinents, hat die AU, unterstützt von den UN und den P3-Staaten, die Führungsrolle bei den Versuchen, den Konflikt beizulegen. Nach dem Debakel in Mogadischu 1993 sind die UN nicht mehr bereit, eigene Friedenstruppen ins Land zu schicken. Deshalb gibt es in Bezug auf Somalia keine Konkurrenz um die militärische oder politische Führung, und das Bündnis zwischen den afrikanischen Ländern und dem Ausland wird vermutlich stabil bleiben.
Seit einem Jahrzehnt gibt das, was als afrikanische und internationale Politik gegenüber Somalia gilt, der Sicherheit Vorrang vor der Politik. Die Mission der afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) und nationale Truppen aus Äthiopien und Kenia führen im Land Kampfeinsätze durch und amerikanische und europäische Drohnen und Kriegsschiffe greifen aus der Luft und vom Meer ein. Das ist eine ausgewachsene militärische Intervention, die offen politische Ziele hat. Der Krieg der AMISOM gegen die Islamisten fordert Tote auf beiden Seiten und der Erfolg bleibt ungewiss. Die Übergangsregierung Somalias ist von der Koalition eingesetzt worden und könnte sich ohne die Unterstützung aus dem Ausland nicht halten.
Wie kann eine tragfähige politische Lösung für Somalia erreicht werden? Die Koalition der AU und des Westens strebt an, dass ein militärischer Sieg über die Islamisten die Voraussetzung für Verhandlungen innerhalb Somalias schafft, aus denen dann eine neue nationale Regierung hervorgeht. Dabei würden die gemäßigten Islamisten mit ins Boot genommen und Machtbefugnisse an die Provinzen abgegeben, wo Arrangements zur Schaffung von öffentlicher Ordnung nachweislich funktionieren. Doch damit das gelingt, müssen sich die Mitglieder der Koalition zunächst darüber verständigen, wann ein Sieg erreicht wäre: Äthiopien ist nicht bereit, irgendeine Einmischung Eritreas in Somalia zu dulden, und die USA werden ihre Angriffe auf mutmaßliche al-Qaida-Unterstützer kaum aufgeben wollen. Zudem müsste die Übergangsregierung darauf verzichten, sämtliche Staatseinkünfte an sich zu reißen– also ihren Hang zur Korruption einschränken.
Nach einem anderen Szenario wird die Koalition der Auseinandersetzung müde und beginnt Verhandlungsweg über ihren Rückzug. Die dritte, wahrscheinlichste und vielversprechendste Möglichkeit wäre, dass die Somalier selbst auf lokaler und regionaler Ebene zahlreiche einzelne Vereinbarungen schließen, auf die Außenstehende nicht viel Einfluss nehmen, und so die Bedingungen dafür schaffen, dass die Koalition einen Erfolg ausruft und die tatsächlich funktionierenden Ansätze unterstützt. Das setzt allerdings voraus, dass die Afrikaner, besonders die Äthiopier, die Führung übernehmen, die politische Lage in Somalia richtig einschätzen und erkennen, wann ein ausreichendes Maß an Sicherheit erreicht ist.
Mit ihrer Strategie für Darfur hat die AU eine spezifisch afrikanische Art entwickelt, einen komplexen Konflikt anzugehen. 2009 übernahm das Hochrangige Team der AU zu Darfur (AUPD) ein Mandat, Empfehlungen darüber auszuarbeiten, wie man am besten mit den Fragen nach Frieden, Gerechtigkeit, Versöhnung und der Zukunft Darfurs im Sudan umgehen sollte. Das AUPD berief in ganz Darfur eine große Zahl von Gemeindeversammlungen ein und diskutierte vierzig Tage mit Bewohnern– Regierungsbeamten, Rebellen, Vertretern der Zivilgesellschaft, Stammesführern und anderen – über ihre Probleme. Es empfahl Verhandlungen, in die alle Konfliktbeteiligten sich einbringen und sämtliche Probleme im Zusammenhang erörtern könnten. Wenn die Bewohner Darfurs in zentralen politischen Fragen einen Konsens finden könnten, dann sollte über alle besonders strittigen Probleme – etwa ob man mit dem Internationalen Strafgerichtshof kooperieren sollte, der einen Haftbefehl gegen Präsident Umar al-Baschir erlassen hatte – diesem Konsens entsprechend entschieden werden.
Solche Verhandlungen würden bedeuten, eine demokratische oder zumindest eine alle einschließende Souveränität zu beanspruchen. Das ist der Kern einer neuen afrikanischen Vorgehensweise: Man strebt eine politische Einigung an, von der niemand ausgeschlossen bleibt. Das bedeutet nicht, dass die AU Frieden für wichtiger hält als Gerechtigkeit, sondern eher dass beides eine umfassende politische Verständigung voraussetzt. Dabei kann es notwendig sein, Personen und Gruppierungen einzubeziehen, die schwere Verstöße gegen die Menschenrechte begangen haben. Aber die Erfahrung zeigt, dass auch UN-Interventionen zum Schutz der Bevölkerung mit solchen Leuten umgehen – sie geben das nur nicht zu.
Die Empfehlungen des AUPD für Darfur wurden nicht umgesetzt. Der gemeinsame Unterhändler der AU und der UN, Djibril Bassolé – ein ehemaliger Minister aus Burkina Faso – vertrat eine andere Linie, den Ansatz von oben nach unten: Mit Unterstützung von Katar (wo die Friedensgespräche stattfanden), der UN und der P3-Staaten entwarfen Experten ohne Beteiligung der Basis ein Dokument, das als Plan zur Krisenbewältigung dienen sollte. Dieses im Juni 2010 unterzeichnete Doha-Dokument ist eher ein Aufgabenkatalog als ein Friedensvertrag. Es verpflichtet die sudanesische Regierung zu einer Reihe von Maßnahmen, deren Durchführung im Prinzip überprüft werden kann. Die Vertreter des Westens pferchten eine Anzahl Vertreter aus Darfur zusammen und bewogen sie, das „Liberation and Justice Movement“(JLM) zu gründen – eine neue Rebellengruppe, die sich in den Verhandlungen statt auf dem Schlachtfeld konstitutierte und das Doha-Dokument unterzeichnete. Keiner der historischen Führer der Rebellion in Darfur hat sich an den Friedensgesprächen beteiligt, und es gab zwar Foren für Gespräche mit der Zivilgesellschaft, aber das ist weit entfernt von den breit angelegten Verhandlungen, die das AUPD vorgesehen hatte. Trotzdem sind viele in Darfur von Doha begeistert, weil Unterstützung und Geld aus Katar und dem Westen damit verknüpft sind und sie sich nach Frieden und Normalität sehnen.
Den Fällen Libyen, Côte d‘Ivoire, Somalia und Darfur ist gemeinsam, dass die echten Verhandlungen über eine politische Lösung nicht zwischen den feindlichen Parteien im Land geführt wurden, sondern zwischen westlichen Mächten und einzelnen regionalen und nationalen Führern. Das sind keine Gespräche zwischen Gleichgestellten, sondern es wird um den Zugang zu internationaler Anerkennung und Finanzhilfe geschachert. Manche afrikanische Politiker werden bevorzugt, andere dagegen übergangen oder ganz ausgeschlossen. Die Afrikaner begreifen genau, dass jede nationale Vereinbarung für die P3-Staaten USA, Frankreich und Großbritannien akzeptabel sein muss. Deshalb überrascht es nicht, dass sie ihre eigene Innenpolitik abwerten, afrikanische Vermittlungsversuche ignorieren und sich stattdessen um die Gunst westlicher Diplomaten bemühen.
Interventionen des Westens sind populär – zum Teil wegen ihrer Feuerkraft und zum Teil, weil sie sich auf Demokratie und Menschenrechte berufen. Aus sehr guten Gründen sehnen die Afrikaner die praktische Umsetzung dieser Prinzipien herbei. Doch die Gefahr ist, dass Demokratie und gute Regierungsführung als Importware deklariert werden statt als etwas, das man im eigenen Land zustande gebracht hat. Die harte Arbeit an einem langfristigen nationalen Konsens wird vernachlässigt zugunsten eines politischen Schönheitswettbewerbs, um die P3-Staaten zu beeindrucken. Doch die neuen afrikanischen Methoden, Frieden und Sicherheit zu fördern, haben eine Erfolgschance verdient.
Aus dem Englischen von Anna Latz.
Der Text wurde zuerst auf dem Online-Portal „opendemocracy.net“ veröffentlicht.
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