Nur ein erster Schritt

Von Bernd Ludermann

Was als Finanzkrise in reichen Ländern begonnen hat, trifft nun arme Länder mit voller Wucht. Die Zahl der absolut Armen dürfte dieses Jahr weltweit um 55 bis 90 Millionen steigen, haben die Weltbank und der Weltwährungsfonds (IWF) gerade prognostiziert. Erfreulich klar hat sich der Gipfel in London, auf dem die Gruppe der 20 bedeutendsten Industrie- und Schwellenländer (G20) gemeinsame Kriseninterventionen beraten hat, Anfang April zur Verantwortung für arme Länder bekannt. Und er hat Milliarden für internationale Stützungsmaßnahmen bereitgestellt - vor allem über den IWF. Der soll zusätzliche Kredite in Höhe von 750 Milliarden US-Dollar vergeben können, die Weltbank 100 Milliarden; weitere 250 Milliarden verspricht die G20 für Handelskredite.

Diese Wiederbelebung des IWF ist problematisch. Er und die Weltbank haben lange Zeit Rezepte befürwortet, die Finanzkrisen begünstigen wie den Abbau der Schranken für den Kapitalverkehr. Von Kreditnehmern hat der IWF regelmäßig die Senkung der Staatsausgaben verlangt und damit Finanzkrisen wie die in Asien 1997 noch verschärft. Stützungskredite etwa für Ungarn folgten noch 2008 dem gleichen Rezept. Der IWF-Direktor hat nun angekündigt, dies rückwirkend zu korrigieren und für neue Kredite die Konditionen zu lockern. Zudem soll der IWF ein Drittel der neuen Mittel - davon 19 Milliarden US-Dollar für die ärmsten Länder - in Form von Sonderziehungsrechten bereitstellen, die nicht konditioniert sind. Reformen des IWF will die G20 vorantreiben, damit Entwicklungsländer dort besser vertreten sind. Das trägt immerhin dem gewachsenen Gewicht der Schwellenländer endlich Rechnung.

Doch mit neuen Krediten für arme Länder droht auch eine neue Schuldenfalle. Weil die Industriestaaten für ihre Rettungsprogramme riesige Staatsschulden machen oder gar Geld drucken, sind auf Dauer eine Inflation und dann Zinsanhebungen zu erwarten. Genau solche Zinssteigerungen im Norden haben die Schuldenkrise Lateinamerikas in den 1980er Jahren ausgelöst. Ein geregeltes Verfahren für die Insolvenz von Staaten ist deshalb nötig.

Das aber steht bisher nicht auf dem Programm der G20. Bei der Reform der globalen Finanzordnung haben die Staatschefs zwar Prinzipien vereinbart, die vor kurzem noch utopisch gewesen wären: Sanktionen gegen Steueroasen sollen erlaubt sein, internationale Leitlinien für die Vergütung von Managern ausgearbeitet werden und alle für das Gesamtsystem wichtigen Finanzinstitute - nicht nur Banken - künftig der Aufsicht unterstehen. Wie ernst das gemeint ist, werden aber erst die Details der Umsetzung zeigen. Angesichts des Einflusses der Finanzbranche auf die Politik ist noch Skepsis angebracht.

Zudem zielt die G20 im Kern auf technische Verbesserungen der Finanzmarkt-Regulation. Das ist wichtig, hat aber seine Grenzen. Finanzmärkte finden meist Wege, Regulierungen zu umgehen. Und Staaten haben oft großes Interesse an einer schwachen Aufsicht, um ihre Wirtschaftspolitik und die Profite mächtiger Gruppen nicht einschränken zu lassen. Wirklich bindende internationale Regeln sind daher für die Finanzmärkte politisch viel schwieriger zu erreichen als etwa für den Handel.

Schließlich hat die Krise tiefere Ursachen als Gier und Dummheit von Bankern und Investoren - etwa die soziale Ungleichheit und globale Handels- und Zahlungsungleichgewichte. Lange Jahre häuften asiatische Länder und Erdölexporteure aus Handelsüberschüssen riesige Dollarreserven an, verliehen sie günstig in die USA und erleichterten dort den Konsum auf Pump, mit dem die Verlierer der Globalisierung befriedet wurden. Das hat beiden Seiten genutzt. Keine internationale Instanz kann reiche Länder zwingen, eine langfristig destabilisierende Wirtschaftspolitik zu ändern - der IWF diszipliniert nur die Armen. Die G20 haben weder dieses Problem angegangen noch die Reform des Weltwährungssystems, das den USA ihre riesige Verschuldung ermöglicht. Sie haben sich aber gegen eine Lösung ausgesprochen, die funktionieren kann: Einschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs. Malaysia hat damit die Folgen der Asien-Krise 1997 entscheidend abmildern können. Diese Möglichkeit auszuschließen, ist nicht vertretbar, solange wirksame globale Regeln für die Finanzmärkte fehlen. Wo man sie nicht zähmen kann, darf ihre Entflechtung nicht länger tabu sein.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von welt-sichten

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