Ihre Organisation hat in den vergangenen elf Jahren 12.000 Menschen in „Schulen für Demokratie und Frieden“ ausgebildet. Wie haben Sie das geschafft?
Podion hat 30 Jahre lang soziale Organisationen und Diözesen in Solidarität mit den Armen und den Opfern des Bürgerkriegs beraten und fortgebildet. Die Teams, die wir begleiteten, arbeiteten mit Indigenen, Bauern, Afro-Kolumbianern und der Bevölkerung aus städtischen Vororten in der der Landwirtschaft. Allerdings blendeten sie die politischen Aspekte aus, das konfliktive Umfeld, das einen großen Einfluss auf die Gemeinden hat: Massaker an Bauern, Vertreibung ganzer Dörfer, die Vernichtung von Koka-Feldern. Deshalb war es wichtig, diese Teams fortzubilden in den Themen Menschenrechte, Durchsetzung von Recht, in psychosozialen Aspekten. Das war der Anfang.
Und wie ging es weiter?
Bis heute haben wir fünf jeweils zweijährige Ausbildungen durchgeführt. An jedem Ausbildungszyklus nehmen 60 Menschen teil, in Teams von vier bis fünf Kollegen aus einer Organisation oder einem Dorf. Im zweiten Jahr spezialisiert sich jeder aus dem Team in einem Thema. Dann gibt das Team als Multiplikator das Gelernte in seinem Heimatort weiter. Die Schulabgänger hielten es 2007 für notwendig, ein nationales Netzwerk zu bilden, um mehr Wirkung zu haben. Daran schloss sich auch das Netzwerk der Schulen des friedlichen und solidarischen Zusammenlebens der Diözesen im westlichen Tiefland an.
Was bringt ein solches Netzwerk?
Wenn ein Dorf in Gefahr ist, koordinieren die Organisationen des Netzwerkes gemeinsame Hilfsaktionen. Zurzeit unterstützen wir einen indigenen Führer, der große Schwierigkeiten mit der Armee hat. Mit den vereinten Kräften des Netzwerkes erhält die öffentliche Anklage mehr Gewicht und wird auch von staatlichen Institutionen eher wahrgenommen. Im Moment kümmert sich das Amt des Vizepräsidenten um den Fall.
Was verstehen Sie unter Solidarität?
Solidarität bedeutet, mit dem anderen zu sein und zusammen Neues zu schaffen. Das muss von beiden Seiten freiwillig geschehen, mit Respekt, Autonomie und einer Haltung der Befreiung. Und die Solidarität muss auf die Selbstständigkeit zielen, darauf, dass sich ein Dorf selbst organisiert, dass es seine eigene Zukunft gestaltet, seine eigenen Strategien erarbeitet, dass diese angemessen sind. Sicher kennen Sie den Spruch: Wer zahlt, schafft an. Wir haben immer genau entgegengesetzt gearbeitet. Solidarität sollte keine Abhängigkeit schaffen, so wie es in der internationalen Zusammenarbeit oft passiert.
Wie entkommt man dieser Abhängigkeit?
Der Schlüssel ist die gegenseitige Bereicherung, ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen können wir unser Wissen austauschen. Den anderen bewegen, verändern, im positiven Sinne des Wortes. Eine solche Solidarität haben uns die Deutschen entgegengebracht: Die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) stellte uns finanzielle Mittel zur Verfügung und Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes. Diese haben die Kolumbianer immer als ebenbürtig betrachtet.
Was kann man mit Solidarität erreichen, was man mit anderen Mitteln nicht erreichen kann?
Solidarität ist kein Rezept, kein simpler Transfer. Bevor wir predigen, müssen wir den Leuten zuhören. Die Schulen vermitteln Wissen und Erfahrung, aber die Teilnehmer bringen diese auch mit. Sie sind es, die Entscheidungen treffen. Wir haben ein akademisches Gremium für die Schulen eingerichtet, wo die Organisationen zusammen über den Lehrplan entscheiden. Die nationale Koordination des Netzwerkes wird von den regionalen Vertretern übernommen.
Was betrachten Sie als größten Erfolg der Schulen und des Netzwerkes?
Wir haben etwa 60 Teams ausgebildet. Und die Entwicklung von der Schule zum Netzwerk war ein Qualitätssprung. Das war ein kontinuierlicher Lernprozess, in dessen Verlauf die Schule den Menschen Instrumente an die Hand gegeben hat, sie bekräftigt und befähigt hat. Das zeigt sich zum Beispiel an den Aktionen, mit denen Bauern gerade versuchen, die Paramo-Höhen in der Nähe von Bogotá zu bewahren und ein Staudammprojekt auf dem Fluss Magdalena im Süden Kolumbiens zu verhindern.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Schulen und das Netzwerk?
Ein großer Teil der Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind nichtstaatliche Organisationen und Diözesen. Die haben den Vorteil, dass sie stabil sind. Gleichzeitig fehlt es ihnen aber oft an Führungspersönlichkeiten. Deshalb suchen wir gerade Teams aus sozialen Bewegungen, die mehr Menschen zu mobilisieren imstande sind. Wir wollen ein Netzwerk schaffen mit mehr politischer Kraft und Vitalität. Oft haben die Leute Angst vor der Politik, weil sie sie mit Parteipolitik verwechseln. Aber wir suchen Menschen, die Politik als Teilnahme am Aufbau der „polis“, der Gemeinschaft, begreifen, an dem wir alle teilhaben sollten. Wir arbeiten daran, dass unser Netzwerk mehr Sensibilität für politische Aktionen bekommt.
Welche Rolle spielen die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der FARC dabei?
Eine Sache ist der Abschluss der Verhandlungen, eine andere die Beendigung des Konflikts. Auch nach einem Friedensschluss wird es noch Konflikte geben, etwa im Bergbau oder um Land. Man muss die Opfer dazu befähigen, ihre Rechte einzufordern. Das ist die Voraussetzung für einen Frieden, der auf sozialer Gerechtigkeit basiert.
Das Gespräch führte Ursula Treffer
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