Herr Vogel, worüber reden wir, wenn wir über Wissensmanagement sprechen?
Wir reden über den Dreischritt Wissen generieren, festhalten und verbreiten. In Europa ist das vorrangige Anliegen, sicherzustellen, dass Wissen nicht verloren geht, wenn ein qualifizierter Mitarbeiter ein Unternehmen verlässt. Das individuelle Wissen soll in das Gedächtnis der Organisation übertragen werden. Dieses Anliegen teilen wir. Als Organisation der Entwicklungszusammenarbeit befassen wir uns aber zusätzlich mit der Frage, wie wir verschiedene Kenntnisse und Wissensbestände im Norden und im Süden so vernetzen, dass alle Partner davon profitieren können. Wie können die senegalesischen Bauern Erfahrungen von den Philippinen so nutzen, dass sie das Rad kein zweites Mal erfinden müssen?
Warum ist Wissensmanagement gerade in der Entwicklungszusammenarbeit wichtig?
Entwicklungszusammenarbeit bedeutet Lernen und Erfahrungen weitergeben. Seit den 1990er Jahren hat sie aufgehört, eine Einbahnstraße zu sein. Die Menschen im Süden kennen ihre Probleme am besten und können deshalb auch am ehesten Lösungen dafür finden. Der Anteil an Expertise, der von Nord nach Süd fließt, wird immer kleiner. Es kommt immer mehr darauf an, bestehendes Wissen zwischen Partnern im Süden zu vernetzen und auszutauschen. Früher waren Entwicklungshelfer Berufsschullehrer, Ärzte und Hebammen. Dann ging es mehr in Richtung Beratung, Ausbildung und Qualifizierung. Mittlerweile sind viele unserer Fachkräfte damit befasst, lokale Prozesse der Wissensverbreitung zu moderieren.
Welche Ziele wollten Sie in der ersten Phase Ihres Projektes von 2010 bis 2012 erreichen?
Wir hatten uns vorgenommen, gemeinsam mit 42 Projektpartnern in zwölf Ländern sogenannte „good practices“, also besonders nützliche Methoden und Instrumente der Projektarbeit, zu identifizieren, zu dokumentieren und zu diskutieren, welche davon in anderen Kontexten angewendet werden können. Ziel war, dass einige dieser Praktiken von anderen Partnern übernommen werden. Zum Schluss hatten wir acht solcher „good practices“, bei denen wir nachweisen konnten, dass sie von mindestens einem weiteren Partner angewendet wurden, manche sogar von mehreren. Und wir hatten darüber hinaus mindestens noch ein weiteres Dutzend gefunden, von denen wir aber nicht dokumentiert haben, ob und in welchem Ausmaß sie weiter verbreitet wurden.
Was verbirgt sich konkret hinter den „good practices“?
Da ist das Spektrum breit, von technischen Lösungen über Betriebswirtschaft bis hin zur Lobby-Arbeit. Besonders gut angenommen wurde von den lokalen Partnerorganisationen ein Konzept zur Förderung der ländlichen Entwicklung, „Enabling Rural Innovation“ (ERI), das aus Uganda stammt. Es gibt Gemeinschaften von Kleinbauern Methoden an die Hand, wie sie Situationen analysieren, Entscheidungen über Anbau und Vermarktung treffen und verwirklichen können. Mehrere Partner aus Tansania, dem Senegal und Äthiopien haben das übernommen. Populär sind auch Trockentoiletten für regenarme Gebiete, die in Kenia und Uganda entwickelt wurden. Und in der Nutzung von Regenwasser haben Projektpartner aus Brasilien ihr Wissen an Gruppen im Senegal und in Äthiopien weitergegeben.
Wie läuft denn da die Verständigung?
Um die logistischen Kosten niedrig zu halten, läuft ein großer Teil des Erfahrungsaustauschs in derselben Region, Zentralamerika oder Ostafrika, wo die beteiligten Organisationen eine gemeinsame Sprache sprechen und einen sehr ähnlichen sozio-kulturellen Hintergrund haben. Bei unseren internationalen Konferenzen bieten wir Simultanübersetzung an. Das ist aufwendig, aber nur so können die Leute persönlich miteinander diskutieren.
Sind Sie auch an interkulturelle Grenzen gestoßen?
In Kenia ist es eine Erfolgsgeschichte, sich für Frauenrechte einzusetzen, indem man mit Männern arbeitet und versucht, sie zu einem anderen Verhalten zu bringen. Darüber haben wir bei einer Konferenz in Wien diskutiert. Feministinnen aus Zentralamerika waren empört und haben gefragt: Wie könnt Ihr nur unter dem Banner Frauenrechte die Männer als Zielgruppe haben? Das wurde heiß diskutiert. Übernommen wird diese Methode in Zentralamerika mit Sicherheit nicht. In anderen afrikanischen Ländern dagegen schon, sogar von staatlichen Stellen.
War es schwierig, die Partner zur Teilnahme an Know-how3000 zu bewegen?
Das war eine unserer größten Sorgen. Wir hatten befürchtet, die Partner könnten zu wenig Personal und Zeit haben, um sich zu beteiligen. Außerdem haben wir vermutet, sie würden nicht über schlechte Erfahrungen sprechen, aber sich womöglich auch nicht mit guten Erfahrungen exponieren wollen. Da wurden wir angenehm überrascht. Die Partner waren sehr interessiert, endlich einmal vor anderen über ihre Erfolge zu sprechen. Bei uns im Verein mussten wir viel größere Überzeugungsarbeit leisten.
Welche Rückschläge mussten Sie hinnehmen?
Wir haben uns deutlich verschätzt mit den Personalressourcen. Wir hatten viel zu wenig Zeit für die vielfältigen Aufgaben, alleine schon bei der Übersetzung von Dokumenten in mehrere Sprachen. Außerdem haben wir unterschätzt, wie lange es dauert, eine passende Internet-Plattform für die Verbreitung unserer „good practices“ aufzubauen, und es war uns auch nicht klar, wie wichtig die direkte, persönliche Kommunikation ist, um unsere Ziele deutlich zu machen.
Inzwischen läuft Ihre Internet-Plattform. Reicht das aus für den Austausch?
Eine Datenbank oder ein Portal sind gute Werkzeuge, aber man muss sie anwenden können, sonst erfüllen sie ihren Zweck nicht und setzen Staub an. Persönliche Treffen sind unabdingbar, damit sich Menschen ihre Erfahrungen erzählen und sich gegenseitig anregen können, Neues zu übernehmen. Sie müssen aber gut organisiert und effektiv sein und dürfen nicht als Zeitverschwendung empfunden werden.
Die Pilotphase ist vorbei. Wie geht es jetzt weiter mit Know-how3000?
Die Finanzierung für die nächsten drei Jahre steht. 2014 planen wir die nächste internationale Konferenz in Wien zum Austausch unter den Partnern. In den Regionen organisieren wir Veranstaltungen zu Erfahrungsaustausch und Fortbildungen zu den Schwerpunktthemen, die die lokalen Organisationen sich wünschen, wie Buchhaltung oder Biozertifizierung. Und wir entwickeln Methoden, wie wir aus Fehlern lernen können. Echtes Lernen ist ja nur über Scheitern möglich. Aber in der Entwicklungszusammenarbeit ist die Hürde sehr hoch, Misserfolge zuzugeben. Manche Fehler werden 15 oder 20 Mal gemacht, weil niemand sie zugibt. Die meisten Akteure in der Projektarbeit sind zuweilen eher daran interessiert, ein nicht so gutes Projekt weiterzuführen, als keine Förderung zu haben. In diesem Umfeld der Beschönigung müssen wir, wenn wir Wissensmanagement machen wollen, daran arbeiten, wie Fehler eingeräumt und konstruktiv diskutiert werden können.
Das Gespräch führte Gesine Kauffmann
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