„Die Arbeitsteilung muss deutlich besser werden“

In der Februarausgabe von „welt-sichten“ hat der frühere Direktor des Genfer South Centre, Yash Tandon, scharfe Kritik an der internationalen Entwicklungshilfe geübt. Dabei hat er auch nichtstaatliche Hilfsorganisationen (NGO) ins Visier genommen. Das hat Widerspruch hervorgerufen, unter anderem beim Verband der entwicklungspolitischen Organisationen Venro. Dessen Vorsitzender, Ulrich Post, verteidigt die Arbeit von NGOs, sieht aber auch Verbesserungsbedarf.

Yash Tandon hat gesagt, nichtstaatliche Organisationen wie Oxfam seien Teil einer Entwicklungsindustrie, die ein fehlgeleitetes Modell von Entwicklung verfolgt. Was sagen Sie dazu?

Mich stört der Begriff der Entwicklungsindustrie. Ich bin vielleicht hoffnungslos romantisch, aber ich spreche den Leuten, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind – sei es in der staatlichen, sei es in NGOs –, nach wie vor ein großes Engagement zu. Der Großteil derer, die da arbeiten, macht das nicht fürs Geld, sondern aus anderen Motiven.

Yash Tandon hat auch gesagt, viele NGOs seien von der offiziellen Entwicklungshilfe aufgesogen worden; sie hätten sich korrumpieren lassen.

Das hängt davon ab, wie unabhängig NGOs sind. Wenn sie nur staatliche Programme durchführen und sich nicht mehr als Kontrollinstanzen staatlicher Politik verstehen, dann mag der Vorwurf zutreffen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass viele NGOs gemeinsam mit ihren Partnern im Süden an sozialem Wandel arbeiten, und nicht nur daran interessiert sind, ihre eigene Agenda zu verwirklichen.

Aber viele NGOs sind mit der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit eng verflochten und finanziell abhängig.

Natürlich, es gibt eine finanzielle Abhängigkeit vom Staat, in England übrigens noch stärker als in Deutschland. Andererseits haben die NGOs in Deutschland bislang immer noch das Initiativrecht: Sie schlagen ein Vorhaben vor und das wird dann vom Staat in der Regel bewilligt, wenn es vernünftig ist. Schwierig wird es erst dann, wenn NGOs Teil staatlicher Programme werden.

Wie bei der Afghanistan-Fazilität, über die die Bundesregierung Geld an NGOs gegeben hat, wenn sie mit der Bundeswehr zusammenarbeiten...

Das war der Tabubruch...

... gegen den die NGOs mächtig gewettert haben. Das Geld haben sie dann aber doch genommen.

Aber nicht zu den Bedingungen der Regierung.

Das heißt, in diesem Fall haben die NGOs der Regierung ihren Stempel aufgedrückt?

Ja.

Zum Thema Wirksamkeit: Yash Tandon ist der Meinung, die NGOs hätten diese Debatte nicht beeinflusst.

Das ist einer seiner größten Trugschlüsse. Es gab wenig internationale Debatten in der Entwicklungspolitik, auf die nichtstaatliche Organisationen einen so großen Einfluss hatten – und zwar Organisationen aus dem Süden: Better Aid, der Zusammenschluss, der die NGO-Anliegen vorangetrieben hat, wird von Organisationen aus dem Süden dominiert; der Vorsitzende kommt von den Philippinen.

Aber wie schlägt sich dieser Einfluss denn nieder?

Für die NGOs war zum Beispiel wichtig, dass in Busan erstmals von „demokratischer Eigenverantwortlichkeit“der Entwicklungsländer gesprochen und so die Rolle der Zivilgesellschaft und demokratischen Institutionen wie Parlamenten betont wurde.

Die Paris-Erklärung hatte klare Ziele und Kriterien, von denen trotzdem kaum eines erreicht wurde. Was also soll das Abschlusspapier von Busan bringen, das nicht mal mehr konkrete Vorgaben macht?

In Busan wurden die Prioritäten anders gesetzt: Vorrang hatte, die neuen Geber wie zum Beispiel China und Brasilien ins Boot zu holen – zu dem Preis, dass die Ziele etwas verwässert wurden. Aber jetzt sind die neuen Geber dabei, und jetzt muss es darum gehen, neue Ziele zu formulieren. Dafür gibt es einen Fahrplan. Die Rede ist von einer Wirksamkeit der zwei Geschwindigkeiten, und zu wünschen ist natürlich, dass die alten Geber und die Entwicklungsländer an den unter ihnen vereinbarten bisherigen Indikatoren und Zielen festhalten.

Ich wage die Prognose, dass die alten Geber die Gelegenheit nutzen, sich an die Geschwindigkeit der neuen Geber anzupassen – und nicht umgekehrt.

Das ist denkbar, aber wir werden versuchen, den Prozess zu beschleunigen. Es gibt im Bundesentwicklungsministerium eine Menge Leute, die Interesse daran haben, schon deshalb, weil es vernünftig ist. Ich war vor kurzem mit Minister Dirk Niebel in Myanmar. Das Land hat ein großes Potenzial, viele Bodenschätze, und die Regierung öffnet sich langsam. Es gibt noch Sanktionen, aber die Geber stehen schon Schlange und scharren mit den Hufen. Alle wollen dort mit ihren bilateralen Projekten mitmischen. Die Geber werden übereinander herfallen und anbieten, was sie haben, und sich nehmen, was sie brauchen, Rohstoffe zum Beispiel. Dabei wäre Myanmar das ideale Pilotland für die Paris-Erklärung: als erstes die Kapazitäten im Land stärken und dann schauen, was einzelne Geber beitragen können. Wir als NGOs werden da noch etwas lauter werden müssen, um das deutlich zu machen.

Dann sollten die nichtstaatlichen Organisationen mit gutem Beispiel vorangehen. Im Venro-Positionspapier zu Busan wird viel kritisiert und von den staatlichen Gebern gefordert. Es findet sich aber kein Hinweis darauf, wie die NGOs ihre eigene Arbeit wirksamer machen wollen.

Ja, das ist ein heikler Punkt. Ich glaube, dass es bei der Abstimmung der NGOs untereinander dramatische Veränderungen geben muss. Die Arbeitsteilung muss deutlich besser werden. In der humanitären Hilfe klappt das schon ganz gut, weil die Vereinten Nationen das vor Ort koordinieren. Das muss in der Entwicklungszusammenarbeit auch noch passieren. Die Kritik wird lauter werden, weil der Wettbewerb zwischen den Hilfsorganisationen stärker wird und die Aufmerksamkeit für ihre Arbeit steigt. Wir werden es unseren privaten Spendern zunehmend schwerer erklären können, wenn zum Beispiel die NGO-Präsenz irgendwo zu stark ist. Zudem werden die Geber stärker darauf drängen. Das EU-Büro für humanitäre Hilfe ECHO etwa arbeitet in Pakistan bevorzugt mit NGO-Konsortien aus unterschiedlichen Ländern. Andererseits ist es dann zum Beispiel so, dass die italienische Regierung nicht möchte, dass deutsche NGOs von ihrem Geld für italienische Organisationen profitieren. Die Deutschen sind da liberaler, die Niederländer auch, aber es ist keine europäische Praxis, die Kooperation von NGOs aus verschiedenen Ländern zu fördern.

In Ländern wie Ruanda oder Äthiopien klappt die Abstimmung unter den Gebern vergleichsweise gut, weil die Regierungen dieser Länder sich darum kümmern. In beiden Ländern werden auch nichtstaatliche Organisationen stärker beaufsichtigt als anderswo. Wie beurteilen Sie das?

Das hängt davon ab, ob es einer Regierung nur darum geht, sich unliebsame Kritiker vom Hals zu halten, oder – was ich legitim finde – ob sie sich einen Überblick verschaffen will, wer im Land ist und was macht. Ich habe sogar in gewissem Maße Verständnis dafür, dass die Regierung von Myanmar nach dem Wirbelsturm Nargis 2008 nach anfänglichem Zögern den Einsatz von ausländischen Hilfsorganisationen begrenzen und nicht alle ins Land lassen wollte. Das wäre sonst ein regelrechter Überfall geworden. Koordination muss sein. In Ruanda und Äthiopien habe ich allerdings den Verdacht, dass es nicht in erster Linie um Koordination, sondern um Kontrolle geht.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.


Ulrich Post
leitet die Stabsstelle Politik und Außenbeziehungen bei der Deutschen Welthungerhilfe und ist Vorsitzender des Verbands entwicklungspolitischer Organisationen Venro.

 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2012: China: Alles unter Kontrolle?
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