Kirchen: Gegen die gottlose Weltwirtschaft

Ausgerechnet in einer der Metropolen der Globalisierung hat der Ökumenische Rat der Kirchen zur großen Kritik am Kapitalismus ausgeholt: Auf seiner Vollversammlung im südkoreanischen Busan haben Kirchen aus armen und reichen Ländern eine gerechte Handelsordnung gefordert.

Gigantische Containerschiffe liegen im Hafen, Gabelstapler fahren immer neue Exportwaren in die Bäuche der Ozeanriesen, an anderen Kais wird Fracht gelöscht. Glitzernde Wolkenkratzer reihen sich am Meer, auf den Straßen drängen sich schwere deutsche Luxuslimousinen. Willkommen in Busan, in der südkoreanischen Boom-Town.

Autor

Jan Dirk Herbermann

ist Korrespondent für den Evangelischen Pressedienst und andere deutsche Medien in Genf. Er schreibt über den Weltkirchenrat und die Vereinten Nationen.

Vom 30. Oktober bis 8. November empfing die Metropole, die im schnellen Takt der Globalisierung lebt, einen unbequemen Gast. Einen Gast, der die Auswüchse und Verwerfungen der Globalisierung mit harschen Worten kritisiert: Den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Die 3000 Delegierten von 350 Kirchen aus reichen und armen Ländern trafen sich in der 3,5-Millionen Einwohner zählenden Stadt an der Koreastraße zu ihrer zehnten Vollversammlung. Ganz oben auf der Tagesordnung stand der Kampf gegen die Erderwärmung und gegen die Armut. Bei beiden Themen zeigten die Kirchen aus Nord und Süd Einmütigkeit: Kurz vor dem Beginn des Warschauer Klimagipfels der Vereinten Nationen Mitte November pochten sie auf entschiedenes Handeln. „Der Klimawandel ist heute zu einer der größten globalen Bedrohungen geworden, von der insbesondere die verwundbarsten Bevölkerungsgruppen betroffen sind“, heißt es in einer Erklärung zum Abschluss der Tagung. Die internationale Gemeinschaft müsse den Menschen helfen, die unter dem Klimawandel und seinen Folgen leiden. Nur so könne Klimagerechtigkeit geschaffen werden. Vor allem Delegierte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatten sich in Südkorea für das Thema Klimagerechtigkeit starkgemacht.

„Wenn die Schöpfung auf eine solche Art bedroht ist, sind die Kirchen aufgerufen, sich zu Wort zu melden und ihr Engagement für Leben, Gerechtigkeit und Frieden zum Ausdruck zu bringen“, heißt es in der ÖRK-Erklärung. Eine existenzielle Bedrohung erleben etwa die ÖRK-Mitgliedskirchen aus der Pazifik-Region: Sie fürchten um den Verlust ihres Lebensraums durch den Anstieg des Meeresspiegels. „Uns steht das Wasser wirklich bis zum Hals“, sagte eine Delegierte von der Insel Tuvalu bei den Beratungen. Nach Ansicht des bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm sind Klimaschutz und globale Gerechtigkeit nicht zu trennen. „Die reichen Industriestaaten müssen ihren Lebensstil radikal ändern und die natürlichen Ressourcen mit den sich entwickelnden Ländern teilen“, sagte der Sozialethiker.

Untätigkeit führt in eine „unumkehrbare Klimakatastrophe“

Auch das christliche Hilfswerk ACT Alliance mahnte einen entschlossenen Kampf der Staaten gegen die Erderwärmung an. Die Untätigkeit der verantwortlichen Politiker führe die Welt in eine „unumkehrbare Klimakatastrophe“, warnte ACT-Generalsekretär John Nduna. Von der Genfer Zentrale aus koordiniert Nduna, der aus Sambia stammt, den Einsatz von 14 Hilfsorganisationen. Sie helfen auch den Opfern des Klimawandels – etwa den Menschen im Osten Afrikas, die ihre Heimatländer wegen Dürren verlassen müssen, oder jetzt den Opfern des Taifuns Haiyan auf den Philippinen.

Nach den Beratungen in Busan muss nun Handeln im Sinne der Klimagerechtigkeit folgen. Der EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte betonte, die nächsten Schritte müssten vom ÖRK, aber auch von den Mitgliedskirchen und ihren Partnern ausgehen. „Missionswerke und Entwicklungsnetzwerke sollten den Aufruf des ÖRK bei der täglichen Arbeit  berücksichtigen. Wir sind erst einmal selbst gefragt“, erklärte Schindehütte, der Ende dieses Jahres in den Ruhestand geht.

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Neben dem Klimaschutz debattierte der Weltkirchenrat über die Auswüchse einer unkontrollierten Weltwirtschaft. Die Kirchen mahnten in einer Erklärung eine Abkehr von einer globalen „Ökonomie der Habgier“ an. Das zügellose Profitstreben trage zur Verarmung breiter Massen bei. Die Weltwirtschaftsordnung sei „gottlos“. Die wirtschaftliche Globalisierung habe den Gott der Liebe durch „den Gott des freien Marktkapitalismus“ ersetzt. Die Welt könne aber nicht durch die Schaffung von immer mehr Reichtum gerettet werden, heißt es in dem Text weiter: „Es ist ein globales vom Mammon bestimmtes System, das durch endlose Ausbeutung allein das grenzenlose Wachstum des Reichtums der Reichen und Mächtigen schützt.“

Der Finanzmarkt hat sich zu „einem Monster“ entwickelt 

Die Vorherrschaft eines „Gottes des Mammons“ beklagte auch der Vorsitzende der Kommission für Weltmission und Evangelisation, Bischof Geevarghese Mor Coorilos von der Syrischen Orthodoxen Kirche in Indien. Wenn Geld die Menschen in seinen Bann zieht und zur Vergötzung führt, wird es in der Bibel als „Mammon“ bezeichnet. Warnungen kamen auch aus den reichen Ländern: Die globalen Missstände von heute seien historisch einmalig, sagte die US-amerikanische Baptisten-Pfarrerin und TV-Journalistin Angelique Walker-Smith. „Die vorherrschende globalisierte Kultur scheint soziale, wirtschaftliche und ökologische Ungerechtigkeit hinzunehmen und zu legitimieren.“ Die Ausgrenzung der Ärmsten scheine sogar als „unvermeidbare Begleiterscheinung in einer Welt gesehen zu werden“.

Agnes Aboum ist Vorsitzende des ÖRK-Zentralausschusses

Zweifache Premiere: Erstmals steht eine Frau und eine Afrikanerin an der Spitze des  Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Die 150 Mitglieder des ...

Zu einer stärkeren Kontrolle der globalen Finanzmärkte rief Martin Khor (Malaysia) von der Entwicklungsorganisation „South Centre“ auf. Der Finanzmarkt sei korrupt und habe sich zu „einem Monster“ entwickelt. Zudem müssten die reichen Länder ihren Lebensstil verändern, erklärte der Kapitalismuskritiker. Den Pharmakonzernen warf er vor, mit ihrer Preispolitik vielen Kranken in armen Ländern den Zugang zu wichtigen Medikamenten zu versperren. Die Armen bräuchten kein Mitgefühl, unterstrich Khor. Vielmehr müssten die ungerechten Strukturen umgewandelt werden. Das „South Centre“ bietet Entwicklungsländern eine Plattform für ihre gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Interessen.

Zwar fiel die Kritik an der Weltwirtschaftsordnung in Busan oft beißend und mitunter auch einseitig aus. Doch die Delegierten präsentierten keinen überzeugenden, ausgereiften Gegenentwurf zu den herrschenden marktwirtschaftlichen Prinzipien. Man beschwor vielmehr eine „Gegenkultur“, gerade Christen müssten diese Kultur vorleben. Sie beruhe auf den Werten der Liebe und der Gerechtigkeit für alle. Einige Kirchenvertreter aus reichen Ländern betonten jedoch, es sei nicht die Aufgabe der Kirchen, eine gerechte Wirtschaftsordnung zu konzipieren. „Da müssen Ökonomen und Politiker ran“, hieß es.

Dennoch habe man das Recht, Missstände anzuprangern. Am Ende der zehntägigen Vollversammlung hatten die Kirchen genau das gemacht. Die Ungerechtigkeiten und das Unrecht, vor allem beim Klimaschutz und bei der Globalisierung, hielten sie in den Abschlusserklärungen fest. Inwieweit ihre Appelle tatsächlich Früchte tragen, können die Kirchen in rund sieben Jahren überprüfen. Dann trifft sich der ÖRK zu seiner elften Vollversammlung. Der Austragungsort könnte in einem der Ursprungsländer des Kapitalismus liegen: in England. Das geistliche Oberhaupt der anglikanischen Weltkirche, Erzbischof Justin Welby, jedenfalls warb für seine Heimat: England sei „hervorragend“ als Gastland geeignet.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2013: Unser täglich Fleisch
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