Schatten über dem Urlaubsparadies

Seit mehr als vier Jahren ist der Bürgerkrieg in Sri Lanka beendet. Doch Regimekritiker werden weiter verfolgt, die Kriegsverbrechen totgeschwiegen.

Bei einer Kunstausstellung würde die monumentale Installation Aufsehen erregen: Zerfetzte Busse, Autoskelette, zertrümmerte Traktoren, Mopeds und Dreiräder türmen sich auf dem sandigen Buschland bei Mullaitivu unter malerischen Palmen. Aber hier an der Ostküste Sri Lankas ist dieser gigantische Schrotthaufen kein Kunstwerk, sondern ein weiteres Relikt des Bürgerkrieges. Ein  ungewolltes Mahnmal auf den „Killing Fields“ von Sri Lanka, die von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden. Seit kurzem sind sie wieder zugänglich. „Die Bomben fielen wie Regentropfen. Man konnte sie von weitem sehen, aber man konnte nicht weglaufen“, erzählt der 13-jährige Andrew.

Die rostenden Fahrzeuge zeugen von den rund 330.000 tamilischen Flüchtlingen aus dem gesamten Norden, die im Frühjahr 2009 nach monatelanger Odyssee mit ihren Fahrzeugen, Zelten und wenigen Habseligkeiten auf der Landenge  gelandet waren. Sie kamen in der Hoffnung, Schutz vor den Kämpfen zwischen den tamilischen Rebellen (LTTE) und der singhalesischen Regierungsarmee zu finden. Das Gebiet war von der Regierung zur Schutzzone erklärt worden, zur „No Fire Zone“. Es war eine trügerische Hoffnung, denn auf dem schmalen Landstreifen zwischen Meer und Lagune starben laut Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) 40.000 Menschen durch großflächige Bombardements der Armee, durch Krankheit und Hunger.

Der katholische Bischof von Mannar, Rayappu Joseph, spricht von 146.000 Toten und Vermissten, deren Verbleib bis heute nicht geklärt ist. Eine von vielen offenen Wunden, die echten Frieden und Versöhnung zwischen den verfeindeten ethnischen Gruppen unmöglich machen. „Das war ein Massaker, ein versuchter Genozid an der tamilischen Bevölkerung“, urteilt der 73-jährige Bischof und Menschenrechtler, der selbst ins Visier des Geheimdienstes geraten ist.

Seit 2012 ist das fünf Quadratkilometer große Areal nach und nach für die Öffentlichkeit freigegeben worden, auch wenn Aussteigen und Fotografieren nicht gern gesehen sind. Beim Autoschrott etwa steht ein Soldat mit Gewehr im Anschlag und winkt die wenigen Fahrzeuge ungehalten weiter – Mitarbeiter nichtstaatlicher Organisationen (NGO), Exil-Tamilen auf Heimaturlaub und einige Einheimische. Ausländische Journalisten bekommen in der Regel kein Visum und reisen als Touristen ein.

Dabei hat die Regierung manches eigens für Besucher und zu Propagandazwecken hergerichtet: die Ausstellung von selbstgebastelten U-Booten und Waffen der Rebellenarmee etwa oder den „Bunker“ des getöteten LTTE-Führers Velupillai Prabhakaran. Er hatte sein Hauptquartier unter der Fassade eines normalen Wohnhauses vier Etagen tief in die Erde gegraben; ausgestattet mit einem eigenem OP-Saal und einem Geheimausgang. „Unterirdisches Terroristenversteck“ steht auf der erläuternden Schautafel.

Erdlöcher boten notdürftig Schutz vor Bombensplittern

Touristen verirren sich allerdings kaum in die Gegend zwischen der Provinzstadt Paranthan und dem Küstenort Mullaitivu, abseits der Badestrände und Hotelanlagen, wo der Krieg noch bedrückend präsent ist: Verkohlte Kokospalmen, verlorene Schuhe und Kleiderreste, zerfetzte Plastikplanen liegen herum. Überall sind Erdlöcher zu sehen, ebenfalls „Bunker“ genannt, die den Menschen notdürftig Schutz vor Bombensplittern gewährten. Oder zum Grab wurden. Monatelang sollen Regierungssoldaten nach der vernichtenden Niederlage der LTTE am 19. Mai 2009 damit beschäftigt gewesen sein, verstreute Leichenteile zu entsorgen. Niemand weiß wo.

„An einem Tag habe ich zwölf Beerdigungen gemacht von zwölf verschiedenen Familien. Wir haben die Toten ohne Sarg einfach nur in die Erde gelegt. Das war schrecklich, so etwas möchte ich nie wieder erleben“, sagt der evangelische Pastor Thiranamkarasa Dixon aus Kilinochi, der auf der Flucht bei seiner Gemeinde geblieben ist. „Ich habe keine Worte für all das Grauen, das ich hier erlebt habe, aber als Christ und Tamile quält mich auch die Frage, wie Vergebung und Versöhnung möglich sein sollen.“

Ein wichtiger Beitrag dazu sind etwa die Begegnungen zwischen Tamilen aus dem Norden und Singhalesen aus dem Süden, die die Methodistische Kirche in Sri Lanka organisiert. Gleich nach Ende des Krieges gab es erste Workshops, bei denen sich Jugendliche der verfeindeten Ethnien erstmals begegneten. Ferner fanden Treffen für Familien statt, deren Söhne und Töchter als Soldaten gefallen waren.

Was in Mullaitivu geschehen ist, liegt zwar vier Jahre zurück, aber es hat tiefe Spuren in den einzelnen Biografien und im kollektiven Gedächtnis der tamilischen Bevölkerung hinterlassen. Traumatische Erlebnisse, die Präsident Mahinda Rajapaksa und seine Regierung weitgehend ignorieren. 2010 wurde er mit dem Bonus des Kriegsgewinners und großer Mehrheit wiedergewählt. „Zero Casualties“ – es gab keine zivilen Opfer, lautet die offizielle Devise, die einem Totschweigen gleichkommt.

Bei den Opfern habe es sich nur um LTTE-Kämpferinnen und -Kämpfer gehandelt, zudem habe die LTTE die Flüchtlinge bei Mullaitivu als menschliche Schutzschilde missbraucht und verhungern lassen, behauptet die Regierung. Und tatsächlich gibt es auch deutliche Hinweise auf Verbrechen seitens der Rebellen. Auf diesem Hintergrund hat der UN-Menschenrechtsrat Sri Lanka im März erneut aufgefordert, eine „unabhängige und glaubwürdige“ Untersuchung der Kriegsverbrechen beider Seiten einzuleiten.

Damit kommen auch die aktuellen Menschenrechtsverletzungen der singhalesischen Regierung ins Visier der Öffentlichkeit. Sie werden seit Jahren von Amnesty International, Human Rights Watch und mutigen Menschenrechtlern vor Ort angeprangert: die Militarisierung des Nordens, die Pressezensur, das Verschwinden von Kritikern, Folter und Vergewaltigung, Landraub auf Kosten von zurückkehrenden Flüchtlingen oder Bauern und Fischern sowie das ungeklärte Schicksal von unzähligen LTTE-Kämpfern, die sich im Mai 2009 bei Mullaitivu ergeben haben.

„Rechtsprechung und Regierungsführung in unserem Land sind so schlecht, dass all dies mit Wissen und Billigung der Kräfte geschieht, die das Gesetz eigentlich gewährleisten sollten“, berichtet der Menschenrechtsanwalt K. S. Ratnavale in der Hauptstadt Colombo. Seit der Absetzung der Obersten Richterin Shirani Bandaranayke durch ein vom Parlament gestütztes Amtsenthebungsverfahren im Januar ist die Justiz nur noch auf dem Papier unabhängig.

„Sri Lanka befindet sich auf dem Weg zu einem Einparteienstaat, in dem sich der Präsident auf eine Armee stützt, die heute größer ist als zu Zeiten des Bürgerkriegs“, urteilt der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Antrag seiner SPD-Fraktion an den Bundestag zur Unterstützung der UN-Resolution im März. „Trotz seiner autoritären Herrschaft genießt Mahinda Rajapaksa großen Rückhalt in der Bevölkerung“, heißt es weiter. Zumindest in der singhalesischen, die mehr als 80 Prozent ausmacht, bleibt zu ergänzen, während die Tamilen nur 18 Prozent zählen.

Trotz Gefahr für das eigene Leben ziehen engagierte Anwälte wie Ratnavale weiter vor Gericht. Zurzeit vertritt er in Colombo einen Gewerkschafter, der 2006 mit einem der berüchtigten „white vans“ abgeholt wurde, dem weißen Kleinbus der Geheimpolizei. Der Betroffene erzählt von wochenlanger Folter und von seinem Hungerstreik gegen erzwungene Falschaussagen. Erst vor wenigen Tagen sei er nach fast sieben Jahren als politischer Gefangener ohne Gerichtsurteil freigelassen worden. Jetzt hält er sich versteckt, weil andere Regimegegner erneut verhaftet oder auf offener Straße umgebracht wurden. Zu seiner Familie will er nicht, um sie nicht zu gefährden. Schon vor einiger Zeit wurden das Haus angezündet und sein Bruder bedroht.

All das geschieht in einem Land, das nach dem Krieg einen enormen Wirtschaftsaufschwung erlebt hat und gegenwärtig auf Portalen wie Lonely Planet die Nummer eins bei den Reisezielen des Jahres ist. Die sieben Unesco-Kulturstätten der Insel seien nun problemlos erreichbar, heißt es in der Hochglanzwerbung. Schon 2012 sollen nach Regierungsangaben eine Million Touristen gekommen sein, mehr als doppelt so viele wie während des Bürgerkrieges, 2016 werden zwei Millionen erwartet.

Der Aufschwung ist überall an ehrgeizigen Großprojekten ablesbar: eine Autobahn vom Flughafen Colombo in die City und an die beliebte Südküste, ein neuer internationaler Flughafen in Hambantota, und im ganzen Land werden die schönsten Strände mit Hotelanlagen bebaut oder dafür reserviert. Entwicklung ist zum Zauberwort und neuen Wirtschaftsmotor geworden. Vielen bringt der Aufschwung Wohlstand, bei anderen bedroht er die Existenz, nicht nur bei den Tamilen im Norden, sondern auch bei den Singhalesen im Süden.

Armee und Fischer streiten um die Arugam Bay

„Nach dem Krieg gegen den Terrorismus erleben wir jetzt einen Krieg der Entwicklung“, meint der Umweltaktivist Thilak Kariyawasam von der Sri Lanka Nature Group (SLNG), der mit Oxfam Australien im vergangenen Jahr eine Studie zu 25 Fällen von Landraub auf der Insel vorgelegt hat, exemplarisch für viele andere. „Regierung und Armee benutzen dieselbe Strategie und haben dasselbe rücksichtslose Menschenbild wie im Krieg, um ihre Interessen durchzusetzen“, lautet sein Fazit. Was das im Einzelfall bedeutet, lässt sich etwa im Küstenort Panama an der malerischen Arugam Bay im Südosten Sri Lankas ablesen, einer international beliebten Surferbucht mit kleinen Pensionen, die derzeit noch als Geheimtipp gilt.

Autorin

Nina Waldorf

ist Journalistin in Düsseldorf. Im Frühjahr 2013 war sie auf einer Recherchereise in Sri Lanka.

„This Land belongs to the Sri Lanka Navy“, heißt es auf Schildern entlang der Straße nach Panama, bis kurz vor dem Dorf ein weiträumig eingezäuntes Militärgelände auftaucht. „Sie sind mit Armeelastwagen gekommen und haben unsere Ernte abtransportiert und sie haben etliche Häuser angezündet“, erzählt Punchivale Somaseri. Der 36-jährige Fischer ist Sprecher von 200 Familien im Dorf und organisiert den Protest gegen den Landraub zusammen mit dem leitenden buddhistischen Mönch der Uva-Provinz. Während des Krieges mussten die Bewohner immer wieder vor Übergriffen der LTTE fliehen. Nach dem Tsunami 2005 und dem Kriegsende 2009 kehrten sie zurück und stellten fest, dass die Marine und die Spezialeinheiten (Navy and Special Task Force – STF) sich rund 500 Hektar Land angeeignet hatten, um selbst Landwirtschaft zu betreiben, vor allem aber, um die Arugam Bay touristisch zu nutzen. 

„Wir haben das Land von unseren Vorfahren geerbt, es ist unsere Seele, niemand kann es uns nehmen“, sagt Somaseri. Schon oft ist er von der Polizei bedroht worden, aber der Widerstand hat aus dem zierlichen Fischer im traditionellen Sarong einen charismatischen Führer gemacht. Er verhandelt mit lokalen Behörden und Armeevertretern, tritt in Colombo vor der Presse auf und hat mit anderen im Dorf Klage beim Obersten Gerichtshof eingelegt. Die Allianz von Armee, lokalen Behörden, Regierungsvertretern und Geschäftsleuten scheint zwar übermächtig zu sein. Dennoch gibt es viele Menschen wie in Panama, die sich nach den Schrecken des Bürgerkrieges erneut den gefährlichen Auseinandersetzungen stellen. So wie die Fischersfrau Ganamuttu Kusumawati. „Wir geben nicht auf“, sagt sie. „Alles was wir bisher aufgegeben haben, ist die Angst vor Autoritäten“.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2013: Ungesunder Wohlstand
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