Macky Sall hat in einer Stichwahl Ende März den bisherigen Präsidenten Abdoulaye Wade mit 65 Prozent der abgegebenen Stimmen geschlagen. Damit ist der 51-Jährige zum vierten Präsidenten des Senegal seit der Unabhängigkeit 1960 gewählt worden. Doch das Ende der Regierung Wade wurde nicht erst an der Urne erzwungen. Seine Niederlage war vor allem das Verdienst einer Zivilgesellschaft, die sich erfolgreich gegen Korruptionsversuche und verfassungswidrige Versuche des Machterhalts zur Wehr gesetzt hat. Diese Entwicklung ist nicht nur für Afrika beispiellos. Der Senegal hat mehr als einen neuen Präsidenten, sagen deshalb viele Senegalesen: Das Land habe dem ganzen Kontinent gezeigt, dass mit vereinten Kräften auch in demokratischen Strukturen Veränderungen stattfinden können. Daher überwiegt bei vielen das Gefühl: „Wir haben unsere Demokratie zurück.“
Abdoulaye Wade kam im Jahr 2000 nach einer 40-jährigen Regierung der sozialistischen Partei an die Macht. Auch er wurde damals von einer gesellschaftlichen Wechselstimmung getragen. Er begann seine erste Amtszeit mit einem von der neoliberalen Weltgemeinschaft bejubelten Konzept von Privatisierungen und Bauprojekten, wie sie bisher im Senegal unbekannt waren. Kredite flossen von privaten Investoren. Französische Unternehmen kauften reihenweise privatisierte Staatsfirmen. Neue Universitäten, Krankenstationen, Schulen, Straßen und Brücken wurden gebaut.
Doch schon bei den nächsten Wahlen 2007 zeigte sich die Bevölkerung von Wades Amtsführung schwer enttäuscht. Es war zwar viel Beton verbaut worden, aber für die Gehälter von Lehrern und Krankenschwestern gab es kein Geld mehr in der Staatskasse. 2007 musste Wade sich den Vorwurf gefallen lassen, nur mit Hilfe von Fälschung im ersten Wahlgang gegen seinen Widersacher von der sozialistischen Partei eine weitere Amtszeit gewonnen zu haben. Macky Sall gehörte damals zur Demokratischen Partei des Senegal (PDS), die Wade gegründet hatte, und war sein Wahlkampfleiter.
Die meisten Oppositionsparteien reagierten auf den vermuteten Wahlbetrug mit dem Boykott der anschließenden Parlamentswahlen. Statt zu einem Volksaufstand führt das zu einer Zweidrittelmehrheit für die PDS im Parlament. Dennoch ist dies die Geburtsstunde einer zivilgesellschaftlichen Bewegung für eine neue Form von Demokratie im Senegal. 2008 kommen Oppositionsparteien und Gruppen der Zivilgesellschaft in Versammlungen, den„Assises nationales“, zusammen, um eine Charta für ein neues Bündnis der senegalesischen Gesellschaft zu erarbeiten. Die Charta, die auf einer nationalen Zusammenkunft 2009 angenommen wird, ist vorher in Dutzenden von lokalen und regionalen Versammlungen diskutiert worden. Sie fordert von den künftigen politischen Eliten mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung auf nationaler und lokaler Ebene und mehr Investitionen in Bildung, soziale Fürsorge sowie Landwirtschaft und Fischerei.
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Die Regierung weist eine Teilnahme an den „Assises“ von sich (sie war zur Teilnahme eingeladen). Doch Wade merkt, dass sein Rückhalt in der Bevölkerung schwindet. Er beginnt sein verhängnisvollstes Projekt, die Regelung seiner Nachfolge: Sein Sohn Karim Wade soll ihn beerben und damit die Macht seines Clans sichern. Er wird Organisationschef für die 2008 geplante „Islamische Konferenz“ und verwaltet Millionen, die unter anderem aus dem Nahen Osten kommen. Um das Vorhaben ranken sich Korruptionsgerüchte, denen der Parlamentspräsident nachgegen soll – der heißt Macky Sall. Er lädt Karim Wade im Zuge der Untersuchung vor. Dieser reagiert empört und lässt Macky Sall absetzen, der die PDS daraufhin verlässt und eine eigene Partei gründet.
Die Kritik, Abdoulaye Wade wolle eine Dynastie einführen, beschert der PDS bei den Kommunalwahlen 2009 hohe Verluste. Wades Reaktion ist bezeichnend für seinen Realitätsverlust: Er ernennt seinen Sohn, der es noch nicht einmal in den Stadtrat der Hauptstadt geschafft hat, zum Superminister, verantwortlich für vier Ministerien.
Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich danach zunehmend. Immer häufiger fällt im gesamten Land der Strom aus. Darunter leidet die Auslastung vieler Betriebe, kleinere Firmen müssen schließen. Das Wirtschaftswachstum im Senegal beträgt nur ein Drittel von dem der meisten anderen Länder Westafrikas. Die Politik der Marktöffnung hat nur die ausländischen Investoren und die Eliten um den Präsidenten bereichert. Vor allem die Nahrungsmittelpreise bleiben nach dem weltweiten Preisanstieg 2008 hoch. Die Versorgung mit Reis, Weizen, Obst und Gemüse hängt in hohem Maße vom Import ab – zu 80, 90 beziehungsweise 60 Prozent. Der Staat muss vor allem die Brotpreise mittels Senkung der Mehrwertsteuer und der Zölle auf Weizen drücken und kann die langfristige Verteuerung doch nicht verhindern.
In der Bevölkerung rumort es dennoch, da auch einheimische Produkte wie Mais und Fisch sich verteuern. Beim Fisch liegt das vor allem daran, dass der Fischereiminister illegal russischen Trawlern Fanglizenzen verkauft hat und als Folge die einheimischen Kleinfischer die Bevölkerung nicht mehr versorgen können. Unter dem Slogan „Y’en a marre!“ („jetzt reicht’s“) erhebt sich eine Bewegung um die Hip-Hop Szene der städtischen Jugend. Sie ist es leid, Stromabschaltungen, Arbeitslosigkeit, hohe Lebensmittelpreise und Straffreiheit für politisches Missmanagement länger hinzunehmen, und organisiert nach dem Weltsozialforum 2011 in Dakar regelmäßig Straßenproteste (siehe Kasten auf der folgenden Seite).
Nun sieht Präsident Wade ein, dass sein Sohn Karim keine Unterstützung in der Bevölkerung findet, und ändert seine Taktik. Er bringt im Mai 2011 eine Verfassungsänderung in das Parlament ein, wo es fast keine Opposition gibt. Danach ist ein Kandidat schon im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt, wenn er als einziger mindestens 25 Prozent der Stimmen erringt. Bisher war eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang oder eine Stichwahl nötig – die soll es nun nur noch geben, wenn kein Kandidat oder aber mehrere über 25 Prozent der Stimmen bekommen. Doch die Opposition ist jetzt hellwach und so kommt es am Tag der Abstimmung im Parlament, dem 23. Juni 2011, zu heftigen Protesten mit einer Reihe von Toten. Präsident Wade muss trotz Mehrheit im Parlament die erste große politische Niederlage einstecken: Er ist gezwungen, sein Verfassungsprojekt vor der Abstimmung zurückzuziehen und die gewaltsame Repression gegen die Jugendbewegung abzumildern.
Die Aktionen der Zivilgesellschaft gehen weiter, da Wade sich entschließt, aufs Ganze zu gehen: Er verkündet im Juli 2011, dass er ein drittes Mal kandidieren wird, obwohl die Verfassung nur zwei Mandatszeiten des Präsidenten zulässt. Dieser offensichtliche Verfassungsbruch empört die Jugendbewegung, die Oppositionsparteien und andere Kräfte der Zivilgesellschaft wie Bauern- und Fischervereinigungen sowie Gewerkschaften. Es gründet sich das Bündnis „Mouvement 23-Juin“ (M-23) mit dem Ziel, diese dritte Kandidatur zu verhindern. Die ganze zweite Hälfte des vergangenen Jahres ist davon geprägt, juristisch, in den Medien und auf der Straße für dieses Ziel einzutreten und gleichzeitig ein Wahlbündnis mit nur einem Oppositionskandidaten in die Präsidentschaftswahlen zu schicken.
Beides scheitert. Das oberste Gericht erklärt die Kandidatur von Wade für zulässig, und am Widerstand der Sozialisten scheitert ein Einheitskandidat des aus dem M-23 hervorgegangenen Wahlbündnisses „Benno Bokk Yaakkaar“ (Kräfte für einen Wechsel). Doch nun zeigt sich, dass die jahrelange Zusammenarbeit der verschiedenen Strömungen von Opposition und Zivilgesellschaft solche Schwierigkeiten überwindet: Statt sich gegenseitig den Bruch des Bündnisses vorzuwerfen, akzeptiert man, dass Kandidaten aus dem Bündnis im ersten Wahlgang gegeneinander antreten, die meisten aber auf der Grundlage der Beschlüsse der Bewegung M-23.
Das Ziel, Wade abzulösen, eint alle. Aber noch wichtiger ist ihnen, Manipulationen der Wahl oder ihrer Ergebnisse abzuwenden. Zu groß ist die Gefahr von Konflikten wie zuvor in Guinea, der Elfenbeinküste oder im Niger. Daher sind am Wahltag zahlreiche Beobachter der Opposition in den Wahllokalen und entdecken Fälschungsversuche, die aber nicht entscheidend sind. Auch die Oppositionsparteien spüren in den Monaten vor der Wahl den Druck der Straße, Einigkeit zu zeigen. So bricht nach dem ersten Wahlgang kein einziger Kandidat das Versprechen, im Falle einer Stichwahl den stärksten Kandidaten aus ihren Reihen zu unterstützen.
Dass es sich dabei um Macky Sall handeln würde, hatte vorher niemand auf der Rechnung. Die Unterstützung der Gegenkandidaten erhielt er allerdings nicht bedingungslos. Er hat sich verpflichtet, nach einem Wahlsieg die wichtigsten Projekte der Opposition zu unterstützen: Agrarreformen, Korruptionsbekämpfung und Verfassungsreformen zur Einschränkung der Macht des Präsidenten. Für die im Juni vorgesehenen Parlamentswahlen strebt Macky Sall nun eine Einheitsliste aller Oppositionsgruppen an. Das zwingt ihn, auch künftig alle gesellschaftlichen Gruppen einzubeziehen.
Sein neues Kabinett, dem der parteilose Unternehmer und Ex-Bankier Abdoul Mbaye als Ministerpräsidenten vorsteht, umfasst 25 Minister, darunter Vertreter aller Oppositionsgruppen und zahlreiche Frauen. Der international bekannte Sänger Youssou N’dour, der ursprünglich selbst Präsident werden wollte, ist Kulturminister und der Umweltaktivist Haïdar El Ali leitet das Naturschutzressort. Die neue Regierung muss schnell Ergebnisse vorweisen, vor allem im Blick auf die hohen Lebensmittelpreise. In seiner Antrittsrede hat Macky Sall schon versprochen, die Fischereilizenzen für ausländische Trawler einzufrieren.
In der Zivilgesellschaft wird nun heftig diskutiert, ob auch Vertreter aus ihren Reihen für das Parlament kandidieren sollen. Politik gilt als schmutziges Geschäft und viele fürchten, korrumpiert zu werden. Aber ohne echte Vertretung der tragenden Säulen der Opposition, die eben nicht der politischen Klasse angehören, könnte Sall, der einer liberalen Wirtschaftspolitik zuneigt, schnell zum Diener der herrschenden Finanzeliten, der im Senegal tätigen französischen Konzerne und der Vertreter des Neoliberalismus aus Geberländern und internationalen Finanzinstitutionen werden.
Die Bewegungen, die Macky Sall an die Regierung gebracht haben, werden ihm auf die Finger schauen und nicht zögern, ihn mit Druck an seine Versprechen zu erinnern. Alle sind sich einig, dass sich das Jahr 2000 nicht wiederholen darf: Damals begnügte sich die Bewegung, die Wade an die Macht brachte, damit, in seiner Regierung vertreten zu sein. Die Bevölkerung des Senegal hat ein hohes Maß an demokratischer Reife und Zivilcourage gezeigt.
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