Zum Wohl von Mensch und Natur

Ohne Arbeit können Menschen nicht leben. Mit ihrer Hilfe werden Naturprodukte so umgewandelt, dass sie menschliche Bedürfnisse befriedigen. Wie lässt sie sich sozial und umweltfreundlich organisieren – wie können wir zukunftsfähig arbeiten?

Unser modernes Arbeitskonzept – das der kapitalistischen Lohnerwerbsarbeit – ist aus mindestens drei Gründen nicht zukunftsfähig. Zum einen ist es nicht lebensfreundlich. Arbeitsplätze werden nicht zum Wohle der Arbeitenden gestaltet, sondern sind darauf ausgerichtet, einen Beitrag zu einem möglichst profitträchtigen Produkt zu leisten. Je mehr pro Arbeitsstunde hergestellt wird, desto besser ist die Produktivität. Und desto weniger Arbeitskräfte werden gebraucht. Daher verlieren immer wieder Menschen ihren Job. Gleichzeitig steigt für viele Beschäftigte der Druck, ihre tägliche Arbeitszeit zu verlängern.

Autorin

Adelheid Biesecker

ist emeritierte Professorin für ökonomische Theorie an der Universität Bremen. Im Netzwerk „Vorsorgendes Wirt­schaften“ erarbeitet sie Konzepte für zukunfts­fähiges Arbeiten und Wirtschaften.

Beides – Arbeitslosigkeit und verlängerte Arbeitszeiten – widerspricht den Bedürfnissen und Interessen der Arbeitenden. Die Arbeitslosen werden aus der Gesellschaft ausgegrenzt, den Überarbeiteten wird Lebenszeit genommen. Beides ist nicht lebensfreundlich. Hinzu kommt: Löhne und Gehälter werden aus der Profitperspektive nur als Kosten verstanden, die gesenkt werden müssen. Für die Arbeitenden ist ihr Verdienst jedoch Lebensmittel und muss hoch genug sein, um ein gutes Leben führen zu können. Der Lohn ist daher ständig umkämpft.

Zum anderen ist das gegenwärtige Konzept nicht naturgemäß. Die Natur wird durch diese Form der Arbeit nicht gepflegt und erhalten, sondern sie wird maßlos und sorglos ausgenutzt, sie liefert Rohstoffe und nimmt Abfall auf. Sie gilt als nicht zugehörig zur Ökonomie, als extern, aber allzeit verfügbar. Die Arbeitsprozesse können ohne Natur – ohne Rohstoffe, ohne Energie – nicht funktionieren. Die Steigerung der Arbeitskraft braucht sogar immer mehr davon. Doch für ihren Erhalt wird nicht vorgesorgt. Vorsorge würde bedeuten, sich quantitativ und qualitativ, zeitlich und räumlich auf die Naturprozesse einzustellen: nur so viel Holz zu schlagen, wie nachwachsen kann, nur so viel Kohlendioxid auszustoßen, dass das Klima nicht bedroht ist. Man müsste die Prozesse zum Maß nehmen, in denen sich die Natur erholt. Aber das widerspricht der Profitlogik. Profit ist maßlos, kennt nur ein „Immer Mehr“. Das wirkt auf die Natur zerstörerisch. Ökologische Krisen sind programmiert.

Drittens ist unser Konzept von Arbeit nicht geschlechtergerecht. Denn nur die bezahlte Erwerbsarbeit wird als Arbeit anerkannt, andere gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten dagegen nicht. Sie werden in der Regel nicht oder schlecht vergütet. Dabei handelt es sich vor allem um Arbeiten im Haushalt, in der Familie und Nachbarschaft, in der Subsistenzproduktion oder im Zusammenhang mit der Pflege der Natur. Zum größten Teil werden sie auch heute noch von Frauen verrichtet.

Ohne diese Tätigkeiten ist Erwerbsarbeit unmöglich. Sie sorgen für den Erhalt der Lebens- und Arbeitsfähigkeit, für neues Leben, für das Aufwachsen der Kinder, für die Versorgung alter Menschen. Die Erwerbsarbeit produziert Waren für den Markt, die reproduktive Arbeit schafft Lebensmöglichkeiten. Doch nur was am Markt geschieht, wird bewertet, ist öffentlich, sichtbar, produktiv. Es steht über dem, was außerhalb des Marktes geschieht, dem Privaten, Unsichtbaren, Reproduktiven, Wertlosen. Die Altenpflege zeigt, dass solche Sorgeprozesse selbst dann abgewertet werden, wenn sie in den Markt integriert sind: Die – in der Mehrzahl weiblichen – Beschäftigten werden schlecht bezahlt und arbeiten unter hohen psychischen und körperlichen Belastungen. Die Ökonomie kümmert sich – wie bei der Natur – nicht um den Erhalt der reproduktiven Fähigkeiten. Das hat zerstörerische Folgen: Sie zeigen sich in Kinder- und Altersarmut oder im Pflegenotstand. Auch hier produziert das gegenwärtige Wirtschaftssystem immer neue Krisen.

Für eine zukunftsfähige Gesellschaft ist ein neues Verständnis von Arbeit nötig. Es darf nicht auf der Perspektive des Marktes beruhen, sondern muss aus der Perspektive der sozialen Lebenswelt und der Regenerationsprozesse der Natur entwickelt werden. Dieser Perspektivenwechsel macht endgültig deutlich, dass die Unterscheidung in „produktiv“ und „reproduktiv“ unsinnig ist, geschuldet nur dem gängigen engen Wirtschafts- und Arbeitsverständnis. Gerade die ehemals reproduktiven Prozesse und Fähigkeiten müssen mit ihrer Produktivität in den Mittelpunkt des neuen Arbeitskonzepts gerückt werden. Dieses Konzept integriert die vielfältigen Arbeitsformen jenseits des Marktes mit Erwerbsarbeit und gestaltet dieses neue „Ganze der Arbeit“ lebensfreundlich, naturgemäß und geschlechtergerecht.

Wie kann das erreicht werden? Wo und wie lässt sich mit einer solchen Transformation beginnen? Vier Ansatzpunkte sind wichtig: Zum einen muss die Erwerbsarbeitszeit radikal verkürzt werden. Es gibt so viel zu tun – wir können uns die langen Erwerbsarbeitszeiten nicht mehr leisten. Sorge für junge, alte und kranke Menschen, Vorsorge für künftige Generationen durch einen neuen Umgang mit der Natur, um ihre Produktivität langfristig zu erhalten – all das braucht viel Zeit. Zweitens muss die unbezahlte Sorgearbeit gesellschaftlich anerkannt und aufgewertet werden, etwa, indem Kinder im Vorschulalter von gut qualifizierten und gut bezahlten Erziehern und Erzieherinnen betreut werden; oder indem alte Menschen zu Hause von Angehörigen gepflegt werden, deren reduzierte (und dennoch gut bezahlte) Erwerbsarbeit das möglich macht.

Dabei ist drittens wichtig, dass die Arbeit zwischen den Geschlechtern umverteilt wird: Die Hälfte der unbezahlten Sorgearbeit steht den Männern zu. Wenn sie ihren Anteil übernehmen, steigt auch die gesellschaftliche Anerkennung für diese Arbeit. Voraussetzung ist wieder, dass die Erwerbsarbeitszeit verkürzt wird. Unterstützt werden kann dieses Modell durch „innovative Sorgearrangements“: Netzwerke für Kinder, in denen sich Bürger und Profis zusammenfinden, Seniorengenossenschaften oder Zeit-Tausch-Ringe, in denen durch eigene Sorgetätigkeit ein Anspruch auf später selbst benötigte Pflegezeit erworben werden kann. Und schließlich müssen lebensfreundliche Teilzeitmodelle für Männer und Frauen entwickelt werden. So können sich alle an allen Arbeitsbereichen beteiligen und sie gemeinsam zukunftsfähig umgestalten.

Das neue Arbeitskonzept kann nicht mehr allein den Lohn zur Lebensgrundlage haben. Nötig ist ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alle. Nur wer nicht von Existenznot bedroht ist, kann sich verantwortlich an der Gestaltung einer demokratischen, zukunftsfähigen Gesellschaft beteiligen. Finanziert werden kann dieses Grundeinkommen aus Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen sowie auf Finanztransaktionen. Es ist genug Geld dafür da – der Staat muss nur mutig genug sein, es umzuverteilen.

Manches davon ist schon im Werden – in der Europäischen Union etwa nimmt, unterstützt von Deutschland und zehn weiteren Ländern, eine Finanztransaktionssteuer langsam Gestalt an. Es wird über eine Pflegereform nachgedacht und seit Neuestem wird wieder über eine Verkürzung der Arbeitszeit gestritten. Aber all das bleibt umkämpft, denn das neue Arbeitskonzept rüttelt an der Profitorientierung und fordert eine neue Denk- und Betrachtungsweise ein: eine erhaltende, vorsorgende. Mit ihr ist Zukunftsfähigkeit machbar. 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2014: Neue Helden der Arbeit
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