Autorin
Kathrin Ammann
Kathrin Ammann ist Redakteurin bei SWI swissinfo.ch in Bern und ständige Korrespondentin von welt-sichten.Die Bewegung wollte den Hausangestellten eine Plattform bieten, ihre Probleme und ihre Anliegen bekannt zu machen. In Bolivien gibt es nach Angaben des nationalen Dachverbandes der Hausangestellten rund 137.000 Frauen, die für andere Familien Hausarbeiten erledigen – oft unter miserablen Bedingungen. „Die Frauen erhalten einen schlechten Lohn, keine Sozialversicherungsleistung und wenn überhaupt Ferien, dann nur unbezahlte“, erklärt Yolanda Mamani.
Seit 2003 regelt ein Gesetz die Rechte und Pflichten der Hausangestellten. Doch oft wissen die Frauen darüber nicht Bescheid, und die Arbeitgeber nutzen das aus. Viele versuchten zudem, ihrer Angestellten eine Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft zu verbieten, sagt Yolanda. „Dort klären sie Dich darüber auf, was Du Dir nicht gefallen lassen musst, das passt den Hausherren nicht.“ Auch ihre Chefin versuchte Yolanda die Idee auszureden. Die Gewerkschaft sei nur auf ihr Geld aus, warnte sie.
Eine Art "zweite Familie"
Yolanda gehört, wie die meisten der Hausangestellten, der indigenen Bevölkerung Boliviens an. Oft noch sehr jung, ziehen die Frauen auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Stadt. Yolanda kam als neunjähriges Mädchen während der Ferien mit ihrer Tante nach La Paz. Ihre Tante brauchte jemanden, der sich um ihr Baby kümmerte, während sie als Hausangestellte arbeitete. Doch sie ließ Yolanda nach den Ferien nicht in ihr Dorf zurückkehren. Und sie zog um, so dass der Vater Yolanda nicht zurückholen konnte. Nach zwei Jahren verschwand die Tante mit ihrem Kind und ließ Yolanda alleine in der Wohnung zurück. Ohne Ausweispapiere. Das Mädchen erinnerte sich weder an den Namen ihres Dorfes, noch an die Namen ihrer Eltern. „Für mich hießen sie einfach Mutter und Vater“, erzählt sie.
Die Wohnungsinhaberin schlug Yolanda vor, ihrem Neffen im Haushalt zu helfen. „Was blieb mir anderes übrig, als den Vorschlag anzunehmen?“, fragt Yolanda. Der Mann habe sie gut behandelt. Obwohl sie hart arbeiten musste, waren er, seine Frau und die Kinder „eine Art zweite Familie“. Sie ließen Yolanda die obligatorische Schule beenden. Aber sie musste kämpfen, damit sie das Gymnasium besuchen durfte. Das sei nicht nötig, um Hausarbeiten zu erledigen, lautete die Antwort. Ihre Stimme zittert, als sie sich an den Tag erinnert, an dem sie fragte, ob sie sich an der Universität einschreiben dürfe. „Du musst dich entscheiden: Entweder Du bleibst bei uns als Hausangestellte oder Du gehst an die Uni“, habe ihr der Hausherr geantwortet.
Für Yolanda brach eine Welt zusammen. Wieder drohte sie „ihre“ Familie zu verlieren und auf sich alleine gestellt zu sein. Trotzdem wagte sie es. Und musste sich bald eingestehen, dass es unmöglich war, neben dem Studium ausreichend Geld zu verdienen. Sie ging zurück in ihren alten Job – aber unter anderen Vorzeichen. Sie trat in die Gewerkschaft ein. „Ich habe gelernt, für meine Ideen zu kämpfen. Ich wusste nun, was ich wollte und was nicht. Heute sagt mir niemand mehr, was ich anziehen oder wie ich sein soll“, sagt die 25-Jährige bestimmt. Dagegen konnte auch die neue Chefin nichts ausrichten, die ihr das Engagement für Radio Deseo ausreden wollte.
Die einstündige Radiosendung „Ich bin Hausangestellte. Mit Stolz und Würde!“ hatte Erfolg. Bald sollte sie täglich ausgestrahlt werden. Yolandas Mitarbeiterinnen schlugen sie als Moderatorin und als Verantwortliche für den Programminhalt vor. Das Gehalt bezahlt „Mujeres Creando“. Es fiel ihr nicht leicht, diesen Vorschlag anzunehmen, denn dafür musste sie ihren Job als Hausangestellte aufgeben. Das war vor gut einem Jahr. „Jetzt habe ich keine Familie mehr, kein richtiges Zuhause. Ich wohne alleine und muss für mich alleine sorgen. Mir fehlt die Arbeit als Hausangestellte. Ich habe gerne für die Familie gekocht. Alleine essen macht mir keinen Spaß.“
Bürgerinnen zweiter Klasse
Die Familie scheint Yolanda ebenfalls zu vermissen. Die beiden Kinder rufen immer noch regelmäßig an. Mit ihnen habe sie sich sehr gut verstanden, erzählt Yolanda. „Unter uns gab es eine Art Komplizenschaft.“ Yolanda deckte den Jungen, wenn er wieder einmal heimlich eine Freundin ins Haus brachte. Und wenn Yolanda beim Putzen eine Vase zerbrach, nahmen die Kinder die Schuld auf sich – mit ihnen schimpfte die Mutter weniger. „Auch meine Chefin rief mich zu Beginn immer wieder an. Sie wollte wissen, wie sie einen Flecken auf dem Hemd ihres Mannes entfernen kann oder wie sie ein bestimmtes Gericht zubereiten muss.“ Zu dem Hungerlohn, den sie Yolanda bezahlt hatte, fand die Hausherrin keinen Ersatz.
Unter ihren 15 Kolleginnen ist Yolanda die einzige, die ihre Stelle als Hausangestellte aufgegeben hat und nur noch für das Radio arbeitet. Jede Frau ist für ein bestimmtes Thema verantwortlich. Das Spektrum ist breit: Es reicht von Rassismus und Diskriminierung über Gewerkschaften bis hin zu Sexualität und der Zubereitung von traditionellen Gerichten. Die Inhalte erarbeiten die Frauen gemeinsam, das Programm wird im Voraus für eine Woche zusammengestellt. Als Programmverantwortliche hört sich Yolanda die Beiträge ihrer Kolleginnen an und moderiert anschließend die Sendung, die in spanischer Sprache ausgestrahlt wird.
Die Sendung richtet sich in erster Linie an andere Hausangestellte, die in der bolivianischen Gesellschaft immer noch als Bürgerinnen zweiter Klasse gelten: „Die Hausherren trichtern dir ein, dass Du nichts weißt, dass Du nichts wert bist und Deine Arbeit schlecht machst, damit Du den Kopf einziehst. Viele Hausangestellte glauben, das sei wirklich so, weil sie es die ganze Zeit hören“, sagt Yolanda. „Wir wollen ihr Selbstvertrauen stärken. Schließlich leisten sie mit ihrer Arbeit einen großen Dienst an die Gesellschaft Boliviens.“ Ziel der Sendung sei es auch, den Leuten klarzumachen, „dass wir alle die gleichen Rechte haben“.
In diesem Jahr erfüllt sich für Yolanda ein großer Traum: Im April hat sie mit dem Studium der Sozialarbeit begonnen. Morgens besucht sie Vorlesungen und am Nachmittag arbeitet sie weiter für das Radio. „Ich freue mich so“, sagt die junge Frau und strahlt.
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