Äußerlich hat sich Kasachstan seit seiner Unabhängigkeit 1991 modernisiert. Doch die Obrigkeit ist dieselbe geblieben. Der gealterte Präsident Nursultan Nasarbajew und seine nächsten Vertrauten führen das Land mit autoritärer Hand. Es herrscht brutale Korruption, alle Versuche, die Zivilgesellschaft und die Opposition zu stärken, werden streng kontrolliert. Sieht sich das Regime bedroht, greift es zu harten Repressionen, bis hin zur Inhaftierung von Oppositionsführern, Journalisten und Aktivisten und zum politischen Mord.
Autorin
Guljan Jergalijewa
ist eine landesweit bekannte kritische Journalistin in Kasachstan. Sie ist Chefredakteurin des oppositionellen Magazins „ADAM reader’s“ und betreibt die Webseite guljan.org.In Kasachstan haben noch kein einziges Mal faire Wahlen stattgefunden; Ämter werden zugeteilt. Die Menschen sind arm und eingeschüchtert und alles andere als „ein Volk“, vielmehr sind sie gespalten durch ethnische, religiöse und soziale Unterschiede. In den vergangenen zwei Jahren haben Terroranschläge zugenommen, die innenpolitisch begründet sind. Die Islamisierung schreitet kräftig voran, vor allem in armen Bevölkerungsschichten, die mehr als 60 Prozent der Einwohner Kasachstans ausmachen – fast fünf Millionen Menschen.
Vor diesem Hintergrund sind die Arbeitsbedingungen von Journalisten zu sehen. Offiziell gibt es in Kasachstan mehr als 2000 Zeitungen, Zeitschriften und Magazine sowie Dutzende Fernsehsender mit landesweiter Ausstrahlung. Alle großen Print-Titel und Fernsehsender werden vom Staat oder ein paar Oligarchen finanziert und kontrolliert: Sie sind Dienstleister des Regimes. Zwar wurden in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit auch in Kasachstan unzählige unabhängige Medien gegründet. Sie wollten selbstständig arbeiten, Geld verdienen und wettbewerbsfähig sein. Aber sie widersprachen dem aufkommenden autoritären Regime und wurden daher schnell zerschlagen. Einige Sender und Zeitungen wurden verurteilt und auf diesem Wege aussortiert, bei anderen wurden die Herausgeber bedroht und eingeschüchtert, sodass sie gezwungen waren, ihre Publikationen zu schließen und das Land zu verlassen.
Trotz alledem hat sich in Kasachstan ein harter Kern oppositioneller Zeitungen und Webseiten entwickelt, zu denen auch meine eigenen Medien gehören. Von 2002 an, als eine Reihe von Oppositionsführern ins Gefängnis gebracht wurde, war ich Chefredakteurin der Oppositionszeitung „Slovo“ (Wort). 2005 habe ich meine eigene Zeitung „Svoboda Slova“ gegründet. Heute gebe ich das politische Magazin „ADAM reader’s“ heraus und betreibe die Website guljan.org. Und obwohl unsere Publikationen immer hohe Auflagen hatten und die Webseiten steigende Nutzerzahlen aufweisen, haben die Behörden nicht aufgehört, uns juristisch zu verfolgen. Ich hatte als Person des öffentlichen Lebens mehr als zwanzig Strafverfahren, als Journalistin und Chefredakteurin mehr als ein Dutzend. Selbstverständlich haben wir alle Prozesse verloren, denn das Rechtssystem ist in Kasachstan zum Handlanger des politischen Regimes geworden. Nun ist die Staatsführung in einer tiefen Krise: Die Eliten bekriegen sich, die Korruption überzieht alle Bereiche des politischen und wirtschaftlichen Lebens, die Verschuldung ist immens und zugleich flackern soziale Unruhen auf. Deshalb hat die Regierung begonnen, den Druck auf Gesellschaft und Medien zu erhöhen und die Kontrollen zu verstärken.
Die Website guljan.org ist seit mehr als einem halben Jahr blockiert, Druckereien werden daran gehindert, das Magazin „ADAM reader’s“ zu drucken. All das ist illegal und hat den Anstrich persönlicher Rache von Politikern und leitenden Regierungsbeamten, die bereits „Helden“ in unseren Artikeln waren – meist groß angelegte, investigative Recherchen zu Korruption oder Amtsmissbrauch. Kasachische Gerichte haben zudem zu Beginn des Jahres mehrere Zeitungen und oppositionsnahe Webseiten geschlossen – unter dem Vorwand, sie verbreiteten extremistische Inhalte.
Mehrere Journalisten sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden, einige wurden Opfer von Mord oder Mordversuchen
Unabhängige Medien können in Kasachstan durchaus existieren – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen: Sie dürfen niemals den Präsidenten oder Mitglieder seiner Familie kritisieren, und wenn es sich um Lokalmedien handelt, auch nicht den Gouverneur und seine Umgebung. Sie dürfen nicht auf Anzeigeneinnahmen angewiesen sein, da der gesamte Anzeigen- und Werbemarkt von der Tochter des Präsidenten und einigen Medienmoguln kontrolliert wird. Sie müssen mit wenig Geld und kleiner Mannschaft arbeiten und dennoch sehr gut sein, um ein breites Publikum zu erreichen; eine breite Leserschaft kann einen gewissen Schutz der eigenen Arbeit bieten. Und sie müssen vorbereitet sein auf eine Unmenge von Strafverfahren, die mit größter Sicherheit von der Regierung ausgehen.
Aber wir, wie auch andere Oppositionsmedien, können uns nicht an diese Regeln halten, denn die kasachische Wirklichkeit ist komplizierter und schlimmer. Wir können das nicht ignorieren und die Wurzeln allen Übels in diesem Land weiträumig umgehen – den Personenkult, die Korruption, den Ausverkauf des Landes, den Amtsmissbrauch und den Niedergang der Rechtsstaatlichkeit. Die Journalisten von regierungsfreundlichen oder mäßig kritischen Medien haben Methoden der Selbstzensur entwickelt oder richten sich offen nach den Interessen ihrer Herausgeber. Deshalb werden häufig regelrechte Informationsschlachten geführt, wenn einige Medien die Verbrechen dieser oder jener Geheimdienste aufdecken, und andere Medien – die Feinde – die der anderen. Die Regierung nutzt ihre eigenen Medien in der Regel als Werkzeug, um die Opposition oder straffällig gewordene Politiker zu diskreditieren, die sie loswerden oder ins Gefängnis bringen will.
Mir ist es gelungen, einige der populärsten Zeitungen im Land aufzubauen und einige Jahre als deren Chefredakteurin zu arbeiten – solange, bis sie geschlossen wurden oder ich gezwungen war zu gehen. Es gibt mehrere Gründe, warum das möglich war: Erstens habe ich eine ziemlich große Leserschaft, die mich als Journalistin noch aus Sowjetzeiten kennt. Zweitens waren unsere Publikationen immer konsequent gegen die amtierende Regierung und haben die verteidigt, die unter ihr gelitten haben. Drittens standen wir immer auf der Seite der Oppositionsparteien und konnten uns gegenseitig unterstützen.
Aber sobald die Auflagen unserer Zeitungen der Regierung zu hoch erschienen, mischte sie sich in unsere Arbeit ein, verurteilte Journalisten unter Vorwänden und erlegte mir gewaltige Geldstrafen auf. Oder sie machten mir Angebote, damit ich die Redaktion verlasse, die Zeitung aber erhalten bleibt.
Heute macht sich die Regierung weniger Umstände. Mit Hilfe der Staatsanwaltschaft verurteilen sie mich, blockieren und schließen unsere Webseiten, hindern Druckereien daran, unser Magazin zu drucken. Und wir werden durch Bürokratie blockiert – Beschwerden schreiben, an die Gerichte appellieren, warten. Die Behörden versuchen in regelmäßigen Abständen, die Informationspolitik zu reformieren – mit einem Haken: Das Regime soll erhalten bleiben. Und das Parlament verschärft die Gesetze über Meinungsfreiheit und schränkt die Pressefreiheit weiter ein. Gegen Journalisten wird häufig der Strafbestand der Verleumdung angewandt, der die Beschuldigten kriminalisiert. Mehrere Journalisten sind bereits zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden, einige wurden Opfer von Mord oder Mordversuchen. Aus all diesen Gründen ist unser Beruf zu einem der riskantesten in Kasachstan geworden.
Aus dem Russischen von Edda Schlager
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