David Evans von der WHO erklärte, das Konzept verfolge einen ganzheitlichen Anspruch, der die Gesundheitssysteme in den Mittelpunkt stellt. Es gehe nicht nur um Behandlung, sondern auch um die Förderung von gesundheitsbewusstem Verhalten, Vorsorge, Wiedereingliederung sowie palliative Dienste. „Wir wollen sicherstellen, dass alle Menschen die Gesundheitsdienstleistungen erhalten, die nahe bei ihnen, gut und erschwinglich sind“, sagte er vor rund 80 Fachleuten, die der Einladung des Gesundheitsnetzwerks Medicus Mundi Schweiz gefolgt waren.
100 Millionen Menschen gerieten jährlich in die Armut, weil sie teure Behandlungen aus der eigenen Tasche bezahlen müssten, fügte Evans hinzu. Bislang hätten mehr als 70 Länder die WHO um Hilfe gebeten, ihre Gesundheitssysteme zu reformieren, um sich dem Konzept der allgemeinen Gesundheitsversorgung anzunähern. „Noch sind wir weit weg von diesem Ziel“, räumte Evans ein. Deshalb soll die allgemeine Gesundheitsversorgung in die Nachfolgeziele aufgenommen werden, die 2015 die Millenniumentwicklungsziele (MDGs) der Vereinten Nationen (UN) ablösen.
Der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) geht das nicht weit genug. Der Abteilungsleiter Ost- und Südliches Afrika, Gerhard Siegfried, betonte, es müsse das Menschenrecht auf Gesundheit in den Mittelpunkt gestellt und versucht werden, Ungleichheit zu verringern. Die DEZA wolle zudem medizinische Angebote verbessern und die Nachfrage der Bürger stärken. „Wir wünschen uns informierte Kundinnen und Kunden, die ihre Rechte kennen und leben“, sagte Siegfried. Sie sollten Qualität einfordern und das System auf diese Weise beeinflussen.
Private Geldgeber wollen schnelle Erfolge
Zugleich verwies er darauf, dass es viel schwieriger sei, Geld für die Stärkung von Gesundheitssystemen zu akquirieren als für den Kampf gegen einzelne Krankheiten. Letzteres sei für große private Geldgeber viel attraktiver, weil schneller Erfolge vorzuweisen seien. Wichtig seien solidarische Finanzierungsmodelle und eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierungen der Entwicklungsländer, Gebern und Zivilgesellschaft, erklärte Siegfried. Auch WHO-Vertreter Evans forderte eine „globale Solidarität“, weil „die armen Länder die Finanzierung nicht alleine schaffen.“ 41 der 49 am wenigsten entwickelten Länder seien nicht in der Lage, die laut WHO nötigen 60 US-Dollar pro Jahr und Kopf auszugeben, um eine minimale Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung zu gewährleisten.
Die Regierungen des Südens müssten jedoch ebenfalls in die Verantwortung genommen werden, forderten die Entwicklungsexperten. 2001 hatten die afrikanischen Länder im sogenannten „Abuja-Agreement“ vereinbart, mindestens 15 Prozent ihres Staatsbudgets für Gesundheit auszugeben – zehn Jahre später hatten nur Ruanda und Südafrika dieses Ziel erreicht.
Hélène Aye Mondo, Direktorin einer Pygmäen-Organisation aus Kamerun, verdeutlichte die breite Kluft zwischen dem Ideal der allgemeinen Gesundheitsversorgung und der Wirklichkeit. Ihr Volk, in Kamerun zwischen 200.000 und 300.000 Menschen, sei von Sozialprogrammen und Gesundheitsdiensten weitgehend ausgeschlossen. Viele Pygmäen verließen sich auf die traditionelle Medizin, vernachlässigte Tropenkrankheiten wie Tuberkulose und Malaria seien weit verbreitet, kritisierte sie. Für einige von ihnen hat sich die Situation inzwischen verbessert. Die nichtstaatliche Organisation „FairMed“ hat für vier Gesundheitsdistrikte Kleinkrankenkassen eingerichtet. In einem nächsten Schritt will sie ein Gesundheitssystem etablieren, dass sich speziell an die Bedürfnisse der Pygmäen richtet. Doch all das muss wohl Flickwerk bleiben, wenn sich der kamerunische Staat nicht dahinter stellt und an der Finanzierung beteiligt.
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